Hans-Heinrich Dieter

Erschreckend (05.08.2011)

 

Nicht nur meteorologisch, auch politisch ist dieser Sommer in Deutschland erschreckend.

Die USA haben sich im Zuge der Schuldenkrise vor den Augen der Welt lächerlich gemacht und an Respekt als Führungsmacht verloren. Die politischen Institutionen der USA sind aus der Balance geraten. Und die USA werden offenbar zunehmend durch wahltaktisch orientierte Politik handlungsunfähig. Das Land ist inzwischen ideologisch geradezu gespalten und dabei, den Willen zum Konsens zu verlieren. Amerikanische Politiker sind ihrer Verantwortung auch für die Weltwirtschaft und die internationalen Finanzmärkte nicht gerecht geworden und haben aufgrund ihrer schwachen Konjunktur und immer noch hohen Arbeitslosigkeit massiv an ökonomischer Vertrauenswürdigkeit verloren. Diese erschreckende Lage beeinflusst die Volkswirtschaften weltweit und schickt die Kurse auf rasante Talfahrt.

In Ostasien dreht sich der für Deutschland so wichtige Konjunkturmotor inzwischen langsamer und das wird unsere Exporterfolge verringern. Japan kämpft immer noch mit den verheerenden Folgen von Erdbeben, Tsunami und der Havarie von Fukushima I. Dabei gewinnt man den Eindruck, dass die negativen politischen Folgen von Fukushima I in Deutschland gravierender sind als in Japan. Die erschreckend hysterische, unbegründete deutsche Atom-Ausstiegspolitik wird die deutsche Bevölkerung noch erheblich belasten.

Der Hunger in Afrika verschärft sich. Die Krise in Ostafrika droht sich auf sechs weitere Regionen Somalias auszuweiten, wenn es nicht gelingt, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Neben Somalia sind auch Äthiopien, Kenia, Dschibuti, Uganda und Sudan von der Krise betroffen. Der Bedarf an Hilfsgütern ist enorm, neben der von der internationalen Staatengemeinschaft zugesagten Milliarde Dollar sind mindestens weitere knapp zwei Milliarden erforderlich, um das Sterben vieler weiterer Menschen zu verhindern. Erschreckend ist, dass es keine Aussicht zu geben scheint, dass diese afrikanischen Staaten zukünftig aus eigener Kraft für ihre Menschen sorgen können oder wollen und besonders erschreckend ist, dass es nicht wenige Kräfte in diesen Ländern gibt, wie die islamistischen Shabaab-Milizen, die Hilfe gezielt unterbinden und die Menschen dauerhaft in Flüchtlingslager fliehen lassen. 

Im Nahen Osten und in Nordafrika versanden die euphorischen Träume von einem schnellen Erfolg der Arabellion und der zügigen Entwicklung des arabischen Frühlings in demokratische Verhältnisse. Tunesien und Ägypten haben noch meilenweit auf dem Weg zu demokratischen Strukturen zu gehen. In Libyen führt die NATO seit Monaten Luftangriffe gegen die regulären Streitkräfte Libyens, zerstört Volkseigentum und hat große Schwierigkeiten, immer wieder plausibel und glaubwürdig zu erklären, dass die Angriffe ausschließlich dem Schutz eines Teils der libyschen Bevölkerung vor Gaddafi dienen. Das gelingt nicht so richtig, auch weil die Partner Frankreich und Italien das durch die NATO zu garantierende Waffenembargo unterlaufen. Und ein wenig urteilsfähiger Generalsekretär, der schon vor Monaten und wiederholt erklärt hat, dass für Gaddafi das "game over" sei, trägt auch nicht zur Glaubwürdigkeit bei. In dieses Glaubwürdigkeitsdilemma hinein sagt Frankreichs Verteidigungsminister Longuet, Frankreich werde seine Luftangriffe auf Libyen auch während des Fastenmonats Ramadan fortführen und fordert mehr Unterstützung von den europäischen Partnern. Grobschlächtiger kann man die zuständige und verantwortliche NATO nicht brüskieren. Scheinheiligkeit und Doppelmoral der NATO wie der internationalen Staatengemeinschaft werden dann offensichtlich, wenn sie in Libyen bisher als Bürgerkriegspartei erfolglos versuchen, den brutalen Machthaber mit massiver Waffengewalt zu vertreiben und in Syrien, wo ebenfalls Verbrechen gegen die Bevölkerung stattfinden, eine hilflose verbale Nadelstichtaktik anwenden und lediglich Beschlüsse fassen, die allenfalls wirkungslose Minisanktionen zulassen. Die Aufständischen in Syrien werden im Stich gelassen, auch weil eine militärische Intervention gegen das mit dem Iran befreundete Syrien die Kräfte der Weltgemeinschaft derzeit überfordern würde und die Veto-Mächte Russland und China nicht zu weiterführenden Maßnahmen gegenüber Syrien zu bewegen sind. Der Autoritätsverlust der UN und der NATO sind erschreckend.  

