Hans-Heinrich Dieter

Eingeschränkt einsatzfähig   (29.09.2014)

 

Die Bundeswehr ist offensichtlich in einem peinlich desolaten Zustand. Ministerin Ursula von der Leyen hat natürlich jede Mitschuld daran zurückgewiesen. Sie stellt fest: "Probleme, die sich über Jahre aufgestaut haben, die lassen sich natürlich nicht auf einen Schlag lösen." Da hat sie sicher nicht ganz unrecht. Verteidigungsminister Jung war unfähig, hat die Lage in den Einsatzgebieten schöngeredet, das Parlament unzureichend informiert und Entscheidungen für eine zukunfts- und einsatzorientierte Bundeswehr verzögert. Verteidigungsminister zu Guttenberg hat die Wehrpflicht überhastet und unvorbereitet ausgesetzt und eine nicht zu Ende gedachte Strukturreform vom Zaun gebrochen. Verteidigungsminister de Maizière hat die Bundeswehr einer stark kritisierten Neuausrichtung unterzogen und Entscheidungen über die Beschaffung einsatzwichtigen Wehrmaterials, wie zum Beispiel der Drohnen, nicht herbeigeführt. Alle diese Minister haben es zugelassen, dass die Bundeswehr über Jahre unterfinanziert war und auch im Zusammenhang mit den Einsatzbelastungen in diesen peinlich desolaten Zustand hineingespart wurde.

Ministerin von der Leyen ist in Verantwortung für das Verteidigungsressort. Die Einsatzbereitschaftsprobleme sind offenbar seit Juni 2014 bekannt. Die Ministerin hat aber offenbar nichts unternommen, um den Problemen zeitgerecht abzuhelfen und so dazu beigetragen, dass die Bundeswehr vor den Augen der Weltöffentlichkeit in die Nähe einer Bankrotterklärung manövriert wurde. Außerdem hat sie bisher alles dafür getan, die Unterfinanzierung der Bundeswehr fortzuschreiben.

Von der Leyen hat mehrfach öffentlich, auch in den USA, erklärt, dass sie die aus dem Jahr 1997 datierende Selbstverpflichtung der NATO-Mitglieder, mindestens 2 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, für überholt hält. Sie sagte gewohnt vollmundig in ihrer Rede Anfang 2014 vor dem Atlantic Council, "wir Europäer müssen unsere Fähigkeiten innerhalb der Allianz weiter verbessern". Das gelte auch für Deutschland und die Bundeswehr. Aber dabei gehe es nicht nur um die Frage, "wie viel Geld wir ausgeben. Sondern eher darum, wie wir es ausgeben und wofür." Frau von der Leyen hatte da ihre Hausaufgaben in ihrem Ressort noch nicht im vollen Umfang verantwortungsvoll machen können, sonst hätte sie sich angesichts der Investitionen von lediglich 1,29 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts und des diesbezüglich blamablen 14. Ranges in der NATO vielleicht etwas zurückgehalten. Jeder kann jetzt nachvollziehen, dass Deutschland das zu wenige Geld offensichtlich falsch und für falsche Projekte ausgegeben hat.

Beim NATO-Gipfeltreffen in Wales hat der damalige Generalsekretär angesichts der Ukraine-Krise Investitionen von 2 Prozent als NATO-Ziel für alle Mitglieder erneut bekräftigt. Frau von der Leyen hat das für Deutschland nicht als Zielsetzung akzeptiert. Dementsprechend hat die Verteidigungsministerin bei den Parlamentsdebatten über die zukünftigen Ressorthaushalte auch keine Mehrforderungen gestellt, sondern sich brav der Schuldenbremsen-Disziplin unterworfen. Die Diskussion über die zukünftige Finanzierung der Bundeswehr war offensichtlich so stromlinienförmig, dass die Medien nicht darüber berichteten. In Unkenntnis der spätestens seit Juni bekannten Lage oder unter Missachtung der Tatsachen hat die Ministerin wenig couragiert die Unterfinanzierung fortschreiben lassen. Das macht die Ministerin in hohem Maße mitschuldig. Jetzt fordert sie mit eingeschränkter persönlicher Glaubwürdigkeit und politisch stark angeschlagen mehr Mittel – möglicherweise zu spät!

Dabei wäre nicht nur die desolate Lage bei Instandsetzung und Wartung von einsatzwichtigem Gerät der Teilstreitkräfte Grund für finanzielle Mehrforderungen, sondern auch aktuelle Defizite bei den konzeptionell geforderten Fähigkeiten der Bundeswehr. Die deutschen Streitkräfte haben im Afghanistaneinsatz erhebliche Defizite in der Führungsfähigkeit, bei der Aufklärungskapazität, in der Luftbeweglichkeit, einschließlich der Luftrettung, und bei der Luftnahunterstützung und waren deswegen für die Auftragserfüllung auf massive Unterstützung durch die US-Streitkräfte angewiesen. Aufklärungsdrohnen und bewaffnete unbemannte Flugzeuge sind daher eine unbedingt notwendige Erweiterung der militärischen Fähigkeiten der Bundeswehr, über die schon in der vergangenen Legislaturperiode dringend hätte entschieden werden müssen. Die Ministerin hat das Drohnenproblem in die Hand genommen, die ins Auge gefasste Verfügbarkeit für Einsätze kommt aber viel zu spät. Die umfassenden Fähigkeitsdefizite lassen sich nur mit höheren Investitionen beseitigen. Entsprechende Forderungen hat Frau von der Leyen nicht gestellt.

Ja, die Ministerin hat Recht, wenn sie sagt, die Probleme hätten sich über Jahre aufgebaut. Tatsache ist aber auch, dass sie selbst immer wieder für internationale Einsätze deutsche Beiträge mit umfangreichem Lufttransport und sanitätsdienstlichen Leistungen angeboten hat, obwohl ihr die personellen und materiellen Überlastungen gerade in diesen Bereichen bekannt gewesen sein müssen. Das jüngste deutsche Angebot sanitätsdienstlicher Unterstützung einschließlich einer Luftbrücke im Rahmen der Ebola-Krise wird uns möglicherweise noch peinlich und blamabel auf die Füße fallen. Frau von der Leyen selbst hat mit ihren Entscheidungen die über Jahre aufgebauten Probleme verschärft. Die Ministerin sollte daher Mitschuld nicht forsch zurückweisen, sondern ihrer Verantwortung gerecht werden.

Es bleibt richtig: Die deutsche Gesellschaft muss sich entscheiden, in welcher Quantität und Qualität sie zukünftig Staatsbürger in Uniform haben will, die nötigenfalls für die Erhaltung unserer Werte, für Sicherheit und für unser Leben in Frieden und Freiheit, möglicherweise vermehrt im internationalen Rahmen eingesetzt werden sollen. Dementsprechend müssen mehr Haushaltsmittel bereitgestellt werden, insbesondere wenn Deutschland - wie angekündigt - mehr Verantwortung in der Sicherheitspolitik übernehmen will.

Die Diskussionsbeiträge zu mehr deutscher Verantwortung in der internationalen Sicherheitspolitik sollten wir allerdings drastisch zurückfahren, um uns nicht nachhaltig lächerlich zu machen.

(29.09.2014)

 

 

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