Hans-Heinrich Dieter

Bundeswehr der Zukunft?   (20.05.2021)

 

Die Bundeswehr hat zwanzig Jahre Reformen hinter sich – und ist nicht einsatzfähiger geworden! Denn in unserer mehrheitlich gefühlspazifistisch eingestellten Republik meint es die Politik nicht besonders gut mit ihren Streitkräften. Das wird sehr deutlich, wenn man sich mit dem politischen Wirken der erfolglosen oder unfähigen deutschen Verteidigungsminister*innen nach der Wiedervereinigung auseinandersetzt.

Keine/r dieser Inhaber/innen der Befehls- und Kommandogewalt hat es geschafft, Schröder oder Merkel dazu zu bewegen, für den mit der Wiedervereinigung souverän gewordenen Staat Bundesrepublik Deutschland verbindliche außen- und sicherheitspolitische Ziele formulieren oder strategische Grundlagen für die jeweiligen Auslandseinsätze - teilweise mit kriegsähnlichem Charakter - erarbeiten zu lassen. Die Weißbücher der Bundeswehr sind Ressortpapiere geblieben, die vom Parlament zur Kenntnis genommen aber nicht verabschiedet wurden. Unserer parlamentarischen Demokratie fehlen die politischen Grundlagen und damit einhergehend auch vielen Abgeordneten die intellektuelle Befähigung für die verantwortungsvolle Wahrnehmung des Primats der Politik gegenüber der Bundeswehr.

Und so trägt auch der Deutsche Bundestag eine Mitschuld an der unzureichenden Einsatzfähigkeit seiner „Parlamentsarmee“. Keine andere Volksvertretung hat in demokratischen Staaten das Recht, letztendlich über den Einsatz ihrer Streitkräfte zu entscheiden wie der Deutsche Bundestag. Nur der Bundestag kann verfügen, wann, wo, wie viele deutsche Soldaten mit welchem Auftrag - weltweit - eingesetzt werden. Mit diesem Recht sind aber auch Verpflichtungen und eine hohe Verantwortung verbunden. Wenn der Bundestag über den Einsatz von deutschen Soldaten entscheidet, dann sollte vorher vom Parlament definiert werden, welche vitalen Interessen zum Wohle des Gemeinwesens nötigenfalls mit dem Einsatz deutscher Soldaten vertreten werden sollen. Eine solche Definition sicherheitspolitischer Interessen gibt es bisher nicht - das ist ein wirklich krasses Versäumnis auch der deutschen Volksvertretung!

Und nun hat Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer Eckpunkte zur „Bundeswehr der Zukunft“ verkündet. Da kann man sich als alter Soldat das Stöhnen in der Truppe nur zu gut vorstellen: „Schon wieder eine nicht zu Ende gedachte, nutzlose Reform!“ Und die Sorge der Truppe ist nicht unbegründet, denn sie stellt berechtigt auch die Frage nach dem Zeitpunkt. Stäbe und Truppe sind mit dem Rückzug aus Afghanistan gut ausgelastet und dazu kommen noch die vielfältigen Corona-Aktivitäten sowie die zahlreichen Auslandseinsätze. Darüber hinaus steht die Bundestagswahl vor der Tür. Die Wahrscheinlichkeit einer Koalition unter Führung der CDU/CSU ist derzeit nicht sehr hoch. Was wird denn aus einer mühsam angelaufenen Reform, wenn Grün/Rot/ROT Deutschland politisch in ein „Berliner Chaos“ verwandelt? Darüber hinaus sind die „Eckpunkte“ im Parlament noch überhaupt nicht diskutiert und die Kommunikation in die Öffentlichkeit sowie in Parlament und Politik war so grottenschlecht, dass sogar die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag lautstark unzufrieden ist mit diesem Beweis der Untauglichkeit von AKK für ihr schweres Amt.

Die Bundeswehr erfüllt in einem Dutzend Auslandseinsätzen erfolgreich und wertgeschätzt militärische Aufträge und trägt bei Großübungen der NATO teilweise maßgeblich zum Erfolg bei. Außerdem zeigte die Führung der „Very High Readiness Joint Task Force”, VJTF, in 2019, dass die Bundeswehr Landes- und Bündnisverteidigung noch kann – allerdings nicht aus homogenen Strukturen heraus. Die Soldaten erfüllen ihre Aufträge professionell aber unter meist erschwerten Bedingungen – mit zusammengeliehenem Material und personell zusammengestellten Kontingenten. Doch das ist nicht Schuld der Streitkräfte, sondern das Ergebnis jahrelanger Unterfinanzierung, des unorganisierten Aussetzens der Wehrpflicht sowie der Personalreduzierung der Streitkräfte im Rahmen der unsäglichen „Friedensdividende“. Und dann werfen einige Medien den „kaputtgesparten Streitkräften“ vor, dass sie von der bis 2031 zu erreichenden Vollausstattung noch sehr weit entfernt sind. Die Streitkräfte haben für das Wiederherstellen der Einsatzfähigkeit nach NATO-Kriterien bis 2031 ein gebilligtes Konzept. Der Verteidigungshaushalt 2021 sowie die dazugehörige mittelfristige Finanzplanung 2022-24 machen das Erreichen dieses Zieles aber finanziell erneut unmöglich. Denn es fehlt die für das Gewährleisten einer Vollausstattung erforderliche, finanziell abgesicherte Planbarkeit!

