Hans-Heinrich Dieter

Deutsche Soldaten in Afghanistan   (11.01.2013)

 

Das Jahr 2012 in Afghanistan war gut für die 4.300 deutschen Soldaten, denn es ist kein Gefallener zu beklagen. Ob das nun tatsächlich eine „Trendwende“ markiert, bleibt allerdings abzuwarten.

Der deutsche ISAF-Kommandeur in Nordafghanistan hebt hervor, dass sich die Sicherheitslage im deutschen Verantwortungsbereich in den vergangenen Monaten deutlich verbessert habe. Der Wehrbeauftragte Königshaus verweist auf eine deutlich verbesserte Ausrüstung der Soldaten. Und dem Regierungsbeauftragten für die Zusammenarbeit zwischen ISAF und afghanischen Sicherheitskräften, Ghani, zur Folge übernehmen afghanische Soldaten und Polizisten die Verantwortung für die Sicherheit im Land schneller als erwartet. Die vorletzte Phase der Ãœbergabe der Sicherheitsverantwortung sei eingeläutet. Nach Abschluss dieser Phase sollen dann fast 90 Prozent der Bevölkerung in Gebieten leben, in denen afghanische Sicherheitskräfte zuständig sind. Nato-Generalsekretär Rasmussen freute sich über Ghanis Ankündigung als „bedeutenden Schritt“ zur vollständigen Ãœbergabe der Verantwortung in den nächsten zwei Jahren und sagte: „Das ist das Ergebnis des Fortschritts, den wir gemeinsam erzielt haben“.

Das alles passt in die sicherheitspolitische Zeitplanung und klingt sehr gut!

Zu Euphorie gibt es aber keinen Anlass, denn vor der ISAF und den deutschen Soldaten liegen große Herausforderungen. Das deutsche Kontingent wird um zunächst 1.100 Soldaten reduziert, ein gesicherter Rückzug gigantischen Ausmaßes ist zu planen und in die Wege zu leiten, die Sicherheit der eigenen Kräfte, aber auch der afghanischen Bevölkerung ist zu gewährleisten - und sei es teilweise „nur“ in der Unterstützungsrolle - und das alles ist unter weiterhin „kriegsähnlichen Bedingungen“ und mit abnehmender militärischer Unterstützung durch die US-Streitkräfte zu leisten. Die Ausrüstung der deutschen Truppen mag sich in Teilen verbessert haben, Aufklärungskapazitäten und eigene Luftbeweglichkeit - taktischer Lufttransport, Luftnahunterstützung durch Hubschrauber und Luftrettung – sind weiterhin höchst unzureichend für eigenständige Operationsführung. Die Taliban wissen, dass die Deutschen teilweise keinen Ersatz für die kriegstüchtigen US-Truppen und ihre kriegswirksame Ausrüstung zu bieten haben. Und die Taliban wissen genau, wann und wo auch Deutschland aus innenpolitischen Gründen Kampf-Truppen reduziert. Und die Taliban wissen auch, wann Deutschland frühestens Hubschrauber des Typs NH-90 und den Tiger in Afghanistan in welchen Stückzahlen wirksam zum Einsatz bringen kann. Das macht die Lage nicht stabiler. Darüber hinaus ist das Mandat des Bundestages mit relativ starr festgelegten Personalgrenzen zu wenig flexibel, um auf Lageverschlechterungen schnell und angemessen reagieren zu können – sollten die Taliban die Lageentwicklung zu ihrem Vorteil nutzen wollen.

Die schlechten afghanischen Rahmenbedingungen für die militärische Auftragserfüllung kommen deutlich erschwerend dazu. Der innerafghanische Versöhnungsprozess kommt nicht voran, auch weil die Taliban nicht wirklich gesprächsbereit sind. Eine hohe Gefährdung Afghanistans durch die Taliban aus Pakistan ist weiterhin gegeben. Der für langfristige Stabilität wichtige Iran ist in politische Gespräche bisher nicht eingebunden. Die Taliban in Afghanistan sind geschwächt aber nicht „besiegt“ und insbesondere in Regionen mit paschtunischer Bevölkerungsmehrheit geben die Taliban mehr oder weniger den Ton an und treiben weiterhin ihr Unwesen. Deswegen ist die Sicherheitslage auch nicht stabil sondern weiterhin sehr fragil. Die Zahlen der UNAMA belegen, dass es im August 2012 die zweithöchste Zahl an zivilen Opfern seit des ISAF-Einsatzes gegeben hat und außerdem sind die Probleme mit der Bedrohung der ISAF-Truppen durch afghanische „Innentäter“ sowie eingeschleusten Taliban und mit der hohen Desertionsrate afghanischer Sicherheitskräfte nicht behoben.

Der Stand der gesellschaftlichen und staatlichen Entwicklung Afghanistans erschwert die Aussicht auf eine erfolgreiche „Übergabe in Verantwortung“ ebenfalls erheblich. Im Hinblick auf gute Staatlichkeit, eine funktionsfähige Verwaltung, die Bekämpfung der ausgeuferten Korruption und die Eindämmung der Drogenproduktion ist Afghanistan nicht gut oder überhaupt nicht vorangekommen. Außerdem ist die afghanische Bevölkerung mehrheitlich gegen die fremden „Besatzungstruppen“ eingestellt. Und das wirft erhebliche Probleme hinsichtlich der Planung für die Unterstützung Afghanistans nach 2014 auf. Der letzte Fortschrittsbericht der Bundesregierung liest sich angesichts dieser Lage etwas weichgezeichnet. Politische Weichzeichnungen erschweren aber eine realistische Lagebeurteilung und die politischen und militärischen Schlüsse zur Bewältigung der großen Herausforderungen der nächsten Zukunft. Der Bundespräsident hat bei seinem Besuch in Afghanistan mit Recht eine ehrliche und an der Realität orientierte Analyse sowie ungeschminkte Information über den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan gefordert.

In diese Lage passen die Medienveröffentlichungen dieser Woche nicht so recht ins Konzept. Karsai ist in Washington und im Vorfeld hatte der Sicherheitsberater des US-Präsidenten gesagt, es sei unklar, ob nach Ende des internationalen Kampfeinsatzes 2014 noch US-Soldaten in Afghanistan bleiben. Die USA und ihre Nato-Verbündeten haben mit der afghanischen Regierung vereinbart, dass alle ausländischen Kampftruppen bis Ende 2014 das Land verlassen. Nach der vollständigen Übergabe an die einheimischen Kräfte sollen einem zwischen Washington und Kabul geschlossenen Partnerschaftsabkommen zufolge US-Soldaten aber weiterhin afghanische Truppen ausbilden und in den Kampf gegen Extremisten eingreifen. Über die genauen Bedingungen wird derzeit verhandelt. Präsident Obama und Karsai wollen am 11.01.2013 in Washington über den Übergangsprozess und die künftige Stärke der US-Truppen beraten.

Die Bundesregierung wurde durch solche Meldungen überrascht und bezeichnete einen vollständigen amerikanischen Truppenabzug aus Afghanistan als unrealistisch. Solche deutschen Bewertungen sind natürlich auch durch erhebliche Bedenken geprägt, denn Deutschland hat Afghanistan sehr weitgehende - auch militärische - Unterstützungszusagen für die Zeit nach 2014 gemacht, sieht sich aber wohl nicht in der Lage, die Sicherheit deutschen Personals aus eigener Kraft zu gewährleisten. Die FDP-Verteidigungspolitikerin Hoff sagte in diesem Zusammenhang am 09.01.2013 in Berlin, ein vollständiger US-Abzug nach 2014 könnte auch das Ende des Bundeswehreinsatzes am Hindukusch bedeuten, weil sie nicht über die notwendigen Transport- und Schutzmaßnahmen verfügten. Die Bundeswehr in Afghanistan sei auf die Unterstützung durch amerikanische Hubschrauber angewiesen. Das macht das deutsche sicherheitspolitische Dilemma deutlich. Wir sind sicherheitspolitisch nur eingeschränkt souverän und nur unzureichend handlungsfähig. Wie sagte General a.D. Egon Ramms neulich in einem Interview: "Wenn die Amerikaner im Norden abziehen, dann stehen die Deutschen mit ziemlich kurzen Röckchen da." Das würde grundsätzlich auch nach 2014 gelten.

Dabei ist ein stark reduziertes US-Engagement nach 2014 in Afghanistan durchaus nicht unrealistisch, denn Afghanistan ist ein souveräner Staat und wird fremde Truppen nach 2014 und ausgelaufenem UN-Mandat der afghanischen Gerichtsbarkeit unterstellen wollen. Solche Bedingungen werden die USA nicht akzeptieren und aus dem Irak haben sie bekanntlich ihre Soldaten gegen ihre ursprünglichen Absichten aus diesem Grund vollständig abgezogen. Da bleibt abzuwarten, welche Ergebnisse die Beratungen bringen. Wenn es nach den Taliban geht, ist der vollständige Abzug aller fremden Truppen ohnehin Bedingung für mögliche Erfolge im innerafghanischen Versöhnungsprozess.

Auch Deutschland hat - in eine höchst unsichere Entwicklung der afghanischen Zukunft hinein - in einem zunächst auf fünf Jahre angelegten Partnerschaftsabkommen Zusagen für eine langfristige Unterstützung beim Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte und im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Hilfe gemacht. Deutschland will Kabul Unterstützung in den Bereichen Bildung, Infrastruktur, beim Abbau von wertvollen Rohstoffen und beim Aufbau einer funktionierenden Justiz zukommen lassen. Deutschland knüpft die langfristigen Unterstützungszusagen allerdings an Bedingungen: Im Vorwort des Abkommens heißt es, Deutschland und Afghanistan seien sich einig in der "Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit", in den "Prinzipien einer guten Regierungsführung", hinsichtlich der "Reform der öffentlichen Verwaltung" und im Hinblick auf die Notwendigkeit der "Durchsetzung des Rechtsstaates". Eine Zeitachse für das Erreichen solcher "Oberziele" wurde allerdings nicht vereinbart. Und die zu leistende finanzielle Unterstützung wird erheblich sein. Von den jährlich über vier Milliarden Dollar für den Aufbau und Unterhalt der afghanischen Sicherheitskräfte will Deutschland einen Anteil von 190 Millionen Dollar übernehmen. Für die zukünftige wirtschaftliche Unterstützung und Entwicklungshilfe liegen noch keine Zahlen vor.

Und die Probleme, die Frau Hoff in solchem Zusammenhang anreißt, sind ja nicht von der Hand zu weisen, weil es für den Einsatz deutschen Personals nach 2014 noch viele offene Fragen gibt: Bedeutet der Rückzug der Truppen der internationalen Staatengemeinschaft 2014 tatsächlich das "Kriegsende", wie westliche Politiker glauben machen wollen? Wie sicher wird das Umfeld sein, in dem Unterstützung gewährleistet werden soll? Welche Rolle spielen die Taliban nach 2014? Wer gewährleistet die Sicherheit deutschen Personals? Wie viele deutsche Soldaten werden für die absehbare Aufgabe erforderlich sein? Werden Soldaten nach 2014 als unbewaffnete militärische Helfer stationiert oder werden sie zur Selbstverteidigung bewaffnet sein? Wird das Mentoring-Programm in geringerem Umfang weitergeführt? Welcher Gerichtsbarkeit werden deutsche in Afghanistan stationierte Bürger unterworfen sein, oder kürzer, gilt dann auch für Deutsche die Scharia? Natürlich kann ein Partnerschaftsabkommen nicht alle Details einer sehr unsicheren Zukunft regeln. Aber ein solches Abkommen sollte Aussicht auf Realisierung haben und da gibt es sicher die eine oder andere Illusion.

Die USA werden sicher Einfluss in und auf Afghanistan behalten wollen. Amerika wird wohl die Erfolge in der Entwicklung des Landes nicht durch einen vollständigen Abzug aufs Spiel setzen wollen. Die USA werden aber auch nicht den auch nach 2014 absehbar erforderlichen und sehr kostspieligen Schutz vor den Taliban gewährleisten ohne poltische Einflussmöglichkeiten und die gesicherte Rechtsstellung ihres Personals. In dieser politisch sehr unsicheren Lage muss Deutschland zeitgerecht Überlegungen anstellen, welche politischen Maßnahmen in die Wege geleitet werden müssen, um das Rahmenabkommen mit Afghanistan auch unter gesicherten und vernünftigen Rahmenbedingungen realisieren zu können. Dazu gehören auch intensive Gespräche mit den USA, damit man bei der nächsten politischen Entwicklung nicht erneut unangenehm überrascht wird. Sicher ist, dass nicht auf die uneingeschränkte Unterstützung eines zukünftigen deutschen Engagements durch die USA gebaut werden kann.

Als sicherheitspolitischer Partner mit zunehmendem Gewicht in der Welt muss Deutschland an sicherheitspolitischer Souveränität und Handlungsfähigkeit gewinnen. Die Unterstützung Afghanistans nach 2014 wird ein schwieriger Test werden.

(11.01.2013)

 

 

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