Hans-Heinrich Dieter

Erfolglose EU   (05.04.2021)

 

SPD-Kanzlerkandidat Scholz hat sich jüngst in der FAS für die Schaffung einer gemeinsamen Armee der Europäischen Union ausgesprochen. Scholz betonte, für ihn gehöre eine gemeinsame Armee zur Idee der europäischen Souveränität. Scholz greift da - etwas sozialdemokratisch unbeholfen - ein sicherheitspolitisches Thema auf, das auch vom europäischen Illusionisten Macron in letzter Zeit diskutiert wurde.

Im Vertrag von Maastricht wurde 1992 die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union begründet. Dabei galt schon damals eine Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik als integraler Bestandteil der GASP. Soweit die gute Idee von einer tiefer integrierten Europäischen Union. In den fast 30 Jahren nach Maastricht hat die EU aber auch in dieser Hinsicht keine Erfolge aufzuweisen. Denn seit 1992 redet die EU vollmundig von einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), aber es wurde bisher keine real definierte und angewandte gemeinsame diesbezügliche Politik gemacht. Und auch deswegen sieht die EU-Realität wenig positiv aus.

Kommissionspräsidentin von der Leyen spricht ja gerne in Bildern. Im Zusammenhang mit dem EU-Chaos bei der gemeinsamen Pandemiebekämpfung stellte sie fest, die EU sei schließlich ein Tanker und kein Schnellboot. Dieses Bild ist nicht vollständig gemalt. Denn die EU ist ja derzeit ein „Tanker“ mit Namen „Ever Green“ und auf der Brücke hat die weniger begabte „Woman on the Moon“-Kapitänin unzureichende Radarerfahrung und fährt einen Schlingerkurs, weil ihre Zielvorstellungen ungenau sind und der Kompass offenbar defekt ist. Diesem überladenen Tanker mit seiner zerstrittenen Mannschaft droht immer wieder eine Havarie. Man kann froh sein, dass er den Suez-Kanal noch nicht befahren hat. Ein bedauernswertes europäisches „Schiff“ und ein stimmiges Bild!

Denn die Europäische Union - und damit auch Europa - befindet sich derzeit in einem bedauernswerten, ja geradezu mitleiderregenden Zustand. Die Finanzkrise ist immer noch nicht vollständig überwunden, die Staatsverschuldung ist in den meisten Mitgliedstaaten nicht im Griff – und in der Coronakrise ausgeufert - die massiven Strukturprobleme der meisten EU-Staaten sind nicht oder nur unzureichend behoben und die Flüchtlingsproblematik spaltet Europa immer noch mehrfach und nachhaltig. In der Pandemie hat die EU erst sehr spät zu einigermaßen gemeinsamem Handeln gefunden. Mit ihrer Impf-Kampagne hat sich die EU lächerlich gemacht und wird mit Häme überzogen. Mit einem massiven Schuldenprogramm hat sich die EU von ihren eigenen Prinzipien verabschiedet und entwickelt sich nun zu einer Schulden-, Fiskal- und Transferunion. Bei der Krisenbewältigung in Syrien und in Libyen ist die EU nicht erfolgreich. Der Streit zwischen der Türkei und Griechenland um Seegebiete im östlichen Mittelmeer ist noch nicht beigelegt und insgesamt findet die EU nicht zu einer politisch angemessenen und würdevollen Haltung gegenüber der Türkei – in Realität zeigt sich die EU immer wieder anfällig für die politischen Erpressungen Erdogans. Bei der Unterstützung der Opposition in Belarus war die Europäische Union sehr zögerlich und hat erst sehr spät einen Sanktionskompromiss gefunden. Die Europäische Union hat so massiv an Ansehen verloren und wird als Partner in der Weltpolitik sehr wenig ernst genommen. Das muss sich dringend ändern, denn die EU wird in unserer „aus den Fugen geratenen Welt“ mehr denn je als Geopolitischer Akteur gebraucht! Aber das wird nur schwer zu realisieren sein, denn ohne militärische Macht und Gemeinsamkeit aber wird auch eine europäische Außenpolitik nicht wirksam werden können. Und an beidem fehlt es in starkem Maße.

Denn die außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU ist schon von ihrer Struktur und von den politischen Grundlagen her stark eingeschränkt und deswegen gibt es auch keine wirklichen zukunftsfähigen Entscheidungen – höchstens den einen oder anderen schwachen Kompromiss. Die EU hat keine gemeinsam definierte Außen- und Sicherheitspolitik als Rahmenbedingung einer erfolgreichen europäischen Außenpolitik. Die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit ist zudem durch die erforderliche Einstimmigkeit bei außenpolitischen Entscheidungen und die sich verstärkenden nationalistischen und unsolidarischen Tendenzen einiger Mitgliedstaaten sehr stark eingeschränkt. Eine handlungsfähige außenpolitische „Großmacht“ wird die EU also nicht durch vollmundige Reden und „Ankündigungen“. Die EU muss sich reformieren und weiterentwickeln von einer friedensstiftenden Nachkriegs-Wirtschaftsunion zu einem international handlungsfähigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur mit leistungsfähigen politischen Instrumenten, die sie auf der Grundlage einer Gesamtstrategie machtvoll zur Wirkung bringen kann. Dazu muss das Einstimmigkeitsprinzip in außenpolitischen Angelegenheiten durch ein Mehrheitsrecht ersetzt werden. Das alles wird nur durch die allmähliche, schrittweise Gestaltung einer glaubhaften und wirkungsvollen globalen außenpolitischen Rolle gelingen. Dazu muss die EU – unter Verzicht auf Parallelstrukturen - in sehr engem Zusammenwirken mit der NATO langfristig auch über hinreichende Handlungsfähigkeit bei militärischer Machtausübung verfügen.

