Hans-Heinrich Dieter

Gemeinsame EU-Politik   (28.08.2014)

 

Endlich auch mal wieder ein positiver Termin im Kanzleramt in Berlin. Auf Einladung der Bundesregierung tagen Vertreter von acht Balkanstaaten. Sie beraten über eine Aussöhnung ihrer Länder und die Annäherung an die EU. Vertreten sind die Staats- und Regierungschefs sowie die Außen- und Wirtschaftsminister von Albanien, Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien. Bundeskanzlerin Merkel leitet die Tagung, unterstützt durch Außenminister Steinmeier und Wirtschaftsminister Gabriel. An den Beratungen nimmt auch der scheidende EU-Kommissionspräsident Barroso teil.

Die Staats- und Regierungschefs sowie die Minister der Balkanstaaten erkennen sicher in der Konferenz ein neues Kapitel in der Geschichte des Balkans und hoffen auf eine verstärkte Dynamik für die Region – hauptsächlich im Hinblick auf wirtschaftliche Entwicklung und möglichst baldige EU-Beitritte für die Staaten im Anwärterstatus. Und diese maßgeblichen Politiker erkennen sicher auch die starke Rolle Deutschlands und seiner Kanzlerin in der EU und sind daher dankbar für die Ausrichtung der Konferenz. Trotzdem werden sich die Teilnehmer vom Balkan fragen, warum nicht die Europäische Union eine solche wichtige Tagung ausrichtet sowie leitet und warum lediglich der scheidende EU-Kommissionspräsident Barroso teilnimmt und nicht die Außenbeauftragte der EU sowie die zuständigen EU-Kommissare. Denn einzelne EU-Mitgliedstaaten können für die Zukunftsgestaltung der EU nicht das Gewicht und die Bedeutung entwickeln wie die Wertegemeinschaft und ihre Entscheidungsträger insgesamt. Als Kommissionspräsident würde ich mir das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen. Als Außenbeauftragte würde ich mich düpiert und als zuständige EU-Kommissare von Deutschland übergangen fühlen. Aber die EU hat keine herausragenden Persönlichkeiten als Entscheidungsträger und hat bisher auch noch kein Konzept für gemeinsame Politik.

Augenblicklich sind wir von beängstigenden Krisen umgeben. Und jede einzelne Krise ist zu komplex um sie durch Nationalstaaten lösen zu können. Mehr denn je sind nicht EU-Bürokratismus und bevormundende Erbsenzählerei gefragt sondern gemeinsame EU-Politik.

In der Ukraine-Krise hat die Europäische Union ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine geschlossen und zu einer gemeinsamen Sanktionspolitik gegenüber Russland gefunden. Da reicht es nicht, dass Frau Ashton bei dem Minsk-Gipfel einfach nur dabei ist und von nicht mehr spricht, als von einer positiven Gesprächsatmosphäre. Die EU muss sich endlich ihrer Verantwortung stellen und mit dem Gewicht der Mehrheit ihrer Mitglieder gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik machen. Deswegen sollten „Friedensgespräche“ zwischen den Konfliktparteien durch die EU im Zusammenwirken mit der OSZE in die Wege geleitet oder zumindest begleitet werden und nicht en passant – und auch deswegen erfolglos - stattfinden wie jetzt beim Treffen der Eurasischen Zollunion in Minsk.

In der Irak-Krise haben die EU-Außenminister getagt und die EU hat als äußerst dürftiges Ergebnis festgehalten, dass Waffenlieferungen in den Nordirak erlaubt seien. Auch hier gibt es keine abgestimmte Politik der EU. Denn wenn die EU Verantwortung übernehmen will, dann müsste auch sie Ziele definieren, Konzepte entwerfen und auf dieser Grundlage militärische Unterstützung und Waffenlieferungen koordinieren, damit nicht jeder europäische Nationalstaat das liefert, was er gerade erübrigen kann, und jeder ohne Gesamtplan vor sich hin unterstützt. Wenn die Bekämpfung der Terrormiliz IS Erfolg haben soll, ist gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gefragt und keine innenpolitisch motivierten, hektischen nationalen Alleingänge. Darüber hinaus müssten die Aktivitäten der EU und ihrer Mitglieder natürlich mit den USA, die als einzige in der Lage sind, in der derzeitigen Krisenlage wirkungsvoll militärisch zu unterstützen, abgestimmt werden. Das gilt auch für den Gaza-Konflikt, denn Israel ist nicht durch europäische Nationalstaaten sondern – wenn überhaupt - nur durch die UN, die USA und die EU in Richtung Frieden auf der Grundlage einer Zweistaatenlösung zu bewegen.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben militärisches Eingreifen im Rahmen der Ukraine-Krise ausgeschlossen. Die NATO wird militärisch nur dann direkt aktiv, wenn die Beistandspflicht nach Artikel 5 des NATO-Vertrages zu erfüllen ist. Die Vereinten Nationen sind im Sicherheitsrat paralysiert und zunehmend wirkungsarm. Die USA sind aufgrund ihrer innenpolitischen Situation und Finanzlage nur noch eingeschränkt bereit und in der Lage, als Weltpolizist wirksam zu werden. Die europäischen Nationalstaaten sind mehr oder weniger in strukturpolitischen und wirtschaftlichen Krisen verstrickt und nicht in der Lage, eigenständig und entscheidend zu Krisenbewältigungen beizutragen. Wenn die Staaten Europas sich in unserer globalisierten Welt auf der Grundlage unserer gemeinsamen Werte in Krisen stabilisierend einbringen wollen, dann geht das mit Aussicht auf Erfolg nur gemeinsam. Wenn wir uns als Wertegemeinschaft verstehen und unsere Werte sowie unser Leben in Freiheit erhalten wollen, dann müssen wir uns angesichts der zahlreichen asymmetrischen Bedrohungen gemeinsam dafür engagieren. Das geht nur mit gemeinsamer EU-Politik. Dazu müssen nationale Egoismen überwunden werden, außen- und sicherheitspolitische Kompetenzen an die EU übertragen und die leistungsfähigsten Politiker in Verantwortung gestellt werden. Das bedeutet auch, dass es in der Zukunft kein Proporzdenken und kein Postengeschachere geben darf, sondern einen Leistungswettbewerb der Qualifiziertesten, Erfahrensten und Durchsetzungsfähigsten geben muss. Europa ist zwar wirtschaftlich immer noch leistungsstark, aber Europa ist zunehmend eine Minderheit, die auf Dauer nur gemeinsam stark und überlebensfähig sein wird.

Die derzeitige, gefährliche Krisenfülle bietet Europa die Möglichkeit, mutig in die Zukunft zu denken und zu handeln. Europa muss zu einer gemeinsamen EU-Politik finden. Europa muss Konzepte für eine gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik entwerfen. Die EU muss zusammen mit der OSZE und der NATO eine Russlandstrategie entwickeln. Die EU muss zusammen mit der NATO eine gemeinsame Verteidigungspolitik entwerfen und gestalten. Die EU muss das gemeinsame Gewicht der Mitglieder in die Vereinten Nationen einbringen und langfristig eine neue Struktur des Weltsicherheitsrates erwirken.

Wenn nicht jetzt - angesichts der vielen auch uns betreffenden Krisen - wann dann?

(28.08.2014)

 

 

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