Hans-Heinrich Dieter

Afghanistan ab 2015   (21.04.2013)

 

Bis ein Einsatz von Truppen und zivilen Organisationen der internationalen Staatengemeinschaft ab 2015 die afghanische Regierung, Verwaltung, Wirtschaft und Sicherheitskräfte zum Wohle der afghanischen Bevölkerung unterstützen kann, ist noch viel Aufbau- und Ausbildungsarbeit zu leisten. Und es sind die politischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen erst zu schaffen.

Bisher gibt es politische Entscheidungen und Zahlen. Die NATO will ab 2015 für die Folgemission Resolut Support 8.000 bis 12.000 Soldaten bereitstellen, die die afghanischen Sicherheitskräfte beraten und ausbilden. Die zivile Seite der internationalen Staatengemeinschaft hat sich darauf geeinigt, Afghanistan in einer „Transitionsdekade“ bis 2024 umfangreich zu unterstützen und auch bei der Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte großzügig zu helfen. Die NATO arbeitet an einem Operationsplan, der bis Juni 2013 verfügbar sein soll, die zivile Seite hinkt – wie immer- mit Entscheidungen und Planungen hinterher.

Nun hat Deutschland – sehr ungewöhnlich und überraschend – mutig die Initiative ergriffen und konkrete Zahlen und Vorstellungen bekanntgegeben. Demnach ist Deutschland bereit, ab 2015 für zwei Jahre im Norden Afghanistans weiterhin Führungsverantwortung für Beratung und Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte im Rahmen Resolut Support zu übernehmen und will dafür 600 bis 800 Soldaten bereitstellen. Ab 2017 will sich Deutschland mit 200 bis 300 Soldaten in der Region Kabul in die NATO-Operation einbringen. Voraussetzung für einen solchen Einsatz sind eine formelle Einladung der afghanischen Regierung an Deutschland, ein afghanisch-deutsches Truppenstatut und natürlich eine entsprechende UN-Resolution. Bedingung für den Einsatz deutscher Soldaten sei außerdem eine „ausreichende Sicherheitslage“.

Eine solche mutige Initiative hat natürlich Vor- und Nachteile. Wenn Deutschland bereit ist, ab 2015 für weitere zwei Jahre die Rolle der Führungsnation in Nordafghanistan zu übernehmen, dann erleichtert das den Übergang in die Unterstützungsphase und gibt den 17 Nationen, die bisher in Nordafghanistan zusammengearbeitet haben, Schützenhilfe bei politischen und militärischen Entscheidungen. Positiv ist auch, dass Deutschland sein Engagement zeitlich begrenzt hat und so konkrete Planungen auch nach 2017 herausfordert. Wichtig ist, dass Deutschland Bedingungen und Voraussetzungen formuliert hat. Aber es bleiben viele Unwägbarkeiten.

Die USA haben bisher nur sehr vage von bis zu 5.000 Soldaten nach 2015 gesprochen und es bleibt der rechtliche Status, sprich die Immunität der US-Soldaten zu klären. Alle anderen Nationen halten sich stark zurück und in Deckung. Noch stehen kein gemeinsames Zielsystem und kein Operationsplan. Der geplante Umfang der afghanischen Sicherheitskräfte in Größenordnung 352.000 ist quantitativ nahezu erreicht. Die Qualität lässt aber noch sehr zu wünschen übrig. Man kann nur schwer abschätzen, ob diese Qualität bis 2015 so gesteigert werden kann, dass Afghanistan selbständig für seine Sicherheit sorgen kann. Der innerafghanische Versöhnungsprozess ist noch in den Kinderschuhen, Erfolg offen. Und die Taliban haben weiterhin in vielen Landesteilen die Initiative und terrorisieren die afghanische Bevölkerung. Darüber hinaus ist Afghanistan weiterhin mit vielen Problemen konfrontiert, die nicht militärisch zu lösen sind, aber die Sicherheitslage beeinflussen. Die Korruption ist nicht im Griff, die Verwaltung und die Justiz sind ineffizient, die Schlafmohnernte und damit der Drogenhandel werden 2013 wohl Rekorde erreichen und mit Karsai ist gute Regierungsführung nicht möglich, sein Nachfolger wird hoffentlich eine deutlich höhere politische und moralische Qualität aufweisen. Man darf also sehr skeptisch sein, ob die von Verteidigungsminister de Maizière geforderte „ausreichende Sicherheitslage“ bis Ende 2014 gewährleistet werden kann. Viele der afghanischen „Ortskräfte“, die etwa als Dolmetscher oder Hilfskräfte für die ISAF-Truppen gearbeitet haben, vertrauen dem eigenen Staat, der Sicherheitslage und auch Teilen ihrer afghanischen Mitbürger offenbar nicht. Sie haben Angst, dass ISAF abzieht, stellen Asylanträge oder bitten um Ausreise in NATO-Staaten. Sie fürchten um ihr Leben und das ihrer Familien, sicher in einigen Fällen wohlbegründet.

Eigentlich ist es in dieser sehr unklaren und unsicheren Lage in Afghanistan und im Bündnis noch etwas zu früh für eine Zahlen-Initiative. Die politische Entwicklung bis Ende 2013 wird zeigen ob die Vorteile die Nachteile überwiegen.

(21.04.2013)

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte