Hans-Heinrich Dieter

Bundeswehr und Bürokratie   (30.08.2015)

 

Die NATO reagiert konsequent auf die zunehmende Aggressivität Russlands unter Putin, das ist wichtig für das Bündnis und unsere osteuropäischen Partner.

Angesichts der wachsenden Spannungen mit Russland haben die NATO-Verteidigungsminister vor der Sommerpause erstmals seit Jahren auch über die Nuklear-Strategie Russlands diskutiert. Dabei ging es um eine aktuelle Analyse der russischen Nuklearfähigkeiten und die durch die NATO daraus zu ziehenden Konsequenzen. Das westliche Verteidigungsbündnis wird wohl eine neue Abschreckungsstrategie entwickeln müssen, die neben konventionellen auch nukleare Fähigkeiten einschließt. Es wurde auch beschlossen, die neue Eingreiftruppe der NATO noch schneller zu machen, damit diese "Speerspitze" auch wie geplant binnen 48 Stunden am Einsatzort sein kann. Um dieses Ziel zu erreichen sollen auch die Entscheidungsabläufe im NATO-Rat so beschleunigt werden, dass über einen Kriseneinsatz innerhalb eines Tages entschieden werden kann. Dazu wird die Stärke der NATO Response Force auf 30.000 Soldaten verdoppelt und detaillierte Eventualfallpläne für NATO-Einsätze in Osteuropa und im Baltikum erarbeitet. Inzwischen wurde die Einsatzbereitschaft der "Speerspitze" mit maßgeblichen Anteilen der Bundeswehr bei einer Übung im Baltikum erfolgreich unter Beweis gestellt. Die NATO bemüht sich konsequent, den neuen politischen Realitäten gerecht zu werden und tut viel, um zur Professionalität der Zeiten vor den Friedensdividenden-Träumen zurückzufinden. Damit die NATO Erfolg hat, müssen ihre Mitglieder diese konsequente Politik unterstützen und die jahrelange Unterfinanzierung ihrer Streitkräfte beenden sowie deren Einsatzfähigkeit erhöhen. Das gilt besonders auch für Deutschland und seine Parlamentsarmee.

2011 hat die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) eine interessante Studie zur Effizienz europäischer Armeen veröffentlicht. Der Bericht macht deutlich, dass die Bundeswehr lediglich 7.000 Soldaten einsetzen kann, während es bei den britischen Streitkräften 22.000 und bei der Grande Armée 30.000 Soldaten sein sollen. Das vereinfachte Ergebnis der Studie: die Bundeswehr ist im Vergleich der europäischen Armeen äußerst ineffizient. Besonders wichtig sind im Zusammenhang mit der derzeitigen "Neuausrichtung" der Bundeswehr folgende haarsträubende Personalverhältnisse und Kostenrelationen: Gemäß "Wirtschaftswoche", die sich auf die EU-Studie beruft, stehen hinter jedem Bundeswehrsoldaten im Einsatz 35 Soldaten und 15 zivile Mitarbeiter in Deutschland für den Grundbetrieb und zur Unterstützung. Bei den Franzosen stehen hinter jedem Einsatzsoldaten acht Soldaten und zwei zivile Mitarbeiter in der Heimat, bei den Briten sind es neun Soldaten und vier Zivilisten und EU-weit unterstützen 16 Soldaten und vier Zivilbedienstete die Soldaten im Einsatz. Nach der Studie der EDA liegen außerdem die Ausgaben pro deutschem Soldat im Einsatz mit 5,16 Millionen Euro dreimal so hoch wie im EU-Durchschnitt. Ursache für dieses Ergebnis sind Unterfinanzierung, die Mangelwirtschaft und die auch damit verbundene Bürokratie einer aufgeblähten Verwaltung.

Für die Soldaten des Panzergrenadierbataillons 371 aus dem sächsischen Marienberg mussten für den Speerspitzeneinsatz 1300 einsatzwichtige Waffen und Ausrüstungsgegenstände aus 56 anderen Verbänden ausgeliehen werden. Das Verfügbarkeitsmanagement, das dafür sorgt, dass Truppenteile für den Einsatz aus dem 70%-Bestand einsatzwichtigen Großgerätes zu 100 Prozent aufgerüstet werden, braucht viel Vorlauf, bürokratischen Aufwand und Zeit. Truppenverlegungen auf Straßen und Schienen erfordern lange Bearbeitungsfristen und die Bundesbahn, die kaum noch über Waggons für Panzertransporte verfügt, braucht lange Vorwarnzeiten, um Truppentransporte in den Fahrplan des DB-Netzes einzupassen. Beim Transport von Fahrzeugen, Munition und weiterer Ausrüstung auf der Straße muss die Bundeswehr nicht nur die Lenk- und Ruhezeiten einhalten und natürlich das Sonn- und Feiertags-Fahrverbot, sondern man braucht auch Sondergenehmigungen für den Transport von Kriegswaffen und grundsätzliche Genehmigungen für Marschkolonnen. Für die erforderlichen Transitgenehmigungen bei grenzüberschreitenden Verlegungen müssen zurzeit bis zu 30 Tage veranschlagt werden. Transitabkommen mit den baltischen Staaten gibt es bisher nicht. Für schnellen Lufttransport fehlen der Bundeswehr die geeigneten Transportmittel, denn die Transall ist dafür zu klein, die A400M sind noch nicht verfügbar und an dem leistungsfähigen kommerziellen Anbieter, Ruslan Salis GmbH, sind auch russische Unternehmen beteiligt und deswegen kann von einer Vertragskonformität nicht ausgegangen werden. Es nützt also wenig, wenn die wesentlichen Entscheidungsabläufe im NATO-Rat so beschleunigt werden, dass über einen Kriseneinsatz innerhalb eines Tages entschieden werden kann, wenn die Rahmenbedingungen für einen schnellen "scharfen" Einsatz der Speerspitze binnen 48 Stunden nicht gegeben sind.

Wenn die Anstrengungen der NATO um eine neue glaubwürdige Abschreckung - und damit Friedenserhaltung - nicht unterlaufen werden sollen, muss die Unterfinanzierung der meisten NATO-Armeen beendet werden. Deutschland muss sich Zug um Zug der vereinbarten jährlichen Verteidigungsinvestition von 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) annähern, die chronische Unterfinanzierung und daraus folgende Mangelwirtschaft beenden und zunächst die Vollausstattung der Truppenteile der Bundeswehr gewährleisten. Die Rahmenbedingungen für schnelle Verlegungen und Transporte in Deutschland und für Transit in Einsatzgebiete müssen geschaffen werden. Dazu werden auch Verfahren innerhalb der NATO und der NATO-Mitglieder zu harmonisieren sein. Die "Spar-Neuausrichtung" der Bundeswehr muss also einmal mehr nachgesteuert werden. Der entschiedene aber verschleppte Personalabbau der Zivilverwaltung ist endlich zu vollziehen. Die Bürokratie muss gezielt zurückgefahren werden, um Kosten und Aufwand zu sparen. Die Bundeswehr muss effizienter und für Einsätze deutlich besser befähigt werden.

Die Bundeswehr ist kein "Trümmerhaufen", wie viele der dafür verantwortlichen Politiker einst befunden haben, aber in einem "Weltklasseheer" dienen die Soldaten bisher nicht. Das braucht Zeit, große Anstrengungen und viel Geld.

(30.08.2015)

 

 

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