Hans-Heinrich Dieter

EU-Armee?   (15.11.2016)

 

Trump vertrat im Wahlkampf die Meinung, dass die NATO ziemlich überflüssig ist und Japan sich selbst gegen China verteidigen muss. Der zukünftige US-Präsident fordert außerdem von den Europäern einen höheren Anteil bei der Finanzierung des westlichen Verteidigungsbündnisses und brachte zum Ausdruck, dass nur der ein Recht auf Beistand gemäß Artikel 5 des NATO-Paktes hat, der den vereinbarten Verteidigungsinvestitionen nachkommt. Das ist eine deutliche Ansage, dass auf Europa nun mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zukommt. Da Trump noch nicht richtig berechenbar ist, drängt sich da tatsächlich die Frage auf, ob die USA die transatlantische Partnerschaft weiter kooperativ gestalten wollen und als Supermacht bei der globalen Krisenbewältigung noch zur Verfügung stehen werden. Das hat in Europa und Deutschland natürlich Reflexe in Gang gesetzt. EU-Kommissionspräsident Juncker brachte umgehend die Schaffung einer EU-Armee ins Gespräch und Unions-Fraktionschef Kauder griff den Ball auf und meinte am Sonntag, das sei jetzt der richtige Zeitpunkt, eine europäische Armee aufzubauen. Verteidigungsministerin von der Leyen hingegen äußerte sich sachkundiger und hält Forderungen Trumps nach mehr europäischem Engagement in der Sicherheitspolitik für durchaus verständlich. Europa müsse mehr Verantwortung auf seine Schultern nehmen. Dies gelte für das Engagement innerhalb der NATO, aber auch in Bezug auf den Aufbau einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion. Die EU-Außenbeauftragte Mogherini aber schwadronierte in dem Zusammenhang sogar von der Supermacht Europäische Union, die mehr Verantwortung in der Sicherheitspolitik zu tragen habe. Da wünscht man sich etwas mehr Realitätssinn.

Deswegen ist es wichtig, dass nun die EU-Außenminister und auch die EU-Verteidigungsminister in Brüssel zu Beratungen zusammengekommen sind und Schlussfolgerungen aus einer durchaus möglichen negativen transatlantischen Entwicklung ziehen. Das Ergebnis entspricht eher den Möglichkeiten der EU: Es soll ein dauerhaftes Zentrum geschaffen werden, in dem künftig militärische und zivile Auslandseinsätze geplant werden sollen, um künftig schneller und wirksamer als bisher reagieren und autonom handeln zu können. Dabei sollen Doppelstrukturen mit der NATO allerdings vermieden werden. Außerdem sollen die Fähigkeiten europäischer Krisenreaktionskräfte verbessert und die Zusammenarbeit im Rüstungsbereich enger gestaltet werden. Auf dieser Grundlage kann zunächst weiter gearbeitet werden, denn alles was darüber hinausgeht ist entweder illusorisch oder der äußeren Sicherheit der Mitglieder der EU abträglich. Denn der Aufbau einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion braucht viel Zeit und muss von allen Mitgliedstaaten gewollt werden. In der augenblicklichen sicherheitspolitischen Lage und angesichts der aggressiven Machtpolitik Russlands verlangen insbesondere die osteuropäischen Mitgliedstaaten Sicherheitsgarantien und dazu ist auf nicht absehbare Zeit nur die NATO - möglichst mit den USA - in der Lage. Die EU sollte zunächst einmal eine gemeinsame  europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik formulieren und versuchen, diese Politik wirklich gemeinsam in die Tat umzusetzen. Da werden sehr schnell Grenzen und teilweise hohe Mauern sichtbar werden!

Der Aufbau einer EU-Armee braucht viel Zeit und politische und rechtliche Rahmenbedingungen, die schnelle Entscheidungen für militärische Einsätze möglich machen. Dazu bräuchte man eine diesbezüglich entscheidungsbefugte europäische Regierung und das bedeutet Souveränitätsverlust der Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer der EU-Armee unterstellten Streitkräfte. Es ist nicht absehbar, dass solche Rahmenbedingungen in den nächsten zehn Jahren zu schaffen sind, denn die Entwicklung ist derzeit gegenläufig - weniger Solidarität dafür deutlich verstärkter Nationalismus! Mit der EU in ihrem derzeit desolaten und maroden Zustand eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit und mangelnder Durchsetzungsmöglichkeiten ist der Aufbau einer EU-Armee nicht machbar und auch nicht sinnvoll. Eine in langwierigem Aufbau befindliche EU-Armee wäre in unserer derzeitigen schwierigen sicherheitspolitischen Lage ein großes Sicherheitsrisiko. Alles was die NATO derzeit schwächt und beeinträchtigt, ist unserer Sicherheit abträglich!

Und eine Supermacht ist ein Staat oder ein Staatenverbund, der globale politische Entwicklungen aufgrund seiner überragenden Fähigkeiten und Potentiale zur weltweiten militärischen Machtprojektion, zum Beispiel mit Seestreitkräften und strategisch einsetzbaren Nuklearwaffen, beeinflussen und bestimmen kann. Die USA sind die derzeit einzige Supermacht der Welt.
Die EU hingegen verfügt über den größten Binnenmarkt der Welt. Sie hat ein weltweit einzigartiges Wohlstandsniveau erreicht. Ihr ist es gelungen, einen ehemals zerstrittenen Kontinent friedlich zu vereinen und eine Wertegemeinschaft zu bilden. Von einer Supermacht ist die EU aufgrund ihrer verfassten politischen Struktur, wegen ihrer unzureichenden politischen Integration und daraus resultierender eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit, wegen ihrer unzureichenden Solidarität und eingeschränkten gemeinsamen Handlungsfähigkeit und auch aufgrund der eingeschränkten Bereitschaft, in die gemeinsame Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit in vereinbartem und erforderlichem Maß zu investieren, viele Meilen weit entfernt.

Statt illusionsbeladen und unglaubwürdig von europäischer Armee oder EU-Armee zu fabulieren, sollte die EU ihre Mitglieder auffordern, den Ausbau der NATO zu fördern, gemeinsame Rüstungsvorhaben zu forcieren und die Einsatzfähigkeit ihrer Streitkräfte hinsichtlich ihrer Mobilität zu erhöhen und auf dem Stand der Technik zu halten. Das erfordert von jedem Mitglied deutlich mehr Willen und Bereitschaft zu gemeinsamem politischem Handeln.

Präsident Obama hat vor seiner aktuellen letzten Europareise gesagt, Trump habe ihm gegenüber großes Interesse bekundet, die strategischen Beziehungen der USA beizubehalten, und deswegen werde wohl das amerikanische Engagement für eine starke und robuste NATO nicht nachlassen. Das erscheint realistischer als isolierte Vereinigte Staaten von Amerika.

(15.11.2016)

 

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