Hans-Heinrich Dieter

Deutsche InterventionsfĂ€higkeit   (07.09.2020)

 

Am 06.09.2020 stellt Martin JĂ€ger, StaatssekretĂ€r im Bundesministerium fĂŒr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in einem Gastbeitrag fĂŒr die FAZ die ungewöhnliche Forderung nach einer deutschen InterventionsfĂ€higkeit. JĂ€ger begrĂŒndet das mit einer neuen globalen strategischen Lage und dem RĂŒckzug der USA aus der Rolle des Weltpolizisten: „Die Vereinigten Staaten spannen bestenfalls weiter ihren nuklearen Schirm ĂŒber die Nato, Europas Flanken im SĂŒdosten und am Mittelmeer bewachen die Amerikaner nicht mehr. Diese Aufgabe fĂ€llt jetzt den EuropĂ€ern zu.“ … „Resignativer Pazifismus hat darauf keine Antwort. Auch mit der Anrufung von wirtschaftlicher StĂ€rke und „soft power“ ist es nicht getan. Die Bundesrepublik muss ihr VerhĂ€ltnis zur Intervention ĂŒberdenken.“ … „WofĂŒr sollte Deutschland intervenieren? Zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, zum Schutz eines Partnerlandes und unserer Handelswege.“ Und JĂ€ger wertet abschließend: „Es fehlt uns nicht an militĂ€rischen FĂ€higkeiten, politischer Wille zĂ€hlt!“

Es ist grundsĂ€tzlich zu begrĂŒĂŸen und richtig, wenn ein leitender deutscher Politiker angesichts der aktuell schwierigen politischen Rahmenbedingungen aufgrund des politischen, teilweise militĂ€rischen und vor allem moralischen Abdankens der USA als westliche FĂŒhrungsmacht von der EU und von Deutschland mehr außen- und sicherheitspolitisches Engagement fordert. Die Vorstellungen von einer wirksamen europĂ€ischen – einschließlich einer deutschen – InterventionsfĂ€higkeit sind mittelfristig illusorisch und berĂŒcksichtigen weder die politische noch die militĂ€rische RealitĂ€t in Europa.

Was haben „die EuropĂ€er“ als Grundlage fĂŒr eine InterventionsfĂ€higkeit anzubieten? „Die EuropĂ€er“ gibt es derzeit nicht. Die EuropĂ€ische Union ist durch nationalistische Tendenzen zu gemeinsamem und solidarischem Handeln nicht fĂ€hig. Die EU zersplittert in Ost-West-Interessen sowie Nord-SĂŒd-LeistungsfĂ€higkeit und wird durch den Brexit erheblich geschwĂ€cht. Die EU hat keine gemeinsamen außen- und sicherheitspolitischen Interessen und Vorstellungen, eine EuropĂ€ische Armee ist Illusion! EuropĂ€ische Verteidigungsanstrengungen bleiben mittel- bis langfristig nur im Rahmen der NATO glaubhaft und wirksam. Und ohne strukturelle Reformen wird die EU auch handlungs- und durchsetzungsunfĂ€hig und damit erpressbar sowie Spielball von Groß- und SupermĂ€chten bleiben. Deswegen muss sich Europa nun entscheiden, was es zukĂŒnftig wirklich will. Und die EU muss sich reformieren und weiterentwickeln von einer friedensstiftenden Nachkriegs-Wirtschaftsunion zu einer wirklich entscheidungsfĂ€higen Solidargemeinschaft und zu einem international handlungsfĂ€higen außen- und sicherheitspolitischen Akteur mit leistungsfĂ€higen politischen und militĂ€rischen Instrumenten, die sie auf der Grundlage einer Gesamtstrategie zur Wirkung bringen kann. Davon ist die EU meilenweit entfernt!

