Hans-Heinrich Dieter

Bedauernswertes Israel   (13.02.2014)

 

Der deutsche Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, hat eine "umstrittene" Rede in deutscher Sprache vor der Knesset gehalten. Umstritten ist die Rede in der mehr oder weniger kenntnisreichen Bewertung deutscher Medien und hinsichtlich der ausgelösten Gefühle israelischer Politiker im Spektrum zwischen rechtsextrem über rechtsradikal und ultraorthodox bis liberal. Natürlich muss der Redner die historische Verantwortung Deutschlands für den Holocaust und die latente Existenzbedrohung für den Staat Israel berücksichtigen. Er muss sich aber nicht in diplomatischen Plattitüden sowie feigen Schmeicheleien ergehen, sondern sollte Kritik in klaren Worten anbringen dürfen, ohne von israelischen Volksvertretern und sogar Regierungsmitgliedern angebrüllt und beleidigt zu werden.

Der EU-Parlamentspräsident hat Positionen des Europäischen Parlaments vertreten, klare Kritik an der israelischen Siedlungspoltik geäußert, die eingeschränkte Freizügigkeit der im Gaza-Streifen lebenden Palästinenser angesprochen, er hat moniert, dass die Israelis in den Palästinensergebieten möglicherweise mehr Wasser erhalten als die Palästinenser selbst und deutlich gemacht: "Wir als Europäerinnen und Europäer, als europäische Union, unterstützen die Vermittlung der Vereinigten Staaten von Amerika". Es gibt also überhaupt keinen Grund - wie von Israels Wirtschaftsminister Naftali Bennett gefordert - sich entschuldigen zu müssen.

Das Verhalten von Abgeordneten der siedlernahen Partei "Jüdisches Haus", die während der Rede von Schulz unflätig und beleidigend schimpfend das Plenum verlassen haben und die Einlassung von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu, der Schulz vorwarf, er erliege "wie so viele Europäer einer selektiven Wahrnehmung" mögen die Israelis und die internationale Öffentlichkeit beurteilen. Für mich ist dieser Eklat ein erneuter Beweis für Israels Kritikunfähigkeit und politisches Unvermögen.

Die Stellungnahme des ehemaligen israelischen Botschafters in Deutschland, Avi Primor, ist eindeutig. Aus seiner Sicht war es "eine sehr schöne, eine sehr gute Rede". Im Deutschlandfunk sagte er, die rechtsextremen Abgeordneten hätten nur auf eine gute Gelegenheit gelauert, Europa als antisemitisch darzustellen, weil sie die Nahost-Friedensverhandlungen grundsätzlich ablehnten. Primor bestätigt, "Dass Israelis mehr Wasser als Palästinenser bekommen, ...das stimmt ganz und gar." und " Wir leiden ja alle unter Mangel an Wasser. Nur wir, die Herrscher und die Besatzer, wir bedienen uns viel besser, als die Palästinenser es sich leisten können." In dem bemerkenswerten Interview bringt Primor auch zum Ausdruck, dass Netanjahu - trotz einiger Lippenbekenntnisse - und das rechte Lager die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern überhaupt nicht wollen, weil sie nicht bereit sind, auf die verstreuten Siedlungen in den besetzten Gebieten und auch nicht auf den Bau neuer Siedlungen zu verzichten. Darüber hinaus ist er der Überzeugung, "die wütenden Attacken gegen Martin Schulz, die kommen davon, dass die Israelis, diese rechtsextremistischen Israelis, die Siedler und die Siedlerparteien und die religiösen Parteien die Europäer fürchten, die Europäer fürchten, weil die Europäer Mittel zur Verfügung haben, Druck auf uns auszuüben, ...und die Europäer haben ziemlich viele Mittel zur Verfügung, da wir zunehmend von Europa wirtschaftlich und wissenschaftlich abhängig sind." Und aus seiner Sicht führen die Extremisten "jetzt diesen Kampf führen gegen Zugeständnisse in den besetzten Gebieten und besonders in Sachen Siedlungen und gegen Europa, das sie sowieso als Feind beschreiben." Dem Kenner der israelischen Verhältnisse darf man wohl glauben!

Die israelische Opposition kennt die Beweggründe des rechten Lagers natürlich auch sehr gut und zur Genüge.

Zehava Gal-On, Chefin der Meretz Partei, wirft denn auch Bennett und seiner Fraktion vor, sie hätten das Parlament als Institution beschädigt. Und auch der Oppositionsführer und Chef der Arbeitspartei Jizchak Herzog distanzierte sich: "Ich muss sagen, dass ich und meine Kollegen uns für die anderen Abgeordneten geschämt haben." Die Attacke galt ja auch immerhin einem deutschen Politiker, der am Vortag die Ehrendoktorwürde der Hebräischen Universität von Jerusalem für den Kampf gegen Antisemitismus und Intoleranz erhalten hatte. Außer Hardlinern und Betonköpfen gibt es in Israel auch kluge und moderate Politiker, die konnten bei den letzten Wahlen aber leider keine Mehrheit erzielen.

Der deutsche Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, hat zurecht Positionen des Europäischen Parlaments vertreten. Bei allem Verständnis für israelische Sensibilitäten, darf die Wahrheit nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden. Die EU muss weiterhin sehr deutlich machen, dass sie mit der Siedlungspolitik und der erkennbar unzureichenden Bereitschaft Israels, konstruktiv für Friedensverhandlungen auf der Grundlage einer Zweistaaten-Lösung einzutreten, nicht einverstanden ist. Die Europäische Union muss außerdem unzweifelhaft zeigen, dass sie sich von Politikern wie Netanjahu und Lieberman nicht hinhalten und an der Nase herumführen lässt. Und Europa muss den Druck auf Israel aufrechterhalten, um die Bemühungen der USA, allen voran Außenminister Kerry, zu unterstützen.

Die moderaten Politiker schämen sich zurecht für ihre rechtsradikalen Kollegen und sie müssen sich Sorgen machen, dass sich Israel immer mehr politisch isoliert. Verstärkte politische Isolation und eine zunehmende deutliche Unzufriedenheit der westlichen Welt mit israelischer Politik ist schlecht für die israelische Bevölkerung. Israel hat bessere Politiker verdient als Netanjahu/Lieberman/Bennett etc. - dazu müssen die Israelis allerdings bei nächster Gelegenheit die besseren Politiker wählen.

(13.02.2014)

 

Lesen Sie zum Thema auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/beleidigend.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/friedensfeindlich.html

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte