Hans-Heinrich Dieter

Die Türkei im Europarat   (25.06.2013)

 

Gemessen an der Politik des Ministerpräsidenten Erdogan glaubt man es kaum, aber die Türkei gehört tatsächlich dem Europarat, der sich ganz besonders für Menschenrechte und Demokratie stark macht, seit seiner Gründung im Jahr 1949 an. Sieben Mal hatte die Türkei bisher turnusgemäß den Vorsitz des Ministerkomitees des Europarates inne.

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der im Rahmen des Europarats geschlossen wurde. Er wurde am 4. November 1950 in Rom auch von der Türkei unterzeichnet. Diese Konvention enthält einen Katalog von Grundrechten und Menschenrechten (15 Artikel). Über deren Einhaltung und Umsetzung wacht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Mit dem brutalen Vorgehen gegen die türkischen Demonstranten hat die Regierung Erdogan ganz offensichtlich mindestens gegen

Artikel 1: Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte

Artikel 5: Recht auf Freiheit und Sicherheit

Artikel 10:Freiheit der Meinungsäußerung

Artikel 11:Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

der Europäischen Menschenrechtskonvention eklatant verstoßen. Die Europäische Union hat also nicht nur das Recht sondern sogar die Pflicht, ein Mitglied des Europarates, das sich nicht an die eingegangenen Verpflichtungen hält, zu kritisieren. Umso dreister, frecher und bodenloser ist die brüske Zurückweisung jeglicher Kritik durch Erdogan.

Und Kanzlerin Merkel, die sehr vorsichtig und sachlich Kritik an den Verstößen gegen Menschenrechte geübt hat, sollte sich von autoritär gesinnten Politikern wie EU-Minister Bagis nicht beschimpfen und bedrohen lassen. Deutschland sollte in dieser Angelegenheit den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anrufen.

Die Türkei sieht sich gerne als Opfer von anti-türkischen und natürlich deutschen Machenschaften zur Verhinderung eines EU-Beitritts. Die Beitrittsverhandlungen dauern nun schon über fünf Jahre, weil Kapitel für Kapitel verhandelt wird und ein nächstes Kapitel erst für Verhandlungen eröffnet wird, wenn die Bedingungen des jeweiligen Kapitels erfüllt sind. Und Tatsache ist, dass die Türkei bisher den Kriterien des offenen Kapitels nicht vollständig entsprochen hat. Die Türkei ist also für die Dauer des Verfahrens durch allzu zögerliches Erfüllen der europäischen Wertevorstellungen selbst verantwortlich. Die Türkei verzögert die Entwicklung nicht nur, derzeit macht sie eine Rückentwicklung. Der am 10. Oktober 2012 veröffentlichte Fortschrittsbericht der EU-Kommission zur Entwicklung in der Türkei legt eindeutig inzwischen wieder gewachsene Defizite bei den Themen Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit offen. Diese Rückschritte sind möglicherweise auch dadurch zu erklären, dass bei starken Kräften in der Regionalmacht Türkei aufgrund der wirtschaftlichen Erfolge und des dadurch stark gewachsenen Selbstbewusstseins die Bereitschaft zum EU-Beitritt zum Erliegen gebracht wurde und zum Nachlassen bei den Anstrengungen um das Erfüllen von EU-Beitrittsnormen geführt hat.

Man muss sich auch vor Augen führen, dass die Türkei den Kern unserer demokratischen, freiheitlichen und christlich geprägten Wertvorstellungen seit Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention am 4. November 1950 in Rom kennt. Seit 1950 hat die Türkei offensichtlich sehr wenig getan, um solchen Wertvorstellungen zu genügen, sonst wäre die Türkei möglicherweise schon Mitglied in der EU. In jüngster Zeit drischt die Türkei auf Teile unserer Wertvorstellungen - die sie selbst gegengezeichnet hat - mit Schlagstöcken ein. Das muss politische Berücksichtigung finden, möglichst ohne den freiheitsliebenden Menschen in der Türkei das Leben noch schwerer zu machen.

Die Beitrittsverhandlungen gehen weiter, allerdings erst nachdem die EU-Kommission ihren für Oktober erwarteten nächsten Fortschrittsbericht zur Türkei vorgelegt und bewertet hat. Die EU tut sicher gut daran, keinen Jota von den Verhandlungsrichtlinien abzuweichen und keinerlei Abstriche an den Beitrittskriterien zu machen. Die EU sollte sich nicht erpressen lassen, schon überhaupt nicht durch dreistes, unangemessenes und autoritäres Auftreten.

(25.06.2013)

 

 

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