Hans-Heinrich Dieter

Europäische Streitkräfte?   (08.03.2015)

 

Kommissionschef Juncker spricht sich angesichts der Ukraine-Krise für den Aufbau von Streitkräften der Europäischen Union aus. "Eine gemeinsame Armee der Europäer würde Russland den Eindruck vermitteln, dass wir es ernst meinen." meint er und fügt hinzu: "Europa hat enorm an Ansehen verloren, auch außenpolitisch scheint man uns nicht ganz ernst zu nehmen." Das allerdings liegt weniger am Fehlen einer gemeinsamen Armee!

Juncker ist mit seiner nicht neuen Zukunftsvision nicht alleine. Verteidigungsministerin von der Leyen sagte im Interview der Woche im Deutschlandfunk: das "Verflechten von Armeen mit dem Blick, eines Tages eben eine europäische Armee auch zu haben, ist meines Erachtens die Zukunft." Und Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtiges Ausschusses des Bundestages meint: "Eine gemeinsame Armee ist eine europäische Vision, deren Zeit gekommen ist". Visionen sind allerdings nur mit hohem Kraftaufwand sowie nur langfristig umzusetzen und sind deswegen nicht zeitgerecht geeignet, "Russland den Eindruck (zu) vermitteln, dass wir es ernst meinen." Und bevor man versucht, mit "Visionen" von aktuellen Problemen abzulenken, sollte man nach denUrsachen von aktuellen Mängeln und Lösungen für Verbesserungen suchen.

Die Ursachen für den Ansehensverlust findet die Europäische Union leicht bei sich selbst. Die EU ist eine Gemeinschaft von 28 mehr oder weniger egoistischen Nationalstaaten. Das Konsensprinzip führt dazu, dass Entscheidungen nur auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners getroffen werden. Solche Entscheidungen entwickeln naturgemäß nur eingeschränkte politische Schlagkraft.Wenn die Staaten Europas sich in unserer globalisierten Welt auf der Grundlage unserer gemeinsamen Werte in Krisen stabilisierend einbringen wollen, dann geht das mit Aussicht auf Erfolg nur gemeinsam. Das ist nur mit gemeinsamer EU-Politik möglich. Diese gemeinsame EU-Politik gibt es genauso wenig wie eine gemeinsame EU-Außen- und Sicherheitspolitik. Darüber hinaus fehlten und fehlen derzeit EU-Persönlichkeiten, die eine solche gemeinsame Politik mit den USA und mit der NATO abstimmen könnten. Deswegen lässt die EU es zu, dass einzelne EU-Mitglieder ohne erkennbare Koordination durch die Europäische Union, aber vorgeblich im Interesse der EU, als Nationalstaaten oder als Nationalstaaten-Team „auf eigene Faust“ und in eigenem Interesse versuchen, zum Beispiel den Ukraine-Konflikt zu entschärfen. Im Ergebnis wird solche Politik der EU von unseren osteuropäischen Partnern, hauptsächlich Polen und die baltischen Staaten, als windelweiche, wenig vertrauenerweckende und maßgeblich von Wirtschaftsinteressen beeinflusste politische Leisetreterei wahrgenommen - das gilt auch für die Sanktionspolitik gegenüber Russland, die trotz ständigen Rechts- und Vertrauensbruchs Putins die Möglichkeiten bei weitem nicht ausschöpft. Da wundert es nicht, dass die USA die Europäische Union nicht ernst nehmen und sich lieber an Kanzlerin Merkel wenden.

