Hans-Heinrich Dieter

EU-Geldverschwendung   (04.06.2021)

 

Die Europäische Union - und damit auch Europa - befindet sich derzeit in einem bedauernswerten, ja geradezu mitleiderregenden Zustand. Die Finanzkrise ist immer noch nicht vollständig überwunden, die Staatsverschuldung ist in den meisten Mitgliedstaaten nicht im Griff – und in der Coronakrise ausgeufert - die massiven Strukturprobleme der meisten EU-Staaten sind nicht oder nur unzureichend behoben und die Flüchtlingsproblematik spaltet Europa immer noch mehrfach und nachhaltig. In der Pandemie hat die EU erst sehr spät zu einigermaßen gemeinsamem Handeln gefunden. Mit ihrer Impf-Kampagne hat sich die EU lächerlich gemacht und wird mit Häme überzogen. Mit einem massiven Schuldenprogramm hat sich die EU von ihren eigenen Prinzipien verabschiedet und entwickelt sich nun zu einer Schulden-, Fiskal- und Transferunion. Bei der Krisenbewältigung in Syrien und in Libyen ist die EU nicht erfolgreich. Der Streit zwischen der Türkei und Griechenland um Seegebiete im östlichen Mittelmeer ist noch nicht beigelegt und insgesamt findet die EU nicht zu einer politisch angemessenen und würdevollen Haltung gegenüber der Türkei – in Realität zeigt sich die EU immer wieder anfällig für die politischen Erpressungen Erdogans. Bei der Unterstützung der Opposition in Belarus war die Europäische Union sehr zögerlich und hat erst sehr spät einen Sanktionskompromiss gefunden. Die Europäische Union hat dadurch massiv an Ansehen verloren und wird als Partner in der Weltpolitik sehr wenig ernst genommen. Das muss sich dringend ändern, denn die EU wird in unserer „aus den Fugen geratenen Welt“ mehr denn je als Geopolitischer Akteur gebraucht! Aber das wird nur schwer zu realisieren sein, denn ohne militärische Macht und Gemeinsamkeit aber wird auch eine europäische Außenpolitik nicht wirksam werden können. Und an beidem fehlt es in starkem Maße.

Für eine „gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ und für eine „strategische Autonomie“ der EU sind allerdings Gemeinsamkeit und Solidarität der Mitgliedstaaten Grundvorrausetzungen. Die EU ist aber mehrfach gespalten in den wirtschaftsstärkeren Norden und den weniger leistungsstarken Süden mit gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit. Die EU hat eine Euro-Zone und eine Reihe Länder mit eigener Währung. Die Flüchtlings- und Migrations-Krise hat die Mitgliedsländer nachhaltig auseinanderdividiert und den Schengen-Raum brüchig werden lassen. Und die effektive Sicherung der EU-Außengrenzen ist längst nicht gewährleistet. Die EU ist insgesamt in einer desolaten Lage.

Italien steht wirtschaftlich und finanziell am Abgrund, verweigert sich aber zum Teil einer rationalen Zusammenarbeit mit der EU und wird sich mit seiner hohen Jugendarbeitslosigkeit zu einem längerfristigen Problemfall entwickeln. Griechenland ist wirtschaftlich und finanziell noch lange nicht stabil und wird noch für längere Zeit ein Problemfall bleiben. Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei, die sogenannte Visegrad-Gruppe, die gelegentlich durch Österreich verstärkt wird, entwickeln sich nationalistisch, teilweise egozentrisch und in rechtsstaatlicher Hinsicht entgegengesetzt zu den Wertvorstellungen der EU. Solidarität ist von diesen Mitgliedern nur zu erwarten, wenn sie nationale Vorteile sehen und finanzielle Unterstützung der EU erwarten – das ist inakzeptabel!

Und in diesem Zustand plant die EU der Türkei sowie Albanien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, Kosovo und Bosnien-Herzegowina bis 2027 Finanzhilfen – als „Heranführungshilfen“ - in Höhe von knapp 14,2 Milliarden Euro zu zahlen. Der Rat der Europäischen Union erzielte mit dem Europäischen Parlament eine politische Einigung über die notwendige Verordnung. Sie soll regeln, wie das Geld an die Beitrittskandidaten verteilt werden soll. In der politischen Einigung heißt es: „Mit der Heranführungshilfe werden die Begünstigten bei der Annahme und Umsetzung sehr wichtiger politischer, institutioneller, sozialer sowie wirtschaftlicher Reformen unterstützt, die zur Einhaltung der Werte der EU und zur schrittweisen Angleichung an die Vorschriften, Normen und Strategien der EU erforderlich sind.“ Und sowohl der Rat als auch die Kommission haben betont, dass die Gelder auf Grundlage der tatsächlichen Reformanstrengungen zugewiesen werden sollen. Die politische Einigung muss nun noch in Rechtstexte übersetzt und dann vom EU-Ministerrat und vom Parlament gebilligt werden.

