Hans-Heinrich Dieter

Ernsthafte Politik   (03.10.2013)

 

Im Vorfeld von Sondierungen und Koalitionsgesprächen zur Bildung einer Bundesregierung sind die Medien voll von Beteuerungen, dass die Parteien sich ernsthaft um ein Kabinett bemühen wollen.

Der SPD-Vorsitzende Gabriel meint, "die Parteien dürfen auch nicht taktieren und die Verhandlungen mutwillig verschleppen." und geht davon aus, dass die Bürger sein verzögerndes Gerede der letzten zwei Wochen schon vergessen haben.

Spitzenpolitiker der CDU versichern führenden Grünen-Politikern, entsprechende Gesprächsangebote seien ernst gemeint. Zur Untermauerung solcher Ernsthaftigkeit entdecken einige Christdemokraten bei den Alt-68ern sogar konservative Wurzeln. Die Grünen wiederum halten solche Gesprächsangebote für taktische Manöver der Union. Die CSU schüttet - wie zu erwarten - immer mal wieder Wasser in den Wein der Ernsthaftigkeit.

Die bisherige Spitzenkandidatin der Grünen Katrin Göring-Eckardt gibt zu Protokoll, "Wir sagen nicht von vornherein, das wird nichts mit der Union." Die Grünen gingen "ernsthaft in die Gespräche".

Und im Testbed Hessen mehren sich die Hinweise, dass Schwarz-Grün ernsthaft als eine Möglichkeit der Regierungsbildung ins Auge gefasst wird.

Da reibt sich der Bürger, der sein Wahlrecht wahrgenommen hat, erstaunt die Augen. Er muss davon ausgehen, dass er mit seiner Stimme Bundestagskandidaten und Parteien Verantwortung dafür übertragen hat, dass baldmöglich eine stabile Bundesregierung auf der Grundlage eines plausiblen Koalitionsvertrages die Geschicke Deutschlands zum Wohle der Bürger kraftvoll in die Hände nimmt. Dass dazu auf der Grundlage von Wahl- und Regierungsprogrammen sowie von Wahlergebnissen Kompromisse zu schließen sind, ist dabei für die Wähler genauso selbstverständlich wie die Erwartung, dass Gespräche unter demokratischen Parteien ernsthaft geführt werden.

Die Parteien verraten sich also durch ihre gebetsmühlenartige Diktion. Sie wissen voneinander, dass staatspolitische Verantwortung und das Bürgerwohl zunächst nicht im Vordergrund stehen, sondern nackte Partei- und egoistische Machtinteressen. Sie kennen sich nur allzu gut und wissen voneinander, dass sehr wohl über Inhalte, Wahlversprechen und Grundsätze - auch ernsthaft - zu diskutieren ist. Wichtig ist aber derzeit, durch vage inhaltliche Aussagen verbrämt, die jeweils bestmögliche Ressortverteilung zur Versorgung der jeweiligen Spitzenpolitiker und zur öffentlichkeitswirksamsten Vertretung der Parteiinteressen zu sondieren. Versorgte Spitzenpolitiker sind dann auch kompromissbereiter.

Das teilweise ärgerliche Politikerverhalten aller Parteien im Vorfeld der Regierungsbildung ist derzeit nicht geeignet, gemeinschaftsschädliche Politikerverdrossenheit abzubauen. Same procedure as last time!

(03.10.2013)

 

 

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