Hans-Heinrich Dieter

Deutsche Einheit   (04.10.2019)

 

Im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum 29. Tag der deutschen Einheit hat Bundeskanzlerin Merkel das Ende der DDR als eine Revolution im Geiste der Freiheit bezeichnet. Aber dennoch müsse man auch verstehen, dass die Einheit für viele Menschen in Ostdeutschland nicht nur eine positive Erfahrung sei. Und in einigen Medien wird Merkel dafür gelobt, dass sie auch traurige Tatsachen angesprochen und hervorgehoben hat, dass die staatliche deutsche Einheit vollendet sei, die Einheit der Deutschen aber nicht. Die deutsche Einheit bleibe ein fortwährender Prozess und ständiger Auftrag.

Da hat die Kanzlerin in Teilen Recht, denn einer Emnid-Umfrage zufolge nimmt nur die Hälfte der deutschen Staatsbürger Deutschland als geeintes Land wahr. 50 Prozent der 501 Befragten sehen Deutschland als vereinigtes Land, 47 Prozent nicht. Das ist 30 Jahre nach dem Mauerfall ein trauriges Ergebnis und gleichzeitig eine Aufforderung an alle mündigen Bürger, die offensichtlich noch intakte Mauer in den Köpfen abzubauen. Leider mangelt es aber bei Teilen der deutschen Bevölkerung - in West und Ost – an politischer Bildung und damit an der für eine stabile Demokratie unabdingbaren erforderlichen Mündigkeit.

Dazu ist es wichtig, die Ursachen für diese Haltungen und Einstellungen zu ergründen. Ehemalige Untertanen des Unrechtsstaates DDR sehen sich meiner Ansicht nach in einer permanenten Opferrolle, Opfer der Wärter des Staatsgefängnisses DDR, Opfer der Stasi und schließlich Opfer der Vereinigung der beiden ungleichen Staaten unter dem Diktat der Wessis. Und so fühlen sich viele ostdeutschen Bürger heute wohl als Bürger zweiter Klasse und vergessen leichtfertig, dass die DDR vor dem Beitritt zum Geltungsbereich des Deutschen Grundgesetzes vor dem Staatsbankrott stand und die westdeutschen Bürger sehr große Anstrengungen unternehmen mussten, um dieses marode Staatsgebilde – unter Vernachlässigung wichtiger Investitionen in strukturschwachen Regionen westlicher Bundesländer - in einen Überlebensmodus zu bringen und dann in einen funktionierenden Teil unserer demokratischen Gesellschaft zu verändern. In ihrer Larmoyanz vergessen solche Bürger, dass viele von ihnen Mitläufer oder Täter im Unrechtsstaat DDR waren und es sich so gut eingerichtet hatten, dass heute die DDR-Vergangenheit teilweise ostalgisch verklärt wird. Das Leben in unserer freiheitlichen Demokratie wird dagegen offensichtlich von nicht wenigen als eher schwierig, anstrengend und belastend empfunden. Westdeutschen Bürgern hingegen missfällt offensichtlich die Larmoyanz, die Ostalgie, die Undankbarkeit und die Neigung nicht weniger ostdeutscher Bürger zu entweder kommunistischer oder rechtsradikaler undemokratischer Einstellung.

In diesen Zusammenhängen warnte die Kanzlerin davor, ähnlich wie zu DDR-Zeiten „die Ursache für Schwierigkeiten und Widrigkeiten vor allem und zuerst beim Staat und den sogenannten Eliten“ zu suchen. Hier zeigt sich, dass sich Merkel noch nicht ganz von ihrem einstmaligen Denken als Beauftragte für Propaganda und Agitation an der Akademie der Wissenschaften der DDR befreit hat. Wo anders als beim Politbüro des diktatorischen Unrechtsstaates oder bei der Stasi sollte der DDR-Untertan denn die Ursache für Schwierigkeiten und Widrigkeiten suchen als beim „Unrechtsstaat“? In unserer repräsentativen Demokratie liegen die politischen Dinge anders. Der Bürger wählt die politischen Repräsentanten seines Vertrauens in freier und geheimer Wahl. Wenn dieses Vertrauen durch schlechte oder unzureichende Politik missbraucht oder gestört wird, dann muss der Bürger seine Unzufriedenheit artikulieren und sich möglicherweise bei der nächsten Wahl anders entscheiden. Der Bürger hat ein Recht auf Politik zu seinem Wohl. Und die deutschen Politiker haben die Pflicht Politik zum Wohl des deutschen Volkes zu machen.

Nur mit guter und erfolgreicher Politik zum Wohl des ganzen deutschen Volkes ist die offensichtlich noch intakte Mauer in zu vielen deutschen Köpfen abzubauen. Das sollten sich die Politiker, denen wir mehrheitlich das Vertrauen geschenkt haben, in engem Kontakt und gedanklichem Austausch mit den Bürgern ernsthaft vornehmen!

(04.10.2019)

 

 

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