Und Deutschland hat sich zu einem sicherheitspolitischen Zwerg zurĂŒckentwickelt, der seine „Parlamentsarmee“ nach der Wiedervereinigung derart kaputtgespart hat, dass es bei entsprechender mittelfristiger Finanzplanung mindestens bis 2031 dauern wird, bis die StreitkrĂ€fte wieder eine EinsatzfĂ€higkeit haben wird, die im Hinblick auf die BĂŒndnisverteidigung wieder dem Artikel 5 des NATO-Vertrages entspricht. Da muss ein Beitrag zu einer einsatzfĂ€higen – oder gar interventionsfĂ€higen - EuropĂ€ischen Armee zurĂŒckstehen. Deutschland muss alles daran setzen, um in der EU und in der NATO wieder ein glaubhafter und verlĂ€sslicher Partner zu werden, der seine Vereinbarungen erfĂŒllt, sich bei schwierigen MilitĂ€reinsĂ€tzen nicht verweigert, seine Energiepolitik mit der EU besser abstimmt und sich insgesamt stĂ€rker in eine gemeinsame EU-Politik einbringt. Deutschland fehlt es aber leider derzeit noch an militĂ€rischen FĂ€higkeiten und bei vielen BĂŒrgern und Politikern auch am politischen Willen zu einem verantwortungsbewussten sicherheitspolitischen Engagement in der EU und mit der NATO!

Als einziges EU-Mitglied verfĂŒgt Frankreich ĂŒber vergleichsweise marginale NuklearfĂ€higkeiten und mit einem FlugzeugtrĂ€ger ĂŒber stark eingeschrĂ€nkte InterventionsfĂ€higkeiten. Der Wille der Grande Nation zur Intervention hauptsĂ€chlich in den ehemaligen französischen Kolonien ist grundsĂ€tzlich vorhanden, die FĂ€higkeiten sind aber sehr begrenzt.

Die anderen EU-Mitglieder verfĂŒgen ebenfalls nur ĂŒber stark eingeschrĂ€nkte militĂ€rische FĂ€higkeiten, die eventuelle europĂ€ische InterventionsaktivitĂ€ten nur sehr unzureichend unterstĂŒtzen könnten.

Die NATO hat daher fĂŒr die Sicherheit Europas weiterhin die grĂ¶ĂŸte Bedeutung. FĂŒr die USA des PrĂ€sidenten Trump ist die EU inzwischen Gegner, sie werden aber sehr wahrscheinlich Mitglied der NATO bleiben und weiterhin ihren nuklearen Schirm ĂŒber die transatlantische Allianz spannen, aber europĂ€ische Interessen dabei möglicherweise nicht genĂŒgend berĂŒcksichtigen. Deswegen muss die NATO unbedingt als militĂ€risches BĂŒndnis mit einem verstĂ€rkten europĂ€ischen Einfluss erhalten werden, das gesamtpolitisch agiert und den Dialog sowie die Zusammenarbeit der Demokratien beiderseits des Atlantiks aktiv hĂ€lt und zur Koordinierung der Politik im Sinne unserer westlichen Wertordnung beitrĂ€gt. Die europĂ€ischen NATO-Mitgliedstaaten mĂŒssen aber fĂŒr ihre Selbstbehauptung und Ă€ußeren Sicherheit deutlich mehr tun, sich vom militĂ€rischen Schutz der Amerikaner unabhĂ€ngig machen und sie mĂŒssen berechtigte Bedingungen der USA fĂŒr die weitere Zusammenarbeit in der NATO mittelfristig anerkennen. Eine europĂ€ische InterventionsfĂ€higkeit wird sich allenfalls nur sehr langfristig entwickeln lassen!

(07.09.2020)

 

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Zum Artikel von JĂ€ger:

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/deutschland-sollte-interventionsfaehig-sein-neue-strategische-lage-16938806.html?GEPC=s9&fbclid=IwAR3N_AHqXVU3rJzhlTlUerJrFHKi41GrG4DVJ4KQuFS2J5X1527TZ-VW9wc

 

 

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