Hans-Heinrich Dieter

Eigenverantwortung   (01.09.2015)

 

In der aktuellen Flüchtlingskrise liest man in den Medien wohlfeile Schuldzuweisungen aber nur wenige praktikable Vorschläge zur Krisenbewältigung.

Europa ist an sich immer irgendwie Schuld. Dabei ist die Europäische Union nichts anderes als der Zusammenschluss ihrer meist egoistischen, teilweise auch nationalistisch eingestellten Mitgliedsländer, gegen deren Willen die EU nichts zustande bringen kann. Und auf eine gesamteuropäische Solidarität kann wohl in der Zeit der Massenflucht aus Nahost und Afrika niemand bauen. Für die gescholtene EU stellt sich da mehr und mehr die Existenzfrage.

Vor diesem Hintergrund macht die SÃœDDEUTSCHE ZEITUNG die westliche Welt für die Massenflucht verantwortlich: "Niemand in Deutschland, niemand in Europa kann diesen Krisen und Kriegen ausweichen. … Wenn sich der Westen dieser Konflikte nicht annimmt, dann eben nehmen sich die Konflikte des Westens an". Da möchte man in die Redaktionsstuben rufen, gut gebrüllt, Ihr Bettvorleger! Wie sollen sich Deutschland und Europa denn bitte dieser Konflikte – hauptsächlich in der muslimischen Welt - konkret annehmen?

In Afghanistan hat die westliche Staatengemeinschaft mit dem naiven Ziel interveniert, aus einer vom Islam dominierten, unterentwickelten, mittelalterlichen Stammesgesellschaft eine rechtstaatliche „Westminster-Demokratie“ mit guter Staatsführung zu machen – und ist gescheitert. Afghanistan will nicht nach westlicher Façon selig werden, Afghanistan will unser Geld. Nach 14 Jahren massiven und kostenintensiven militärischen Einsatzes sowie humanitären und wirtschaftlichen Investitionen terrorisieren die erstarkenden Taliban weiterhin das afghanische Volk, ist die Korruption nicht im Griff und wurde die Drogenproduktion weiter ausgebaut. Positive Perspektiven gibt es nicht.

Im Irak haben die USA interveniert und das Land in einen solch instabilen Zustand hineinmanövriert, dass man schon von einem failed state sprechen kann, der den Religionskrieg zwischen Schiiten und Sunniten nicht bewältigen kann und deswegen dem Terror der IS-Milizen zu erliegen droht.

In Libyen haben Teile der westlichen Welt mit dem unverantwortlich oberflächlichen Ziel „Gaddafi muss weg!“ interveniert und das Land in einen zerfallenden und kaum zu kontrollierenden Staat gebombt. In Libyen können, auch dank der westlichen Intervention, hochkriminelle Schleuser- und Schlepperbanden ihr lukratives Geschäft zum Nachteil der westlichen Welt ungehindert betreiben. Tragfähige staatliche Strukturen lassen auf sich warten.

In Syrien hat die westliche Welt nicht interveniert, weil die untereinander zerstrittene Anti-Assad-Gemengelage aus Terrorgruppen unterschiedlicher muslimischer Ausprägung, Banden unterschiedlicher Ethnien, kurdischen Nationalisten, einflusslosen Rebellenorganisationen und zuletzt dem Islamischen Staat keine verlässliche Grundlage für Unterstützungsmaßnahmen geboten hat. Darüber hinaus kamen UN-Resolutionen im Weltsicherheitsrat nicht zeitgerecht zustande, weil Putin Assad unterstützt und durchaus ein Interesse daran hat, dass der Syrienkonflikt weitergeht und die Flüchtlingsströme im westlichen Europa Instabilität erzeugen.

Die Beispiele machen sehr deutlich, dass westliche Interventionen in der muslimischen Welt nicht erfolgreich oder schlicht nicht möglich sind, trotz hoher Investitionen nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen und am Ende die Unterstützer als ungläubige Besatzer und Feinde verachtet und bekämpft werden.

