Hans-Heinrich Dieter

Außen-Illusionist   (12.10.2014)

 

Außenminister Steinmeier hat sich jetzt in der F.A.S. selbstkritisch zu Afghanistan geäußert: "Vieles spricht dafür, dass es unser größter Fehler war, zu hohe Erwartungen zu wecken – und dafür zu geringen Aufwand zu treiben". Da kann man ihm zustimmen, denn am Anfang unseres Afghanistan-Engagements stand vordringlich der Wunsch mitzumachen, dabei zu sein - ohne strategische Ziele, ohne Plan, ohne Konzept und ohne vernetzte Sicherheitspolitik. Und zu hohe Erwartungen haben immer mit Illusionen und Naivität zu tun. Danach war Deutschland sich lange unklar, ob es sich um einen Stabilisierungs- oder um einen Kriegseinsatz handele und wärmte sich hauptsächlich an Sonntagsreden über die nahe afghanische Zukunft als asiatische Westminster-Demokratie auf den Petersbergkonferenzen. Dabei hatte man sich mit der Geschichte, den Landeseigentümlichkeiten, der inneren Verfassung, der muslimischen Ausrichtung und den Machstrukturen Afghanistans offenbar noch nicht analytisch auseinandergesetzt und jedes Ressort werkelte mehr oder weniger nebeneinander - oder zu Zeiten von der roten Heide durchaus auch gegeneinander - vor sich hin. Minister Jung sprach damals gelegentlich von einem "vernetzten Ansatz", mit der politischen Realität hatte das aber nichts zu tun.

Steinmeier kann sich eine solche erfolgreiche vernetzte Außen- und Sicherheitspolitik nicht auf die Fahnen schreiben, weil er damals als Außenminister in der ersten großen Koalition mit dem Verteidigungs- und mit dem Entwicklungsressort nur sporadisch und oberflächlich zusammengearbeitet hat. So hat er sich zum Beispiel in den Afghanistaneinsatz Deutschlands nahezu nicht eingebracht, obwohl der Außenminister die politische Federführung dafür hat. Er hat es außerdem damals unterlassen, das Auswärtige Amt zu beauftragen, die vitalen Interessen Deutschlands zu definieren und langfristige Perspektiven deutscher Außenpolitik auch für Afghanistan zu entwickeln. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Außenminister Steinmeier sagt nun: "Wir wollten nicht nur die Sicherheitsbedrohung ausschalten, die von Afghanistan ausging, sondern das Land im Eiltempo in eine Zukunft nach unseren Vorstellungen führen." Weder ist die Sicherheitsbedrohung ausgeschaltet noch sind die ausufernde Korruption, der Opiumhandel und die mittelalterlichen Clanstrukturen im Griff sowie die Wirtschaft lebensfähig gestaltet und staatliche Strukturen zukunftstauglich geschaffen. Als Niederlage will Steinmeier unser Engagement in Afghanistan natürlich nicht sehen. Er sieht lieber kleine Teilerfolge und meint, von dem Land gehe heute keine terroristische Bedrohung mehr für die internationale Gemeinschaft aus. Hier zeigt sich Steinmeier einmal mehr als Illusionist, der das Erstarken der Taliban und das zu erwartende Festsetzen des Islamischen Staates in Afghanistan nicht ins Kalkül zieht, weil es nicht passt.

Da ist es gut, dass Steinmeier im Dezember 2013 den Denkprozess "Review 2014" angestoßen hat, um zu klären, welche Schwerpunkte und Prioritäten Deutschland in seiner Außen- und Sicherheitspolitik setzen sollte und welches die außenpolitischen Themen der Zukunft sind. Erste Ergebnisse von Expertenbeiträgen werden jetzt innerhalb des Auswärtigen Amtes diskutiert. Bis ein solcher guter Ansatz in der realen Außenpolitik Früchte tragen kann, wird es noch länger dauern und die teilweise hochexplosive globale Welt bewegt sich mit zunehmender Geschwindigkeit weiter.

Und in dieser krisenreichen Zeit ist eine koordinierte, ressortübergreifende oder besser noch vernetzte deutsche Außen- und Sicherheitspolitik dringender denn je. Das können wir in Deutschland noch nicht so richtig.

Beispiel Ukraine-Krise: Kanzlerin Merkel nutzt weniger ihre Richtlinienkompetenz, um die deutsche Politik zu koordinieren, sie nutzt ihr Handy und telefoniert mit Putin, Sprecher Seibert lässt dann Politik und Öffentlichkeit an den Ergebnissen teilhaben. Außenminister Steinmeier hat seine wenig erfolgreichen Aktivitäten zum Offenhalten von Gesprächskanälen im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise etwas reduziert, wirkt aber gegenüber Moskau weiterhin unterwürfig. Wenn es nach Ministerin von der Leyen geht, soll die Bundeswehr in der Ost-Ukraine die Arbeit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) unterstützen. Im Gespräch ist der Einsatz unbemannter Aufklärungsdrohnen vom Typ "Luna", möglicherweise im Zusammenwirken mit Frankreich. Die SPD ist sauer über das Vorpreschen der Verteidigungsministerin in Sachen Friedensüberwachung. Steinmeier fühlt sich übergangen und besteht auf dem Primat der Diplomatie. Bundesentwicklungsminister Müller teilt derweil mit, dass bis Mitte Oktober über 100 Lastkraftwagen mit Hilfsgütern in der Ukraine eintreffen sollen. Der deutsche Konvoi soll mit Hilfsgütern im Wert von etwa 10 Millionen Euro vor allem die Menschen in den ostukrainischen Städten Charkow, Slawjans versorgen. Im Auswärtigen Amt herrscht starke Verwunderung, denn die Zuständigkeit  für humanitäre Hilfen liegt beim Außwärtigen Amt. Andere Ministerien sind erstaunt bis überrascht von der Aktion. Die Beispiele lassen sich aktuell durch unabgestimmte deutsche Politikansätze in Afrika und im Nordirak ergänzen.

Das ist die Beschreibung der koordinierenden Rolle des Auswärtigen Amtes in der Realität und gleicht einem Trauerspiel. Die Kanzlerin koordiniert nicht erkennbar und fordert keine vernetzte Politik. Die Verteidigungsministerin und der Entwicklungsminister können ihre Rolle auch deswegen in einer zwingend abzustimmenden gemeinsamen Krisenpolitik wohl noch nicht richtig einordnen. Und der Außenminister sollte nicht sauer sein, sich übergangen fühlen und auf den Primat der Diplomatie verweisen, er sollte endlich seiner Verantwortung für koordinierte, besser noch vernetzte Außen- und Sicherheitspolitik gerecht werden.

Wenn die Diskussionsergebnisse zum aktuellen Review 2014 in reale Politik umgesetzt werden, gelingt sicher auch der Schritt vom Außen-Illusionisten Steinmeier zu einem erfolgreichen deutschen Außenminister.

(12.10.2014)

 

 

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