Hans-Heinrich Dieter

Einsatzerfahrungen für das Inland?   (04.08.2016)

 

Die Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren geht kontrovers weiter. Viele CDU/CSU-Politiker befürworten einen solchen Einsatz, halten aber dafür eine Grundgesetzänderung für sinnvoll. Grünen-Chef Özdemir hält die Debatte über einen möglichen Anti-Terror-Einsatz der Bundeswehr für überflüssig. Die Forderung, deutsche Soldaten im Innern einzusetzen, sei nichts anderes als ein Misstrauensbeweis gegenüber der Polizei. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende, Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, nannte die Vorschläge aus der Union respektlos gegenüber der Polizei. Diese müsse stattdessen personell wie technisch gut ausgestattet werden. Wer die Hürden für die Bundeswehr absenken wolle, müsse das Grundgesetz ändern. „Dafür gibt es keine Mehrheit.” „Ein Bundeswehreinsatz im Innern ist für uns kein Thema“, sagt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann und erteilt damit Plänen, Bundeswehrsoldaten auch in Deutschland einzusetzen, eine klare Absage. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier lehnt eine Grundgesetzänderung für einen Bundeswehreinsatz im Inland ebenfalls ab, hieß es aus seinem Umfeld. Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), begrüßte die Pläne von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) für Anti-Terror-Übungen. Und er meint: „Die verfassungsrechtlichen Regelungen reichen völlig aus. Die Forderungen nach einer Grundgesetzänderung für den Einsatz der Bundeswehr im Innern sind Quatsch.”

Derweil bereitet sich die Bundeswehr mit „konkreten Abstimmungen“ auf gemeinsame Anti-Terror-Übungen mit der Polizei vor. Und Teile der militärischen Führung äußern in dem Zusammenhang die Meinung, die Soldaten der Bundeswehr hätten in diversen Auslandseinsätzen umfassende Erfahrungen etwa mit der Organisation von Checkpoints, im Umgang mit Sprengstoff-Bedrohungen oder mit Objektschutz gesammelt. Im Zusammenhang mit dem Amoklauf in München hätte die Bundeswehr mit der Bereitstellung von Absperrmaterial, dem Einsatz von Sprengstoff-Spürhunden oder Wassertransporten helfen können.

Wenn derzeit über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren diskutiert wird, dann nicht im Deutschen Bundestag, sondern von Parteipolitikern vor Mikrofonen oder in Medien. Dabei wird selten klar gesagt, was der jeweilige Politiker meint. Geht es bei dem Einsatz von bewaffneten Soldaten im Kampf gegen Terror in Deutschland um einen eigenständigen, eigenverantwortlichen Einsatz der Bundeswehr mit klaren Kompetenzen in der Terrorabwehr in Ergänzung zu Polizeimaßnahmen oder geht es um unbewaffnete Amtshilfe? So wie sich die Verteidigungsministerin und Teile der Bundeswehr inzwischen äußern, geht es wohl um Unterstützung innerhalb der eng begrenzten Möglichkeiten für den Einsatz der Bundeswehr im Innern gemäß Grundgesetz:

1. Die „Katastrophenhilfe“ (Artikel 35 Absatz 2 und 3 Grundgesetz)

2. Der sogenannte „Innere Notstand“ (Artikel 87a Absatz 4 Grundgesetz)

Ein Terroranschlag in Deutschland wird dann als ein „besonders schwerer Unglücksfall“ gesehen, der gemäß Bundesverfassungsgericht von 2012 als eine „ungewöhnliche Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes“ gewertet sein muss. Dabei gilt die Leitlinie: Der Einsatz der Bundeswehr im Innern ist schon nach aktueller Rechtslage möglich, aber an sehr strenge Voraussetzungen geknüpft. Man darf das Militär nicht „einfach so“ zur Unterstützung der Polizei heranziehen, wenn die Kapazitäten nicht ausreichen. In solchen Fällen werden die Soldaten der Bundeswehr im Rahmen der Katastrophenhilfe aber dann als Hilfsarbeiter zum Bereitstellen von Absperrmaterial und Erledigen von Wassertransporten und gegebenenfalls als Hilfspolizisten ohne Kompetenz und hoheitlichen Auftrag eingesetzt. Das entspricht nicht der Leitlinie!

Und auch den Hinweis auf die Erfahrungen von Soldaten in Einsätzen muss man kritisch betrachten. In den Auslandseinsätzen erfüllen Soldaten der Bundeswehr auf der Grundlage eines sogenannten „robusten Mandates“ und detaillierter „rules of engagement“ mit Erfolg, unter Nutzung von Kriegswaffen und Kriegsgerät Aufgaben, die der Gewährleistung der Inneren Sicherheit auch bei uns in Deutschland dienen könnten. In Deutschland darf und kann die Bundeswehr zum Beispiel ein Objekt sichern, indem es zum „Militärischen Sicherheitsbereich“ erklärt wird. Dabei dürfen die Soldaten unter Anwendung des „Unmittelbarer Zwang-Gesetzes“(UZwGBw) auch Schusswaffen gebrauchen. Das ist eine einfache Lage, die problemarm zu bewältigen ist.

