Hans-Heinrich Dieter

EU - USA   (08.11.2020)

 

Europa und Deutschland freuen sich über die Wahl des Demokraten Joe Biden zum zukünftigen Präsidenten der USA – und machen sich Gedanken über die Zukunft der transatlantischen Beziehungen sowie über die Verbesserung der Zusammenarbeit der EU-Mitglieder und NATO-Partner mit den zuletzt eher gegnerisch eingestellten USA.

Wie es aussieht, wird der Senat in republikanischer Hand bleiben und das Repräsentantenhaus kaum demokratisches Gewicht dazugewonnen haben. Biden wird es also sehr schwer haben, den politischen Kurs der USA deutlich zu verändern und sich zunächst sicher intensiv um die Heilung der amerikanischen Wunden und die Überwindung der Spaltung der amerikanischen Gesellschaft kümmern müssen.

Die hegemonialen Auseinandersetzungen zwischen den USA und China werden aber wohl nicht weniger heftig werden, der neue „Kalte Krieg“ zwischen der westlichen Welt und dem zunehmend aggressiven Russland unter Putin wird unter Kontrolle zu halten sein und die internationalen Krisen werden nur mit internationalem Engagement zu bewältigen sein. Und das gilt natürlich auch für weitere internationale Themen wie die der Klimapolitik, aber auch der Abrüstung und Rüstungskontrolle. Es müssen also weiterhin schwierige geopolitische und auch militärstrategische Probleme multilateral gelöst werden – möglichst zusammen mit einem in letzter Zeit unzuverlässigen und zunehmend nationalistisch eingestellten Partner USA. Das hat zur europäischen Einsicht geführt, dass die Zeiten, in denen Europa sich auf andere verlassen könne, „ein Stück vorbei“ seien.

In der EU mehren sich die Stimmen, die angesichts der Beziehungen zu den USA und der tiefsitzenden Skepsis, dass diese sich mit Biden als Präsident schnell und nachhaltig verbessern werden, für eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik, die sich allerdings durch Souveränität und Selbstständigkeit auszeichnen muss. Und das in einer Phase, in der sich die Europäische Union, und damit auch Europa, in einem bedauernswerten, ja geradezu mitleiderregenden Zustand befindet. Die Finanzkrise ist immer noch nicht vollständig überwunden, die Staatsverschuldung ist in den meisten Mitgliedstaaten nicht im Griff, die massiven Strukturprobleme der meisten EU-Staaten sind nicht oder nur unzureichend behoben und die Flüchtlingsproblematik spaltet Europa mehrfach und nachhaltig. In der Pandemie hat die EU erst sehr spät zu einigermaßen gemeinsamem Handeln gefunden. Mit einem massiven Schuldenprogramm hat sich die EU von ihren Prinzipien verabschiedet und entwickelt sich zu einer Schulden-, Fiskal- und Transferunion. Bei der Krisenbewältigung in Syrien und in Libyen ist die EU nicht erfolgreich. Der Streit zwischen der Türkei und Griechenland um Seegebiete im östlichen Mittelmeer ist noch nicht beigelegt und insgesamt findet die EU nicht zu einer politisch angemessenen und würdevollen Haltung gegenüber der Türkei – in Realität zeigt sich die EU immer wieder anfällig für die politischen Erpressungen Erdogans. Bei der Unterstützung der Opposition in Belarus war die EU sehr zögerlich und hat nun endlich einen Sanktionskompromiss gefunden. Die EU hat noch keinen bis 2027 gültigen Haushalt beschließen können und bis jetzt hat sich die deutsche Ratspräsidentschaft - für viele EU-Bürger enttäuschend – geringfügig ausgewirkt. Die Europäische Union hat so massiv an Ansehen verloren und wird als Partner in der Weltpolitik sehr wenig ernst genommen. Das muss sich dringend ändern, denn die EU wird in unserer „aus den Fugen geratenen Welt“ mehr denn je als Geopolitischer Akteur gebraucht! Und das wird nur schwer zu realisieren sein, denn ohne militärische Macht und Gemeinsamkeit aber wird auch eine europäische Außenpolitik nicht wirksam werden können. Und an beidem fehlt es in starkem Maße.

