Hans-Heinrich Dieter

Dilemma der NATO (26.03.2011)

 

Am 17. Februar 2011 begann der Aufstand libyscher Bürger in Bengasi. Daraufhin verhängte der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 1970 unter anderem ein Waffenembargo.

Am 17.März ermächtigte der UN-Sicherheitsrat Mitgliedstaaten und regionale Organisationen auf der Grundlage der Resolution 1973, alle Maßnahmen zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung zu ergreifen, sowie das Waffenembargo durchzusetzen und eine Flugverbotszone über Libyen einzurichten.

Am 18.März 2011 begannen Frankreich, Großbritannien und die USA mit massiven Luftangriffen zur Implementierung der Flugverbotszone und zur Behinderung des Vormarsches der libyschen Armee auf Bengasi. Erst am 23. März startete die NATO die Embargo-Operation.

Am 24. März entschied die NATO, die Operation zur Aufrechterhaltung der Flugverbotszone führen zu wollen.

Schon diese zeitliche Abfolge zeigt deutlich, dass die NATO nach sehr langen Beratungen und Entscheidungsgängen im UN-Sicherheitsrat heftig und intensiv gerungen hat, um zu einer Entscheidung zu kommen. Man muss nun fragen, ob die jetzige Entscheidung gut, tragfähig und zukunftsorientiert ist. Zweifel sind angebracht.

Im Krieg hat nur das Einfache Erfolg. Derzeit gibt es eine NATO-Operation zur Gewährleistung der Flugverbotszone und eine „Koalitionsoperation“ gegen militärische Ziele und die Truppen Gaddafis. Obwohl die NATO solche parallelen Operationen kennt, zweckmäßig ist solcher Koordinierungsaufwand im Krieg allerdings nicht, insbesondere wenn solche exaltierten Politiker wie Sarkozy entscheidend mit im Spiel sind.

Die NATO will nun eine größere Verantwortung im Einklang mit Resolution 1973 übernehmen, Frankreich sperrt sich allerdings noch und die Entscheidungen sind noch nicht endgültig gefallen. Spätestens beim Treffen der Außenminister der Koalition am kommenden Dienstag gemeinsam mit Nato-Generalsekretär Rasmussen in London wird die Entscheidung vorliegen müssen.

Was wurde bisher erreicht? Die libysche Flugabwehr ist offenbar ausgeschaltet und große Teile der Luftwaffe sind nicht mehr einsetzbar. Auch eine Woche nach Beginn der massiven Luftangriffe auf Libyen kämpfen allerdings regierungstreue Einheiten weiter mehr oder weniger erfolgreich um „Rebellen-Städte“. In Adschdabija lieferten sich die Truppen Gaddafis am Freitag erbitterte Kämpfe mit den Aufständischen, inzwischen ist die Stadt offenbar in der Hand der Rebellen. In der belagerten Stadt Misurata befinden sich die Aufständischen in einer ziemlich dramatischen Versorgungs-Lage. Aus der Luft setzte das internationale Militärbündnis derweil seine Attacken gegen Gaddafi-Truppen fort. Es sieht allerdings derzeit nicht so aus, als ob Gaddafi und die libysche Armee aus der Luft nachhaltig beeinträchtigt werden könnten. Gleichzeitig bemühen sich die Aufständischen, im Schnellverfahren kampfkräftige Formationen für den Kampf gegen die Gaddafi-Truppen auszubilden. Das Ziel der Aufständischen ist weiterhin der Marsch auf Tripolis, mit sehr vagen Aussichten auf Erfolg.

Frankreich und Großbritannien stellten am Freitag zudem eine politisch-diplomatische Strategie für ein Ende des Libyen-Konflikts in Aussicht. Die Arabische Liga ist weiterhin wenig aktiv. Außer Qatar haben sich nur noch die Vereinigten Arabischen Emirate bereiterklärt, in den Konflikt einzugreifen.

Fazit: Es ist nicht viel erreicht, die Lage ist sehr unübersichtlich, die bewaffneten Aufständischen, für die die Koalition im Bürgerkrieg Partei ergriffen hat, sind nur rudimentär organisiert und es ist bisher nicht bekannt, welche Ziele die Rebellen konkret verfolgen. Der militärische Einsatz ist noch nicht vom Ende her gedacht und durchdacht, weil noch nicht definiert ist, nach welchen Kriterien die Operation als erfolgreich bezeichnet und beendet werden könnte. Die USA reduzieren ihr Engagement und wollen jegliche Führungsverantwortung lieber heute als morgen abgeben, nicht unbegründet.

