Hans-Heinrich Dieter

30 Jahre deutsche Einheit   (04.10.2020)

 

Am 30. Jahrestag der Einheit hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Zusammenhalt der Deutschen gewürdigt: „Ja, wir leben heute in dem besten Deutschland, das es jemals gegeben hat.“ Und dann stellte er fest, dass der Umbruch die Ostdeutschen ungleich härter getroffen habe als Westdeutsche. Es sei unterschätzt worden, wie langlebig Benachteiligungen sein könnten: „Wenn Menschen sich dauerhaft zurückgesetzt fühlen, wenn ihre Sichtweise nicht vorkommt in der politischen Debatte, wenn sie den Glauben an die eigene Gestaltungsmacht verlieren, dann darf uns das eben nicht kalt lassen.“ Wie immer bei Festtagsreden wird übertrieben und schöngeredet!

Dabei zeigen sich 30 Jahre nach der Wiedervereinigung Unterschiede zwischen Ost und West teilweise wie zementiert – auch in weltanschaulicher Hinsicht – und die Mauer in den Köpfen ist nach wie vor stabil. Gemäß dem jüngsten ARD -Deutschlandtrend sind 68 % der Westdeutschen mit unserer Demokratie zufrieden, aber nur 50 % der Ostdeutschen. Und 19 % der Ostdeutschen halten dieser Umfrage zufolge die Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik für geringer als damals in der DDR. Das spricht nicht gerade dafür, dass wir „in dem besten Deutschland“ leben, das es je gegeben hat. Und mit welchem Recht spricht der Bundespräsident von „langlebigen Benachteiligungen“ – die natürlich die „Wessis“ verursacht haben? Statt Larmoyanz zu fördern, sollte man den Ursachen für solche Haltungen und Einstellungen auf den Grund gehen.

Ehemalige Untertanen des Unrechtsstaates DDR sehen sich meiner Ansicht nach in einer permanenten Opferrolle, Opfer der Wärter des Staatsgefängnisses DDR, Opfer der Stasi und schließlich Opfer der Vereinigung der beiden ungleichen Staaten unter dem Diktat der Wessis. Und so fühlen sich viele ostdeutsche Bürger heute wohl als Bürger zweiter Klasse und vergessen leichtfertig, dass die DDR vor dem Beitritt zum Geltungsbereich des Deutschen Grundgesetzes vor dem Staatsbankrott stand und die westdeutschen Bürger sehr große Anstrengungen unternehmen mussten, um dieses marode Staatsgebilde – unter Vernachlässigung wichtiger Investitionen in strukturschwachen Regionen westlicher Bundesländer - in einen Ãœberlebensmodus zu bringen und dann in einen funktionierenden Teil unserer demokratischen Gesellschaft zu verändern. In ihrer Larmoyanz vergessen solche Bürger, dass viele von ihnen Mitläufer oder Täter im Unrechtsstaat DDR waren und es sich so gut eingerichtet hatten, dass heute die DDR-Vergangenheit teilweise ostalgisch verklärt wird. Das Leben in unserer freiheitlichen Demokratie wird dagegen offensichtlich von nicht wenigen als eher schwierig, anstrengend und belastend empfunden. Westdeutschen Bürgern hingegen missfällt offensichtlich die Larmoyanz, die Ostalgie, die Undankbarkeit und die Neigung nicht weniger ostdeutscher Bürger zu entweder kommunistischer oder rechtsradikaler undemokratischer Einstellung.

Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Vergangenheit des Unrechtsstaates DDR nicht aufgearbeitet wurde. Die nationalsozialistische und antisemitische Erfahrung der ostdeutschen Bürger wurde in die neugegründete DDR eingebracht. Und da die DDR nie Mitverantwortung für die Verbrechen Nazi-Deutschlands übernommen hat, gab es auch keine kritische Auseinandersetzung mit dieser Geschichte. Und das hat sicher auch rechtsradikales Gedankengut in der Gesellschaft stärker bewahrt als im Westen Deutschlands. Nicht ohne Grund entstand Pegida im Osten und hat die AfD im Osten vergleichsweise deutlich mehr Anhänger als im Westen. In der Ost-Linken tummeln sich überzeugte Kommunisten, Sozialisten, Ex-Stasi-Straftäter, Ex-IM, ehemalige Wärter des Ex-Staatsgefängnisses DDR, Ostalgiker, DDR-Fans sowie larmoyante Ossis. Und in der West-Linken finden sich linksradikale Fundamentalisten - und das gilt auch für die Wähler der Linken, die die Mauer in ihren Köpfen behalten wollen. Mit solchen deutschen Genossen ist eine demokratische Zusammenarbeit zum Wohl des ganzen deutschen Volkes nur sehr schwer möglich. Nicht ohne Grund hat die SPD immer propagiert, dass sie in den westlichen Bundesländern keine Koalition mit den Linken eingehen wird – und dieses Versprechen nach der Bremen-Wahl gebrochen, indem sie trotz der ohnehin schon fatalen Lage Bremens auf Rot/Grün/Links setzte und dabei offensichtlich auch vergessen hat, dass Rot/Grün/Links Berlin inzwischen in die Nähe eines „failed state“ abgewirtschaftet haben. Und wenn nun in den östlichen Bundesländern jeder fünfte Deutsche einer Meinungsfreiheit nachtrauert, die es faktisch nicht gab, zeigt das eine unglaubliche Verklärung des SED-Staates und demokratische Untauglichkeit.

Brandenburg war Gastgeber der diesjährigen Feierlichkeiten. Und so hat Ministerpräsident Dietmar Woidke, SPD, dazu aufgerufen, Ostdeutschland auch als Vorbild zu sehen: „Vom Osten kann man viel lernen!“ Als Beispiele nannte er eine selbstbewusste Frauenpolitik, Betriebskindergärten oder Polikliniken als Gesundheitszentren. Und er versteigt sich zu der Feststellung: „Wir älteren Ostdeutschen sind mittlerweile souverän genug, einfach stolz darauf zu sein.“ Das schließt dann ja wohl den Stolz auf den Unrechtsstaat DDR ein, in dem die „Partei immer Recht hatte“ und der gekennzeichnet war durch Planwirtschaft, exzessiver Raubbau an der Natur, Verfolgung Andersdenkender, Einschränkung von Grundrechten, und Tötung von Menschen, die das Land verlassen wollten. Was soll man da „vom Osten“ lernen können?

Die „Treuhand“ hat sicher im Zusammenhang mit der sehr überhasteten Eingliederung Ostdeutschlands in den Geltungsbereich des Grundgesetzes auch Fehler mit negativen wirtschaftlichen Folgen gemacht. Aber die nachhaltigen „langlebigen Benachteiligungen“ im Hinblick auf Demokratietauglichkeit hat in der langen Zeit der Sozialisation der Menschen in Ostdeutschland während der Hitler-Diktatur und dann während der Diktatur des Proletariats ihre wirkliche Ursache. Es wird viel Zeit brauchen, bis diese Defizite durch politische Bildung beseitigt sind. Staatsbürgerliche Fähigkeit zur Selbstkritik ist da hilfreicher als Larmoyanz!

Und nur mit guter und erfolgreicher Politik zum Wohl des ganzen deutschen Volkes ist die offensichtlich noch intakte Mauer in zu vielen deutschen Köpfen abzubauen!

(04.10.2020)

 

 

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