Hans-Heinrich Dieter

 

Erfrischende und liebenswerte Chaoten? (30.04.2012)

 

Der „Spiegel“ hat sich unter dem Titel „Avanti Dilletanti“ mit der Piratenpartei befasst. Der Titel steht kurz und griffig für Ahnungslosigkeit, fehlende politische Ziele und Programme, mangelnde Inhalte, laienhaftes Chaotentum und Meinungslosigkeit. Die Piraten scheinen nach dem Motto politisch zu leben: Das Genie beherrscht das Chaos, Regeln und Ordnung sind etwas für Spießer. Leider gibt es nur ganz wenige Genies. Das alles stört viele Medien nicht, die zwar das Inhaltsvakuum beklagen, aber die Piraten gleichzeitig irgendwie liebenswert und erfrischend finden.

Es soll alles besser werden. Der neue Vorsitzende der Piraten, Schlömer, im Hauptberuf Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium, will die Partei professionalisieren und „die Meinungslosigkeit in manchen inhaltlichen Bereichen beenden.“ Er kann sich allerdings jetzt schon für die Piraten durchaus vorstellen, Regierungsverantwortung zu übernehmen und kündigt für die Bundestagswahl ein Grundsatzprogramm an.

Bei solchen Ankündigungen und angesichts der  politischen Rahmenbedingungen stellt man natürlich die Frage nach der Regierungsfähigkeit und auch nach der Koalitionsfähigkeit der Piratenpartei. Das wundert den frischgebackenen Parteichef und er klagt, es werde nur noch über Koalitionsfähigkeit gesprochen und damit gar nicht mehr über Themen. Regierungsdirektor Schlömer hat da erstaunlich vieles offensichtlich noch nicht begriffen. Da man mit ihm noch nicht über konkrete Themen fundiert sprechen kann, Koalitionsbildung zwischen poltischen Parteien aber nur über Kompromisse zu politischen Zielen, konkreten Projekten und Programmen der Partner möglich ist, wird die Koalitionsfähigkeit der Piraten ja gerade angezweifelt.

Und wenn sich Herr Schlömer die Wahrnehmung poltischer Verantwortung durch die Piraten sogar auf Bundesebene vorstellen kann, dann sollte er berücksichtigen, dass es bei Volksvertretungen ja doch um Machtausübung mit dem Ziel geht, das Wohl des Volkes zu mehren. Dafür braucht man konkrete Ziele und klar umrissene politische Vorstellungen und keine gutmeinende aber laienhafte Unbedarftheit.

Angesichts solch laienhafter Unbedarftheit, der politischen Ahnungslosigkeit und der fehlenden Inhalte, Ziele und Programme ist es geradezu unverantwortlich, sich zur Wahl zu stellen.

Der Spitzenkandidat der FDP in NRW, Lindner, hat am Anfang des Wahlkampfes mal gesagt, die Piratenpartei nähme er nicht ernst, wohl aber die Wähler der Piraten. Dieser Auffassung bin ich nicht. Besonders wegen ihrer politischen Verantwortungslosigkeit muss man die Piraten sehr ernst nehmen. Und die etablierten Parteien müssen die Inhaltsleere, die Orientierungslosigkeit, die parlamentarische Unerfahrenheit und vor allem diese politische Verantwortungslosigkeit thematisieren, zu einer fundierten Meinungsbildung der Wahlbürger beitragen und dadurch Politikerverdrossenheit abbauen. Anbiedern wird nicht helfen.

Die politikerverdrossenen Wähler der Piraten nehme ich auch ernst, denn unter ihnen sind ja ehemalige Nicht-Wähler, Nicht-mehr-Wähler, Politikerverdrossene und Unzufriedene. Da sie aber bereit sind, eine Partei ohne Inhalte und konkrete politische Ziele zu wählen, handeln sie entweder auch bewusst verantwortungslos oder aufgrund mangelnder politischer Bildung aus dem Wutbauch heraus. Auch solche Bürger muss man ernst nehmen, sie können einem aber auch leid tun. Deswegen muss man etwas für ihre politische Bildung tun.

(30.04.2012)

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Kommentare