Hans-Heinrich Dieter

G7 und Europa   (01.09.2019)

 

Der G7-Gipfel in Biarritz hat – außer vielen, vorwiegend an Gefühlsäußerungen orientierten Schlagzeilen – wenig gebracht. 1975 haben die damals 7 führenden Industrienationen der Welt, die USA, Deutschland, Japan, Frankreich, Italien, Großbritannien und Kanada verabredet, sich jährlich zu einem Weltwirtschaftsgipfel zu treffen. Mit G7 trafen sich auch 7 wichtige liberale Demokratien, die die gleichen Werte teilten und gemeinsam die Lage der Welt verbessern wollten. Von 1993 bis zur völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 nahm auch Russland am zwischenzeitlich zum G8 erweiterten Gipfel teil. Durch das Einbeziehen Russlands war sowohl das Treffen „führender Industrienationen“ wie auch „wichtiger liberaler Demokratien“ verwässert und abgewertet. Inzwischen hat die politische Entwicklung den G7-Gipfel fragwürdig werden lassen.

Die USA unter Trump entwickeln sich weg von einer liberalen Demokratie und vertreten in der internationalen Politik und im weltweiten Handel nicht mehr die gemeinsamen Werte, so könne die USA auch ihre Führungsrolle nicht mehr wahrnehmen. Deutschlands Stellung als „führende Industrienation“ ist – auch durch die offensichtliche kriminelle Energie in der für unsere Volkswirtschaft so wichtigen Autoindustrie – angeschlagen und die Wirtschaftsentwicklung weist derzeit einen negativen Trend auf. Japan konnte seinen Anteil an der G7-Führungsposition weitgehend erhalten. Frankreich dagegen hat eine marode Wirtschaftsstruktur, die es nicht in den Griff bekommt. Italien ist ständig bankrottgefährdet und Großbritannien kann man auch nicht mehr als führende Industrienation bezeichnen, wohl aber als einen wichtigen Standort der Finanzwirtschaft. Kanada konnte seinen Status wie Japan weitgehend halten. Heutige G7-Gipfel als „Weltwirtschaftsgipfel führender Industrienationen“ zu bezeichnen ist einfach anmaßend.

Die G7 erfüllen nicht mehr die ursprünglichen Anforderungen und von der gemeinsamen Verfolgung gleicher liberaler Werte sowie von dem Bekenntnis zu gemeinsamer multilateraler Politik kann nicht mehr die Rede sein und damit entfällt auch die Legitimität, die internationale Ordnung so zu bestimmen wie früher. Gleichzeitig haben sich andere Großmächte wie China und Indien zu wichtigen Industrie- und Handelsnationen mit großem Einfluss auf das Weltgeschehen weiterentwickelt. Man kann sogar sagen, dass sich das Zentrum der Weltwirtschaft nach Asien verlagert und deswegen ganz wichtige Mitentscheider nicht am Tisch sitzen. Außerdem ist die Europäische Union nur als Gast bei den Gipfeln vertreten und spielt auch deswegen keine adäquate und mitentscheidende Rolle. G7 im heutigen Format – ohne gemeinsame Handlungsbereitschaft und ohne akzeptierte Führung - haben sich offensichtlich im 21. Jahrhundert überlebt und verlieren an Bedeutung. So haben China und Russland zukünftig eine gute gemeinsame Chance!

Die EU war beim letzten G7-Gipfel als Gast durch EU-Ratspräsident Tusk vertreten, hat sich aber nicht ausgewirkt. Und die EU-Mitgliedstaaten, Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien haben Europa auch nicht überzeugend vertreten. Es war ganz offensichtlich, dass die Gastgebernation Frankreich das politische Handeln nicht hinreichend mit den anderen EU-Mitgliedern abgesprochen, geschweige denn die EU angemessen einbezogen hat. Es fehlt den europäischen G7-Mitgliedern ganz offensichtlich der Wille und die Kraft zu gemeinsamem Handeln und Auftreten. Und die EU ist weiterhin sehr weit entfernt von gemeinsamer Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik. Die EU bleibt entscheidungs- sowie handlungsunfähig und droht durch starke nationalistische Strömungen einzelner Mitgliedstaaten zu zerbrechen. Und auch die USA bemühen sich nach Kräften, ein geeintes und starkes Europa zu verhindern.

Was ist zu tun? Wenn es darauf eine einfache und schlüssige Antwort gäbe, wären die Probleme möglicherweise schon in Angriff genommen. Zunächst einmal sollten die G7-Staaten eine kritische Bestandsaufnahme machen und das Format schon für den nächsten Gipfel in den USA anpassen. Zumindest China und Indien sollten als Mitglieder einbezogen werden und es ist zu prüfen, ob „der Westen (ohne die USA)“, also weitestgehend Europa nicht durch die EU als Gipfel-Mitglied vertreten werden sollte.

Dazu müsste die Europäische Union verlorenes Ansehen zurückgewinnen und als Partner in der Weltpolitik wieder ernst genommen werden können. Wenn die Staaten Europas sich in unserer globalisierten Welt auf der Grundlage unserer gemeinsamen Werte in Krisen stabilisierend einbringen wollen, dann geht das mit Aussicht auf Erfolg nur gemeinsam. Diese gemeinsame EU-Politik gibt es aber derzeit genauso wenig wie eine gemeinsame EU-Außen- und Sicherheitspolitik, weil der Wille zu gemeinsamer Politik stark zu wünschen übriglässt und die EU-Struktur effektive Machtausübung der Gemeinschaft verhindert. Die EU muss ihre Struktur ändern. Dazu gehört auch, dass das Konsensprinzip bei Entscheidungen immer dann, wenn sinnvoll, durch Mehrheitsentscheidungen ersetzt wird. Und die EU muss nationalistische Spaltungstendenzen dadurch überwinden, dass sie wieder zu gemeinsamem, solidarischem Handeln auf der Grundlage unserer demokratischen Freiheitswerte zurückfindet. Deutschland allein ist ziemlich bedeutungslos und kann in der global agierenden Welt wenig bewirken. Das gilt auch für Frankreich und die anderen EU-Mitglieder. Nur eine entscheidungs- und handlungsfähige EU kann unsere gemeinsamen Interessen in der Welt wirkungsvoll vertreten. Deswegen müssen die liberalen europäischen Demokratien in einer handlungsfähigen EU-Organisation zusammenbleiben und zusammenhalten – oder wir haben als Europäer global nur eine sehr eingeschränkt positive Zukunft!

(01.09.2019)

 

Bei Interesse an der EU-Problematik lesen Sie auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/machtloseeu.html

 

 

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