Denn die außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU ist schon von ihrer Struktur und von den politischen Grundlagen her stark eingeschränkt und deswegen gibt es auch keine wirklichen zukunftsfähigen Entscheidungen – höchstens den einen oder anderen schwachen Kompromiss. Die EU hat keine gemeinsam definierte Außen- und Sicherheitspolitik als Rahmenbedingung einer erfolgreichen europäischen Außenpolitik. Denn seit 1993 redet die EU von einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), aber es wurde bisher keine real definierte und angewandte gemeinsame diesbezügliche Politik gemacht. Die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit ist zudem durch die erforderliche Einstimmigkeit bei außenpolitischen Entscheidungen und die sich verstärkenden nationalistischen und unsolidarischen Tendenzen einiger Mitgliedstaaten sehr stark eingeschränkt.

An Forderungen und großen Worten fehlt es in der EU diesbezüglich natürlich nicht. Bereits 2017 hat Präsident Macron in einer euphorischen Rede an der Sorbonne in Paris Visionen von grundlegenden Weiterentwicklungen der Europäischen Union dargelegt und sich begeistert zu Europa bekannt. Er ist der Meinung, dass Europa bereits zu Beginn des nächsten Jahrzehnts eine handlungsfähige Eingreiftruppe, einen gemeinsamen Verteidigungshaushalt sowie eine gemeinsame Einsatzdoktrin braucht und will dazu eine Europaarmee in Ergänzung zur NATO aufbauen. Im Vorfeld haben Deutschland und Frankreich bereits über verstärkte Zusammenarbeit in der Rüstungsforschung sowie über gemeinsame Kommandostrukturen nachgedacht und von einer “Armee der Europäer” gesprochen. Da es aber keine „GASP“ gibt, gibt es auch noch keine Grundlage für eine gemeinsame Einsatzdoktrin einer europäischen Armee. Es ist auch nicht bekannt, welche Mitglieder der vielfältig zerstrittenen EU sich an einer Europaarmee beteiligen würden, und außerdem sind Aufgabenabgrenzungen einer „europäischen Verteidigungsunion“ zur NATO, oder besser noch eine vertiefte Zusammenarbeit und Aufgabenteilung mit der NATO nicht geklärt. „Zu Beginn des nächsten Jahrzehnts“ wird die EU also weder eine „handlungsfähige Eingreiftruppe“, noch einen „gemeinsamen Verteidigungshaushalt“ und auch keine „gemeinsame Einsatzdoktrin“ haben. Macrons Vorstellungen sind diesbezüglich höchst illusionär. Da ist es für unsere Sicherheit in Europa daher noch in langer Perspektive sehr gut, dass es die NATO gibt, die durch reale und tatkräftige Sicherheitspolitik überzeugt. Deswegen muss die EU sich sicherheitspolitisch sehr viel stärker engagieren und dadurch den europäischen Pfeiler in der NATO deutlich stärken. Längerfristig wird unsre Sicherheit in Europa nur durch ein starkes Bündnis mit den USA zu garantieren sein. Denn auch als enger Partner der NATO wird die EU ihre Eigenständigkeit in der Sicherheitspolitik zwar erweitern können, wirklich autonom kann die EU in der Verteidigungspolitik aber auf nicht absehbare Zeit schon wegen ihrer sehr stark eingeschränkten nuklearen Fähigkeiten nicht werden.

Eine handlungsfähige außenpolitische „Großmacht“ wird die EU also nicht durch vollmundige Reden und „Ankündigungen“. Die EU muss sich reformieren und weiterentwickeln von einer friedensstiftenden Nachkriegs-Wirtschaftsunion zu einem international handlungsfähigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur mit leistungsfähigen politischen Instrumenten, die sie auf der Grundlage einer Gesamtstrategie machtvoll zur Wirkung bringen kann. Dazu muss das Einstimmigkeitsprinzip in außenpolitischen Angelegenheiten durch ein Mehrheitsrecht ersetzt werden. Das alles wird nur durch die allmähliche, schrittweise Gestaltung einer glaubhaften und wirkungsvollen globalen außenpolitischen Rolle gelingen. Dazu muss die EU in sehr engem Zusammenwirken mit der NATO langfristig auch über hinreichende Handlungsfähigkeit bei militärischer Machtausübung verfügen!

Die EU braucht die transatlantische Zusammenarbeit mit den USA im Rahmen der NATO und muss sich deswegen mit einer Stimme intensiv um eine baldige Verbesserung der transatlantischen Beziehungen bemühen – dazu muss sich die EU vom sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer zu einem engagierten, vertrauenswürdigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur entwickeln!

(08.11.2020)

 

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