Im Kosovo flammen gewaltsame Konflikte zwischen Serben und Albanern auf. Der Geist des Balkankrieges ist da schnell aus der Flasche, die Souveränität des Kosovo wird von Serbien nicht respektiert, Gesetze werden missachtet, Mafia-Strukturen werden offensichtlich, Anordnungen der internationalen Staatengemeinschaft (Kfor) werden nicht befolgt und so ihre Autorität untergraben. Die operative Reserve der  NATO wird in Marsch gesetzt. Und da der gegenseitige Hass der Bevölkerungsgruppen tief sitzt, sind schnelle und tragfähige Lösungen nicht zu erwarten. Ein erschreckender Rückschlag.

Die Europäische Union bekommt trotz hektischer Gipfeldiplomatie und großer finanzieller Anstrengungen und massiver Sparauflagen für die betroffenen Länder die eigene Schuldenkrise nicht in den Griff. Kurzfristiges Löcherstopfen überwiegt langfristige, gemeinsame  europäische Konjunkturpolitik. Griechenland wird immer augenfälliger zu einem hoffnungslosen Fall, ob die Krisen in Spanien, Portugal und Irland gemeistert werden können ist offen und die große Volkswirtschaft Italien hat sehr hohe Schulden, eine schwache Wirtschaftsstruktur, schlechte Konjunkturdaten und einen Regierungschef, dem inzwischen noch nicht einmal die Italiener die Lösung der Probleme zutrauen. Auch Belgien schwächelt und leistet sich einen kleinkarierten und bornierten Bevölkerungsgruppen- und Sprachenstreit, der seit über einem Jahr die Bildung einer handlungsfähigen Regierung verhindert. Erschreckend viele junge Menschen in Europa haben keine Arbeit, das Vertrauen in die Politik sowie in die Zukunft ihrer Länder verloren und bringen das mit massiven Dauerprotesten zum Ausdruck. Die jungen Leute haben Recht, im Hinblick auf die politische Zukunft im europäischen Raum ist Skepsis angebracht. Es ist erschreckend wie wenig gemeinsam die Europäische Gemeinschaft inzwischen agiert.

Deutschland     in der parlamentarischen Sommerpause ist durch teilweise gute Politik glimpflich durch die internationale Finanzkrise gekommen und kann mit vergleichsweise guten Wirtschaftsdaten aufwarten. Der allgemeine Zustand der Republik und die Zukunftsaussichten sind aber durchaus wenig erfreulich. Im Zusammenhang mit "Stuttgart 21" spricht die F.A.Z von einer "Tohuwabohurepublik". Die Gegner des Projektes und Wutbürger brüllen "Lügenpack" und der stark alternde "Schlichter" Geißler stiftet zusätzliche Verwirrung und spricht gar vom "totalen Krieg". Das undemokratische  Verhalten der Bürgerbewegung, die ausgeprägte Gewaltbereitschaft der Wutbürger und das teilweise kumpanenhafte Agieren grüner Politiker lassen Optimismus nicht zu.