Dazu kommt, dass die EU sich zwar als Wertegemeinschaft versteht, aber nicht alle EU-Mitgliedstaaten sich diesen Werten verpflichtet fühlen. Griechenland ist höchst korrupt, reformunwillig und -unfähig, fordert Solidarität der EU und verhält sich den EU-Mitgliedern gegenüber in höchstem Maße unsolidarisch. Ungarn entwickelt sich weg von der Demokratie. Rumänien und Bulgarien erfüllen bis heute noch nicht die Mitgliedskriterien. Italien ist bisher nur eingeschränkt reformfähig. Frankreich versteht sich immer noch als Grande Nation und ist mit seiner sozialistischen Mehrheit reformunwillig. Luxembourg hat sich auf der Grundlage von Steuerflucht- und -vermeidungsmodellen zu Lasten anderer Mitglieder über Jahre bereichert und Großbritannien stellt sich mit egoistischer Politik schon jetzt teilweise an den Rand der Union. Einer solchen Gemengelage von unterschiedlich leistungsfähigen und eingestellten Mitgliedstaaten werden die Länder Europas nur höchst widerwillig unter Einschränkung ihres nationalstaatlichen Selbstbewusstseins verteidigungspolitische Souveränität überantworten.

Der Wille zu wirklichen "Vereinigten Staaten von Europa" fehlt derzeit und die europäischen Nationalstaaten sind mehr oder weniger in strukturpolitischen sowie wirtschaftlichen Krisen verstrickt und deswegen mittelfristig einfach nicht in der Lage, ein Mammutprojekt wie die Gestaltung einer europäischen Armee, mit gewaltigen Vertragsänderungen und der Überwindung hoher politischer Hindernisse, in Angriff zu nehmen. Da wird aus einer durchaus guten und richtigen "Zukunftsvision" sehr leicht eine Illusion, die sich als nicht realisierbar erweist und in sich zusammenfällt.

Um Ansehen zurückzugewinnen und in der Außenpolitik ernst genommen zu werden, sollte die EU sich realisierbare Ziele setzen. Die EU muss sich dazu endlich ihrer Verantwortung stellen und mit dem Gewicht der Mehrheit - nicht aller - ihrer Mitglieder gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik machen. Dazu müssen nationale Egoismen überwunden sowie außen- und sicherheitspolitische Kompetenzen an die EU übertragen werden. Europa muss dann Konzepte für eine gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik entwerfen. Die EU muss zusammen mit der OSZE und der NATO eine Russlandstrategie entwickeln. Die EU muss zusammen mit der NATO eine gemeinsame Verteidigungspolitik entwerfen und gestalten. 22 der 28 EU-Mitgliedstaaten sind auch NATO-Mitglieder. Wenn alle Mitglieder die vereinbarten Verteidigungsausgaben von 2 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes kurzfristig realisieren würden, dann könnten EU und NATO Russland mit einem Bündel von Maßnahmen gemeinsam zeigen, dass sie es ernst meinen. Die NATO macht jetzt schon die richtige und ausgewogene Politik gegenüber unserem neuen Gegner Russland, da bräuchte sich die EU als Partner nur zu beteiligen und könnte so gemeinsam mit der NATO sicherheitspolitische Verantwortung Europas in der Welt wahrnehmen. Jegliche kostspielige Konkurrenz zur NATO aufgrund von Doppelstrukturen, Kompetenzüberschneidungen und unübersichtlicher Befehlswege, jegliche politische Relativierung der Bedeutung des transatlantischen Bündnisses ist in der aktuellen Lage von Übel und der Sicherheit Europas abträglich.

Mittel- bis langfristig sollte allerdings durchaus an dem Ziel, die " Vereinigten Staaten von Europa" zu schaffen, festgehalten werden und dazu gehören dann auch "europäische Streitkräfte". Wenn heute Nationalstaaten wie Deutschland und die Niederlande ihre Verteidigungsanstrengungen bündeln und sich gegenseitig Verbände unterstellen, um Strukturen zu sparen und Fähigkeiten kostengünstig zu bündeln, dann arbeiten sie kurzfristig wirksam aber zukunftsorientiert und vernünftig in die richtige Richtung.

"Europäische Streitkräfte", die frühestens unsere Enkel erleben werden, schrecken den aggressiven Neurussen Putin nicht ab!

(08.03.2015)

 

 

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