Hans-Heinrich Dieter

Deutsche politische Führung (20.01.2012)

 

Die deutschen Bürger und viele Medien, besonders aber natürlich die Opposition, beklagen mangelnde politische Führung durch die schwarz-gelbe Koalition. Ein Koalitionsvertrag und Parteitagsergebnisse reichen offenbar nicht als Grundlage für nachhaltige politische Führung.

Die Staaten der Europäischen Union und der Euro-Zone, denen das Wasser derzeit Unterkante-Oberlippe steht, beklagen heute deutsche Untätigkeit, Zögerlichkeit und mangelnden Führungswillen, meinen damit aber eher die deutsche Übernahme weitergehender Verpflichtungen und höheren deutschen Einsatz zur Lösung der Finanz- und Schuldenkrise. Wenn Deutschland allerdings mit oder auch ohne Frankreich politische Führung in der Krise nur andeutet, werden sofort in den südeuropäischen und britischen Medien Klischees von Pickelhaube und Bismarck bemüht und Merkel mit Hiltlerbärtchen und SS-Uniform abgebildet. Unsere verhängnisvolle Geschichte bringt dieses Dilemma zwangsläufig mit sich.

Und es fehlt natürlich nicht an guten Ratschlägen von Altkanzlern, deutsche Führung nicht zu übertreiben bzw. das letzte und kleinste EU-Mitglied in den Konsens einzubinden. Da stellt sich die Frage, vor welchem Erfahrungshintergrund deutscher politischer Führung diese älteren Herren ihre Ratschläge formulieren.

Der Blick in die jüngere deutsche Geschichte zeigt, dass sich die deutschen Regierungen bis zur Vereinigung Deutschlands in der eingeschränkten Souveränität gut eingerichtet hatten, sich willig in multinationale Entscheidungsstrukturen einbrachten und mit Hinweis auf die deutsche Geschichte internationale sicherheitspolitische Verpflichtungen mieden. Weil Deutschland international nicht führen wollte, hat es auch seine vitalen außenpolitischen und sicherheitspolitischen Interessen nicht definiert und keine Außenpolitischen Konzepte formuliert. Deutschland war lieber "Mitglied" und hat während des kalten Krieges im transatlantischen Rahmen, in der NATO und in der EU musterschülerhaft "mitgemacht". Ein Führungsanspruch an Deutschland wurde lediglich von Präsident Bush 1989 im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung formuliert, als er eine "Partnership in Leadership" anbot. Deutschland fühlte sich geehrt aber gleichzeitig überfordert und von der damit verbundenen Verantwortung abgeschreckt.

Auch nach der deutschen Vereinigung und Souveränität hat Deutschland keine eindeutigen und verbindlichen politischen Ziele, Vorgaben und Konzepte definiert und so fehlen Grundlagen für eine nachhaltige politische Führung Deutschlands und erst recht fehlen politische Vorstellungen zur Übernahme einer Führungsrolle im europäischen Rahmen. Die Herren Altkanzler waren nie einem Führungsanspruch Europas an Deutschland ausgesetzt, wie er sich seit der Finanzkrise 2008 in Europa mit globalen Auswirkungen entwickelt hat und konnten sich daher diesbezüglich weder bewähren, noch Erfahrungen sammeln.

In der heutigen politischen Lage kann sich das mit Europa stark verwobene Deutschland als wirtschaftsstärkste aber exportabhängige Mittelmacht nicht mehr in europäischen Beratungsstrukturen verstecken und nur freundlich mitmachen, wenn es seine Interessen wahrnehmen will. Deutschland ist nun einmal nicht gleich unter Gleichen sondern muss seine Rolle als zumindest ein Primus inter Pares annehmen und gestalten. In diesem Sinne meint Führung ja auch nicht, dass Europa am deutschen Wesen genesen soll. Deutschland muss lediglich seine Interessen in Europa unter Berücksichtigung der Vorstellungen und Interessen der anderen Partner und des gesetzten Rahmens der Grundlagen und Institutionen der Europäischen Union nachdrücklich wahrnehmen.

Dazu muss Deutschland seine vitalen politischen Ziele und Interessen in und für Europa, auch für die europäischen Partner nachvollziehbar, formulieren, damit deutsche Politik weniger beliebig, sondern grundsatzorientierter wird und damit immer dann, wenn von Deutschland nachhaltige Führung in Europa erwartet wird, die jeweilige Politik auch vertrauensvoll als "europäisch" verstanden werden kann. Angstgetriebene, schlecht begründete, hektische und mit den europäischen Partnern nicht abgestimmte Politik wie die deutsche Energiewende ist in dem Zusammenhang kontraproduktiv, schafft Misstrauen und könnte mit stärkerer und seriöser Grundsatzorientierung vermieden werden.

Um in Europa auch zukünftig erfolgreich zu sein, hat Deutschland also mit nur wenig Zeitreserven noch erhebliche und grundsätzliche politische Arbeit zu leisten. Das geht sehr weit über die ständigen Bemühungen um die Beruhigung der Finanzmärkte hinaus und schließt eine an langfristigen Zielen und Konzepten orientierte Sicherheitspolitik natürlich ein.

(20.01.2012)

 

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