Dazu kommt, dass die deutschen Bürger ihr Wahlrecht offenbar zunehmend irrational nutzen oder politikverdrossen überhaupt nicht mehr wählen. In Bremen haben die Bürger die Sozialdemokraten wiedergewählt, die das Land über Jahre wirtschaftlich zu einem Schlusslicht unter den Bundesländern heruntergewirtschaftet haben. Berlin ist in einem desolaten wirtschaftlichen und finanziellen Zustand und hängt mit sehr hohen Schulden, mit hohen Arbeitslosenzahlen und steigenden Mieten nachhaltig am Tropf des Bundes und des Länderfinanzausgleichs. Das erzeugt im Hinblick auf die kommenden Wahlen aber keine Wechselstimmung. Die Berliner mögen halt ihren schwulen Oberbürgermeister - und mögen reicht, denn an die Abhängigkeit von Transferleistungen sind die Bürger ja gewöhnt. In einem solchen vorwiegend gefühlsbetonten, und von Beliebtheitsskalen dominierten politischen Klima ist zunehmend wenig Raum für liberales Gedankengut. Und wenn eine liberale Partei in einer Demokratie weit hinter Kommunisten rangiert und von Bedeutungslosigkeit bedroht ist, dann muss man sich um das System Sorgen machen.

Die Integration unserer Mitbürger mit Migrationshintergrund ist trotz vieler guter Initiativen, mehrerer Integrationsgipfel insbesondere bei einer großen Zahl Migranten mit türkischem Hintergrund noch nicht gelungen. Es gibt leider zahlreiche Parallelstrukturen, die unsere Gesellschaft und das zukünftige Zusammenleben stark belasten. Wie jüngste Ereignisse zeigen, wird politische Meinung z.B. in Kreuzberg durch türkischstämmigen "Pöbel"  bestimmt. Die Maßnahmen, die gegen solche Fehlentwicklungen ergriffen werden, sind bisher unzureichend. Eine Aussicht auf eine grundlegende Besserung dieser Lage gibt es nicht. Im Gegenteil, SPD-geführte Bundesländer plädieren jetzt für eine integrationsfeindliche zweite Staatsbürgerschaft für Migranten.

Nicht überraschend aber dennoch erschreckend sind die neuesten demografischen Zahlen  des Statistischen Bundesamtes. In der Geburtenrate ist Deutschland Schlusslicht in Europa. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren an der Gesamtbevölkerung sinkt ständig. Alle familienpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre haben diesen Trend nicht stoppen können. Dieser Trend wird sich eher noch verschärfen, weil zu wenige deutsche Frauen mehr als ein Kind zur Welt bringen. Angesichts der nicht rosigen Zukunftsperspektiven für zukünftige Generationen, bei den unzureichenden bis schlechten Betreuungsmöglichkeiten für Kleinkinder und angesichts der teilweise schlimmen und leistungsfeindlichen Schulpolitik mehrerer Bundesländer kann man nachvollziehen, warum sich viele junge Paare leider gegen Kinder entscheiden.  Unsere Bevölkerung schrumpft und altert rasant. Wir sitzen in einer demografischen Falle aus der wir nur schwer und über lange Zeiträume entrinnen können. Das ist neben unserer Bildungsmisere und der steigenden Kinderarmut die traurigste Perspektive.

Sowohl der Blick durch die Lupe wie durch das Fernglas zeigt für unsere politische Großwetterlage erschreckend trübe Aussichten. Dass es uns in Deutschland immer noch besser geht als vielen unserer europäischen Nachbarn, kann nicht beruhigen, denn wir sitzen in einem Boot.

 

(05. August 2011)

 

nach oben

 

zurück zur Seite Kommentare