Die Übernahme sämtlicher Militäraktivitäten durch die Nato würde das Ende der bisherigen Koalition bedeuten, die von Frankreich, Großbritannien und den USA geführt wird. Ein Leitungsgremium, in dem alle elf bisher an der Operation beteiligten Staaten vertreten sind, soll die Nato politisch beraten. Die NATO würde eine angefangene ziemlich halbfertige Operation übernehmen, bei der die politischen und militärischen Probleme erst richtig anfangen.

Bisher haben militärisch weit überlegene NATO-Luftwaffen die Luftwaffe einer weit unterlegenen Militärmacht ausgeschaltet. Das ist aus militärischer Sicht eine gute Nachricht, war aber bisher keine große Leistung. Wenn man Gaddafi stürzen und die libysche Zivilbevölkerung nachhaltig schützen will, dann geht das nur mit Bodentruppen und die sollen nicht eingesetzt werden. Wer allerdings das Ziel durch Sanktionen, Blockaden etc. erreichen will, muss mit großen Misserfolgs-Risiken leben und braucht einen langen Atem. Noch genießt der Libyen-Einsatz große internationale Unterstützung, aber wie lange noch? Wie lange steht die sehr inaktive Arabische Liga noch zu ihrer Resolution? Bis jetzt ist es den Menschen in Tunesien oder Ägypten aus eigener Kraft gelungen, ihre Regierungen loszuwerden und „demokratische“ Reformen durchzusetzen. In Libyen herrscht Bürgerkrieg, ein Teil des Volkes schießt auf den anderen Teil und das Eingreifen der in der arabischen Welt nicht geschätzten NATO könnte dem zivilen Anteil der Protestbewegungen die Legitimierung entziehen. Die Intervention der „Koalition der Willigen“ und nun der NATO  in einem arabischen Land hat die Tür zu weiteren Interventionen in einer derzeit sehr instabilen arabischen Welt aufgestoßen. Wer schützt die Bevölkerung in Syrien, im Jemen, in Bahrain oder zukünftig möglicherweise auch in Jordanien? Die Proteste insbesondere in Syrien und im Jemen werden täglich aggressiver und die staatlichen Reaktionen immer brutaler und blutiger. Moralisch wäre ein Eingreifen zum Schutz der dortigen Zivilbevölkerung schon jetzt leicht zu rechtfertigen, darüber hinaus sind sowohl Syrien, das Al-Kaida unterstützt und der Jemen, der Terroristen "beherbergt", eine Bedrohung unserer Sicherheit. Und wie moralisch wichtig ist uns die Unterstützung der freiheitsliebenden Bevölkerung im Iran? Die westliche Welt und die NATO könnten sehr schnell überfordert sein.

Und in dieser verfahrenen Lage kommentiert Herr Bacia in der F.A.Z. vom 26.03.2011: „Erleichtert konnte Generalsekretär Rasmussen doch noch verkünden, dass die Nato die Verantwortung für die Durchsetzung der Flugverbotszone über Libyen übernimmt. Das ist militärisch sinnvoll und politisch wünschenswert.“ Das scheint mir sehr, sehr oberflächlich beurteilt zu sein. Schon eher richtig ist, dass das willige Großbritannien, das ziemlich unsolidarische und großsprecherische Frankreich und die führungsunwilligen USA in einer Phase, wo die wirklichen Schwierigkeiten beginnen, unter das schützende „Dach der NATO schlüpfen“.

Die NATO wird nun wohl oder übel mit den Dilemmata fertig werden müssen. Bis sich bei Generalsekretär Rasmussen berechtigte Erleichterung einstellen kann, sind noch einige Krisen zu bewältigen. Wer Krieg anfängt, sollte ihn an sich auch möglichst zum erfolgreichen Ende führen. Das Wechseln der Pferde in einer Furt ist nicht anzuraten, abseits einer Furt ist das in der Regel ein Fehler.

(26.03.2011)

 

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