Kann die Bundeswehr bei Terrorgefahr aber eine vielbefahrene Brücke in Deutschland sichern? Theoretisch ja, denn die Ausbildung sieht solche Sicherungsaufgaben im Krieg vor und in den Einsatzländern beherrschen wir das Betreiben von Check-Points aus dem EffEff. Praktisch ergäben sich aber bei der Durchführung im deutschen Inland große Probleme. Für Einsätze im Inland gibt es keine „rules of engagement“. Auf welcher rechtlichen Grundlage kontrolliert die Bundeswehr also Fahrzeuge und Personen? Welche Waffen werden eingesetzt mit welchem Ladezustand? Welchen Ausbildungsstand haben die Soldaten, welche rechtlichen Kenntnisse hat der verantwortliche Gruppenführer und welche rechtlichen Kenntnisse hat der Obergefreite oder gar der Wehrübende am Maschinengewehr? Wer also gibt wann und unter welchen Umständen den Befehl „Feuer frei!“ auf ein voll besetztes verdächtiges Fahrzeug, das den Anweisungen nicht folgt und durchzufahren droht? Der Bundeswehr-Gruppenführer an der Brücke und der Obergefreite am MG sind für andere Aufgaben unter anderen Rahmenbedingungen ausgebildet, nicht für Polizeiaufgaben in schwierigen Rechtslagen. Bis ein Polizist eine Faustfeuerwaffe im Dienst führen darf, hat er drei Jahre intensive Ausbildung, dabei profunden Rechtsunterricht, hinter sich. Deswegen ist es gefährlich, den Eindruck zu vermitteln, man könne Soldaten der Bundeswehr als „Hilfspolizisten“ einsetzen.

Ein anderes, gerne diskutiertes Beispiel für Einsatz im Inneren ist das Zeigen von Präsenz bewaffneter Soldaten in Fußgängerzonen, auf Bahnhöfen, bei Großveranstaltungen, um z. B. die Polizei zu entlasten oder Polizeikräfte zu verstärken, wie derzeit in Frankreich unter Notstandsbedingungen. Erneut muss man fragen, welche Rechte solche mit Kriegswaffen eingesetzten Soldaten haben. Zunächst einmal haben solche Soldaten „Jedermann-Rechte“ wie alle anderen Bürger auch und dürfen bei Gefahr im Verzug Straftaten nur mit angemessenen Mitteln verhindern. Selbst bewaffnete Feldjäger der Bundeswehr haben beim Dienst in der Öffentlichkeit übrigens keine weitergehenden Rechte zur Gewaltanwendung. Was ist aber, wenn der Streifenführer in der gut besuchten Fußgängerzone in der Nähe des Weihnachtsmarktes unter den Rahmenbedingungen „Erhöhte Terrorgefahr“ glaubt, einen Verdächtigen zu erkennen, von dem eine Gefahr für eine kleine Menschenansammlung ausgehen könnte? Welche Qualität hat sein Ausbildungsstand, wie handlungssicher ist er also, über welche Mittel – außer dem fertig geladenen Schnellfeuergewehr – verfügt er, um gegebenenfalls einen Anschlag angemessen zu verhindern? Wie sind seine Fernmeldeverbindungen zu seinen militärischen Vorgesetzten, wie sind seine und dessen Verbindungen zu Behörden der Inneren Sicherheit, die über weiterführende Informationen und ein aktuelles Lagebild verfügen, sind die technischen Voraussetzungen für eine effektive Zusammenarbeit überhaupt gegeben und wer gibt notfalls den Befehl zum Waffeneinsatz?

An sich sind da nur zwei Möglichkeiten denkbar: entweder die militärische Streife ist deutlich und gefährlich überfordert oder sie ist zur Hilfspolizei ohne Gewaltanwendungsbefugnis degradiert. Beides darf man der Bundeswehr meines Erachtens nicht aufbürden, weil es auf viele ernste Fragen keine – gegebenenfalls noch keine – tragfähigen Antworten gibt.

Der Wehrbeauftragte, der nun die Anti-Terror-Übungen begrüßt und gesagt hat: „Die Forderungen nach einer Grundgesetzänderung für den Einsatz der Bundeswehr im Innern sind Quatsch.“, erinnert sich nicht mehr an seine Aussagen vom 13.04.2016 gegenüber der Nordwest-Zeitung, mit denen er einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Unterstützung der Polizei etwa bei Terroranschlägen ablehnt: „Die Bundeswehr sollte (...) nicht als wohlfeile Personalreserve für die vielleicht zu stark reduzierten Polizeikräfte dienen.“ Das sei auch nicht im Sinne der Verfassung. „Dafür sind Bundeswehrsoldaten auch nicht ausgebildet, dafür sind sie nicht da.“ Zudem sei die Bundeswehr schon jetzt „in weiten Bereichen am Limit“.

Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die Qualität dieses Politikers, der offenbar nach dem Motto handelt, was kümmert mich die richtige Aussage vom April, wenn jetzt Parteipolitik nach SPD-Linie gefragt ist. Ein Wehrbeauftragter, der sich als Parteipolitiker versteht, ist wenig hilfreich für die Bundeswehr. Es wäre zu wünschen, dass die Diskussion des schwierigen Themas Einsatz der Bundeswehr im Inneren zukünftig an einem konkreten Konzept sowie an der Sache orientiert und nicht zur parteipolitischen Profilierung geführt wird.

(04.08.2016)

 

 

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