Für eine „gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ und für eine „strategische Autonomie“ der EU sind allerdings Gemeinsamkeit und Solidarität der Mitgliedstaaten Grundvorrausetzungen. Die EU ist aber mehrfach gespalten in den wirtschaftsstärkeren Norden und den weniger leistungsstarken Süden mit gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit. Die EU hat eine Euro-Zone und eine Reihe Länder mit eigener Währung. Die Flüchtlings- und Migrations-Krise hat die Mitgliedsländer nachhaltig auseinanderdividiert und den Schengen-Raum brüchig werden lassen. Und die effektive Sicherung der EU-Außengrenzen ist längst nicht gewährleistet. Die EU ist insgesamt in einer desolaten Lage. Italien steht wirtschaftlich und finanziell am Abgrund, verweigert sich aber zum Teil einer rationalen Zusammenarbeit mit der EU und wird sich mit seiner hohen Jugendarbeitslosigkeit zu einem längerfristigen Problemfall entwickeln. Griechenland ist wirtschaftlich und finanziell noch lange nicht stabil und wird noch für längere Zeit ein Problemfall bleiben. Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei, die sogenannte Visegrad-Gruppe, die gelegentlich durch Österreich verstärkt wird, entwickeln sich nationalistisch, teilweise egozentrisch und in rechtsstaatlicher Hinsicht entgegengesetzt zu den Wertvorstellungen der EU. Solidarität ist von diesen Mitgliedern nur zu erwarten, wenn sie nationale Vorteile sehen und finanzielle Unterstützung der EU erwarten – das ist inakzeptabel!

Wenn die EU die gravierenden strukturellen Hindernisse nicht durch Reformen beseitigt, die wertevergessenen EU-Mitglieder nicht durch wirksame Sanktionen diszipliniert, sich den neuen globalen Bedrohungen durch Russland und China gegenüber nicht eindeutig positioniert und die multinationale Zusammenarbeit mit den USA und der NATO nicht zukunftsfähig organisiert, wird es auch in Zukunft keine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union und schon überhaupt keine „strategische Autonomie“ auf der Grundlage einer gemeinsamen Armee der Europäischen Union geben!

Was muss die EU real tun, um politisch endlich erfolgreich und den globalen Herausforderungen gerecht zu werden? Die EU muss sich durch eine grundlegende Reform politisch handlungsfähig machen. Die EU muss ihre Wertvorstellungen standhaft verteidigen und nationalistische Mitglieder, die den rechtsstaatlichen Prinzipien zuwiderhandeln, nachhaltig sanktionieren, bis hin zur Empfehlung eines Austritts aus unserer Wertegemeinschaft. Die EU kann erst dann weitere Mitglieder aufnehmen, wenn sie den erforderlichen Reformprozess abgeschlossen hat – so lange sollten Beitrittsgespräche ausgesetzt werden. Die EU sollte die offensichtliche autoritäre und gegen unsere rechtsstaatlichen Prinzipien gerichtete Entwicklung der Türkei standhaft kritisieren und den extrem frauenfeindlichen Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Anlass nehmen, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei endlich zu beenden. Die EU muss zu einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik finden und den Schutz der Außengrenzen verbessern. Die EU muss den Spaltungen in verschiedene Interessengruppen entgegenwirken und Solidarität einfordern. Die EU muss außerdem den Neustart der transatlantischen Zusammenarbeit mit den USA noch engagierter unterstützen. Dazu gehören die noch engere Zusammenarbeit mit der NATO – einschließlich einer gemeinsamen Haltung zum G5-Ausbau und der Nutzung von Huawei - sowie eine gemeinsame Haltung gegenüber dem zunehmend aggressiv agierenden Russland – einschließlich wirksamer Sanktionen und einer gemeinsamen Haltung gegenüber dem Projekt Nordstream 2. Deutschland sollte in dem Zusammenhang dazu aufgefordert werden, die mit großer Mehrheit des EU-Parlamentes gegen Nordstream 2 getroffene Entscheidung zu berücksichtigen. Die EU muss außerdem – möglichst in engem Zusammenwirken mit den USA – zu einer eindeutigen Strategie und Haltung gegenüber der zunehmend aggressiven Machtentfaltung Chinas - im südchinesischen Meer und weltweit - finden. Die EU wird auch zukünftig mit der europäischen Regionalmacht Russland und mit der Handelsmacht China zusammenarbeiten müssen, aber nicht zu jedem Preis – und nicht im Irrglauben, dass mit diesen Mächten „Wandel durch Handel“ erfolgreich sein kann, denn die sind am werteorientierten „europäischen Modell“ nicht interessiert!

Der Westen verliert derzeit zunehmend an Kraft und man kann durchaus feststellen, dass wir uns in einer Krisensituation befinden. Die USA haben als Weltmacht an Vertrauen verloren und Europa ist zu schwach, um ohne die USA seine Werte zu verteidigen sowie seine Sicherheit zu gewährleisten. Nur in gemeinsamer und enger transatlantischer Zusammenarbeit ist der Westen stark und diese Zusammenarbeit muss um Anteile einer indo-pazifischen Zusammenarbeit erweitert werden. Die EU kann dabei nicht abseitsstehen und ihre eigenen Interessen verfolgen, sondern Europa muss eine Chinapolitik entwickeln, die möglichst im Einklang mit der Politik der USA ist.

Nur mit werteorientierter, konsequenter, multilateral ausgerichteter Politik wird die EU Erfolg haben und international wieder ernst genommen werden!

(05.04.2021)

 

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