Das sieht DIE WELT ganz anders: "Nicht die Intervention des Westens hat zur jetzigen Instabilität geführt, sondern dass er sich abwandte, als es galt, dort minimale staatliche Strukturen aufzubauen. Nicht das Eingreifen des Westens, sondern sein kopfloser Rückzug hat die Region explodieren lassen. Die aktuelle Krise mahnt den Westen, und namentlich Europa, nicht zu weniger, sondern zu deutlich mehr globalem Interventionismus“. Diese „BILD-Zeitung für etwas gehobenere Ansprüche“ tut hier so, als ob Europa in souveränen muslimischen Staaten das Kommando übernehmen und seine Hilfe aufzwingen könnte, um demokratische Strukturen nach unseren Wertvorstellungen zu realisieren. Der Islam mit seinem Alleinvertretungsanspruch ist mit demokratischen Vorstellungen nicht kompatibel und Muslime in Nahost und Afrika wollen ganz offenbar auch nicht nach westlichen Vorstellungen leben.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland weiß das, deswegen macht auch er Europa für die Flüchtlingskrise verantwortlich, allerdings mit anderer Argumentation. Der Zentralrats-Vorsitzende Mazyek lässt uns wissen: "Die Europäische Union zahlt nun die Zeche für ihre fehlerhafte und zögerliche Politik während des Arabischen Frühlings in Nordafrika und Nahost." Denn während der Umbrüche in der arabischen Welt vor vier Jahren hätte es einen "Marschallplan für den Nahen Osten" zur politischen und wirtschaftlichen Unterstützung der betroffenen Länder gebraucht. Stattdessen seien die Staaten sich selbst überlassen worden. Mazyek ist wenigstens ehrlich, es geht nicht um Demokratie sondern ausschließlich um Geld und Wirtschafthilfe.

Souveräne Staaten, die ernst genommen werden wollen, sind aber doch zunächst einmal für ihre Bevölkerung und deren Wohlergehen sowie positive Entwicklung selbst verantwortlich. Wenn sie Unterstützung brauchen, dann sollen sie gezielt darum bitten. Die westliche Welt hat hier keine Bringeschuld. Die muslimische Welt in Nahost und in Afrika hat sich teilweise in der Arabischen Liga und in der Afrikanischen Union organisiert. Diese Organisationen sind zuständig für Konfliktregelungen in den jeweiligen Regionen und sollten ihrer Verantwortung gerecht werden und alle Anstrengungen unternehmen, dass die Kriege und das Leid der Menschen beendet werden. Muslimische Flüchtlinge vor islamistischem Terror sollten in der islamischen Welt mit ähnlicher Kultur aufgefangen und versorgt werden. Flüchtlinge aufgrund von Religionskriegen unterschiedlicher muslimischer Glaubensrichtungen sollten in Ländern mit der von den Flüchtlingen gewünschten Glaubensrichtung aufgenommen werden. Die muslimische Welt muss ihre Probleme eigenverantwortlich und aus eigener Kraft lösen. Der Islam muss aus dem Mittelalter selbst herausfinden – wenn er will. Und Herr Mazyek sollte seine muslimischen Brüder in Nahost und Afrika dazu aufrufen, in ihrem Kulturkreis zu bleiben und dort an Aufbau und Entwicklung mitzuarbeiten.

Die Europäische Union kann und sollte den souveränen muslimischen Ländern die Verantwortung für ihre Entwicklung nicht abnehmen. Die EU muss vielmehr politisch aktiv werden, um die Fluchtursachen in den Krisenregionen zu lindern und die Nachbarstaaten von Bürgerkriegsländern und zerfallenden Staaten besser zu befähigen, die Flüchtlinge menschenwürdig heimat- und kulturnah unterzubringen.Die EU muss ihre Außengrenzen besser sichern und den politischen und strategischen Rahmen für die Bewältigung der Flüchtlingskrise schaffen, das Detail ist durch die Mitgliedstaaten entsprechend der gemeinsamen Standards zu regeln. Und die EU muss die Einhaltung der Regeln innerhalb der EU durchsetzen.

Da können wir in Deutschland froh sein, dass Gazprom-Lobbyist Schröder (SPD) keine Verantwortung mehr trägt, wenn er doch tatsächlich angesichts der Flüchtlingskrise meint, dass Deutschland dringend eine „Einwanderung in die Sozialsysteme“ brauche.

(01.09.2015)

 

 

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