Die EU wird in unserer „aus den Fugen geratenen Welt“ mehr denn je als Geopolitischer Akteur gebraucht! Dazu muss die EU nicht durch neue – teilweise noch höchst untaugliche Beitrittskandidaten - erweitert werden, sondern die EU muss sich durch eine grundlegende Reform zunächst politisch handlungsfähig machen. Die EU muss ihre Wertvorstellungen standhaft verteidigen und nationalistische Mitglieder, die den rechtsstaatlichen Prinzipien zuwiderhandeln, nachhaltig sanktionieren, bis hin zur Empfehlung eines Austritts aus unserer Wertegemeinschaft. Die EU kann erst dann weitere Mitglieder aufnehmen, wenn sie den erforderlichen Reformprozess abgeschlossen hat – so lange sollten Beitrittsgespräche ausgesetzt werden.

Die EU sollte die offensichtliche autoritäre und gegen unsere rechtsstaatlichen Prinzipien gerichtete Entwicklung der Türkei standhaft kritisieren und den extrem frauenfeindlichen Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Anlass nehmen, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei endlich zu beenden. Die EU muss zu einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik finden und den Schutz der Außengrenzen verbessern. Sie muss den Spaltungen in verschiedene Interessengruppen entgegenwirken und Solidarität einfordern. Die EU muss außerdem den Neustart der transatlantischen Zusammenarbeit mit den USA noch engagierter unterstützen. Dazu gehören die noch engere Zusammenarbeit mit der NATO – einschließlich einer gemeinsamen Haltung zum G5-Ausbau und der Nutzung von Huawei - sowie eine gemeinsame Haltung gegenüber dem zunehmend aggressiv agierenden Russland – einschließlich wirksamer Sanktionen und einer gemeinsamen Haltung gegenüber dem Projekt Nordstream 2. Deutschland sollte in dem Zusammenhang dazu aufgefordert werden, die mit großer Mehrheit des EU-Parlamentes gegen Nordstream 2 getroffene Entscheidung zu berücksichtigen.

Die EU muss außerdem – möglichst in engem Zusammenwirken mit den USA – zu einer eindeutigen Strategie und Haltung gegenüber der zunehmend aggressiven Machtentfaltung Chinas - im südchinesischen Meer und weltweit - finden. Die EU wird auch zukünftig mit der europäischen Regionalmacht Russland und mit der Handelsmacht China zusammenarbeiten müssen, aber nicht zu jedem Preis – und nicht im Irrglauben, dass mit diesen Mächten „Wandel durch Handel“ erfolgreich sein kann, denn die sind am werteorientierten „europäischen Modell“ nicht interessiert! Die EU steht also vor großen Herausforderungen, die hohe Priorität haben.

Dazu kommt, dass die EU sich in eine Schuldenunion und teilweise in Richtung einer Fiskal- und Transferunion entwickelt hat. Die enormen Schulden werden zurückzuzahlen sein und Deutschland wird zum Hauptschuldner werden, weil die südeuropäischen Staaten mit der enormen Schuldentilgung – darunter auch sehr große Altschuldenanteile – überfordert sein werden. Das wird mehr als eine zukünftige Generation belasten! Die EU hat also nichts zu verschenken. Die EU braucht alle Kraft und Mittel, um handlungsfähig zu werden!

Und ein international handlungsfähiger außen- und sicherheitspolitischer Akteur kann die EU nur werden mit einem Neuanfang werteorientierter und solidarischer Mitgliedstaaten, die bereit sind, auch nationale Kompetenzen an die EU zu übertragen. Wer da nicht mitziehen will, muss sich mit einer privilegierten Mitgliedschaft und deutlich weniger EU-Mitteln zufriedengeben! Denn wer die grundlegenden Werte der Europäischen Union, insbesondere in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit, nicht teilt, sollte das Recht auf Voll-Mitgliedschaft verlieren! Erst eine voll handlungsfähige „Kern-EU“ wird in der Lage sein, neue Staaten als „assoziierte EU-Mitglieder“ aufzunehmen, wenn sie den EU-Standards voll entsprechen.

(04.06.2021)

 

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