Deswegen ist für mich in den ziel- und zukunftsorientiert formulierten „Eckpunkten“ die folgende Ausführung der Zeit angepasst und besonders wichtig: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Wir befürworten daher ein Bundeswehrplanungs-gesetz, das Planungssicherheit schafft, eine langfristige und ausgewogene Modernisierung der Bundeswehr erlaubt und dabei die in einer Großorganisation notwendige Flexibilität bietet. Ein Bundeswehrplanungsgesetz muss dazu beitragen, dass Sicherheit weniger von konjunkturellen Schwankungen und kurzfristigen Änderungen politischer Stimmungsbilder abhängt, sondern als Kernaufgabe des Staates über einen längeren Zeitraum verlässlich finanziell gesichert ist. Ein Bundeswehrplanungsgesetz muss einerseits eine zuverlässige Grundlage für die Finanzierung wesentlicher, im gesamtstaatlichen Interesse stehender Großvorhaben bieten, gerade wenn diese eine internationale oder multinationale Komponente haben.“ Ohne ein solches Bundeswehrplanungs-gesetz wird die Einsatzbereitschaft bis 2031 nicht hergestellt werden können – und dann nutzen auch arbeits- und kostenintensive Reformen nichts.

Denn der Bundeshaushalt 2021 mit der mittelfristigen Finanzplanung bis 2024 steht fest. Der Bundestag hat für 2021 einen Verteidigungshaushalt in Höhe von 46,93 Milliarden Euro entschieden, was einem Anteil von weniger als 1,5 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) entspricht. Das ist zwar eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr, aber deutlich weniger, als mit der NATO vereinbart sowie unzureichend im Hinblick auf die geplante Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte bis 2031. Und die mittelfristige Finanzplanung für die Jahre 2022-2024 zeigt dann sogar erneut eine leicht fallende Tendenz auf, so dass Deutschland weiterhin weit von dem vereinbarten Ziel der NATO entfernt bleibt, wonach die Mitgliedstaaten ihre Militärausgaben bis 2024 auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen sollen.

Die Zahlen machen das sehr deutlich:

2021: Verteidigungshaushalt, 46,93 Mrd; Finanzbedarf gem. Konzept, 54,7 Mrd

2022: Finanzplanung, 46,8 Mrd; Finanzbedarf gem. Konzept 57,4 Mrd

2023: Finanzplanung, 46,1 Mrd; Finanzbedarf gem. Konzept 58,4 Mrd

2024: Finanzplanung, 46,1 Mrd; Finanzbedarf gem. Konzept 59,1 Mrd

2021 liegt der entschiedene Verteidigungshaushalt knapp 8 Mrd Euro unter dem dringenden Bedarf für die geplante Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft. Und mittelfristig sind 2022-24 35,9 Mrd weniger geplant als nach dem gebilligten Konzept für die Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft nach NATO-Kriterien erforderlich wäre. Vom Willen zur vereinbarten allmählichen Steigerung der Investitionen in Richtung 2 Prozent vom BIP kann da überhaupt keine Rede mehr sein. Da helfen keine Zukunftsvisionen, sondern ausschließlich an der Realität orientierte Sicherheitspolitik, die finanziell unterlegt ist!

Eine verlässlich finanzierte Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte bis 2031 kann die Bundeswehr aus den derzeitigen Strukturen leisten. Das reduziert gleichzeitig die anfallenden Kosten und hält die Belastungen der Truppe in vertretbaren Grenzen. Wirklich dringende Reformen im Hinblick auf Außen- und Sicherheitspolitik sind für die Vereinten Nationen, für die Europäische Union und für die NATO in die Wege zu leiten. Deutschland muss diese Reformen begleiten, die „Eckpunkte“ im Parlament und in der Öffentlichkeit diskutieren und dann die für die Bundeswehr erforderlichen Zukunftsentwicklungen definieren sowie parlamentarisch entscheiden. Und nur auf dieser Grundlage wird es auch möglich sein, das erforderliche Bundeswehrplanungsgesetz zu verabschieden. Die zukunftsorientierte Reform der Bundeswehr kann dann in der neuen Legislaturperiode die dringenden Reformen der UN, EU und NATO begleitend erfolgen. Schließlich wird die in den „Eckpunkten“ skizzierte zukünftige Organisations- und Führungsstruktur erst mit der Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte für 2031 gebraucht und kann daher die Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit begleitend eingenommen werden.

Ein solcher pragmatischer Ansatz spart erhebliche Kosten, reduziert den Arbeitsaufwand und hält die Belastungen der Truppe im Zusammenhang mit Einsatzverpflichtungen in vertretbaren Grenzen. Und dann muss man auch für die Soldaten und zivilen Mitarbeiter keine Sorge entwickeln, dass eine Hals- über Kopf reformierte Bundeswehr nicht schon nach kurzer Zeit unter geänderten politischen Rahmenbedingungen erneut gewogen, dann für zu leicht befunden wird – und nachjustiert werden muss!

(20.05.2021)

 

 

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