Hans-Heinrich Dieter

ISIS-Terror   (01.07.2014)

 

Die sunnitisch-islamistischen Terroristen von ISIS werden straff geführt, sind mittlerweile finanziell gut versorgt, haben genug moderne Bewaffnung, starke fundamentalistische Überzeugungen und erklärte Ziele. Deswegen sind sie an gleich mehreren Fronten erfolgreich auf dem Vormarsch.

Inzwischen hat ISIS ein "islamisches Kalifat" ausgerufen. Sie wollen in einem transnationalen muslimischen Raum, über Syrien und Irak hinaus, den Gottesstaat, genannt "Der islamische Staat", auf der Grundlage der Scharia errichten, mit dem ISIS-Anführer Abu Bakr al Bagdadi als Kalif und damit Herrscher über alle Muslime.

Die Ausrufung des islamistischen Kalifats hat natürlich vielfältigen muslimischen Widerstand hervorgerufen.

Syrien, wo ISIS gegen die Regierung von Präsident Baschar al Assad vorgeht, hatte sich bei der Bekämpfung der sunnitischen Terrormiliz etwas zurückgehalten, weil ISIS gleichzeitig die Freie Syrische Armee (FSA) der moderaten Opposition und teilweise auch die Al Kaida-nahe Nusra-Front bekämpfte. Nun wird auch ISIS für Assad zu gefährlich und deswegen hat er seine Luftwaffe schon gegen die Terroristen im Irak eingesetzt. Der schiitische Maliki begrüßt es, dass der syrische Machthaber Baschar al Assad ihm im Krieg gegen die sunnitischen Extremisten militärisch zur Seite steht. Da spielt es keine Rolle, dass die USA entschieden haben, die moderate Opposition in Syrien nachhaltig zu unterstützen.

Der schiitische Iran sieht in der sunnitischen Terrormiliz eine zunehmende Gefahr für die ganze Region und hat dem Irak Unterstützung zugesagt. Immerhin steht der schiitische Iran ja auch in Syrien in einem Machtkampf und mit dem sunnitischen Saudi-Arabien in einem indirekten Machtkampf um die Vorherrschaft der "richtigen" islamischen Konfession.

 Die Ausrufung des Kalifats durch ISIS hat auch in Jordanien die Befürchtung geweckt, dass sich ISIS auf den Herrschaftsbereich König Abdullah II ausdehnen könnte, und deswegen um internationale Unterstützung gebeten. Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu hat bereits die Unterstützung seines Landes für Jordaniens Kampf gegen "islamischen Extremismus" zugesagt.

Ein sich etablierendes ISIS-Kalifat mit dem Kalifen Bagdadi steht natürlich den Ambitionen des Al -Kaida-Führers Sawahiri als Kalif eines Gottesstaates im Wege, deswegen sind Machtkämpfe der unterschiedlichen islamistischen Terrororganisationen vorprogrammiert. Islamische Gelehrte aus aller Welt lehnen das ISIS-Kalifat ab. Ein ägyptischer Prediger warnte die ISIS-Kämpfer: Gott sei nur mit den Aufrechten. Ein anderer nannte ISIS unislamisch, weil sie den Tod von Muslimen in Kauf nehmen.

Die USA rufen inzwischen die internationale Staatengemeinschaft zum gemeinsamen Kampf gegen die Dschihadisten auf und die irakische Regierung bat ebenfalls um internationale Unterstützung. "Die Welt hat jetzt die große Verantwortung, diese Terroristen zu bekämpfen, die den Irak und Syrien zu ihrem Schlachtfeld gemacht haben", ließ die Regierung wissen und fügt hinzu: "Wir kämpfen gegen sie nicht nur zum Wohle des Iraks, sondern zum Wohle der ganzen Welt."

Derzeit liefern sich irakische Regierungstruppen und die sunnitische Terror-Miliz ISIS heftige Gefechte um Tikrit. Wesentliche zielführende Anstrengung zur politischen Einigung der Religions- und Volksgruppen zum Wohle des Irak sind aber aktuell nicht zu beobachten, denn Ministerpräsident Maliki ist gewählt und kann auf seine schiitischen Verbündeten zählen. Der Generalsekretär der islamistischen Hisbolla Nasrallah kündigte vergangene Woche bereits an, im Irak „fünf Mal so viele Märtyrer wie in Syrien zu opfern“, weil die heiligen Stätten zwischen Euphrat und Tigris für die Schiiten viel wichtiger seien als die syrischen. Der Nahe Osten wird also zunehmend durch einen Religionskrieg zwischen den Sunniten und Schiiten destabilisiert.

Wenn die internationale Staatengemeinschaft zum gemeinsamen Kampf gegen die Dschihadisten aufgerufen wird, wenn islamische Gelehrte aus aller Welt das ISIS-Kalifat ablehnen und sich gegen islamistischen Terror stellen, dann fragt man sich, welche Rolle eigentlich die Regionalmacht Türkei spielt oder spielen will. Während der illusionsgeladenen Zeit des "Arabischen Frühling" und der "Arabellion" hat sich der etwas großmäulige Erdogan gern zum regionalen Führer der Bewegung im post-osmanischen Raum hochstilisiert. Als der Bürgerkrieg in Syrien eskalierte, hat die militärisch weit überlegene Türkei die NATO um Unterstützung gegen syrische Bedrohung gebeten. Die Türkei nimmt nun dankenswerterweise viele syrische Flüchtlinge auf, verhält sich aber sonst ungewöhnlich wortlos. Warum verurteilt die politische Türkei und ihre muslimischen geistlichen Führer das Vorgehen der sunnitisch-islamistischen Terroristen von ISIS und die Ausrufung des Kalifat nicht scharf und eindeutig? Ist das Schweigen etwa auch dadurch begründet, dass der größte Teil der türkischen Muslime Sunniten sind und Schiiten - genau wie Christen - eine mehr oder weniger geduldete Minderheit bilden? Die Türkei wird sich auf Dauer aus der Bewältigung dieses regionalen Konfessionskrieges nicht heraushalten können. Denn die zutiefst muslimischen Probleme und Konflikte können nur durch die "muslimische Welt" gelöst werden.

Und es ist erstaunlich und beschämend, dass sich die sonst sehr wortgewaltigen islamischen Institutionen und Verbände in Deutschland dezent bis feige mit Stellungnahmen und Aufrufen zurückhalten. Warum gibt es keinen Aufruf an die muslimische Jugend, sich jeder islamistischen Radikalisierung zu verweigern? Warum gibt es keine Kampagne moderater muslimischer Organisationen gegen den sich ausbreitenden Salafismus in Deutschland? Wie ist es möglich, dass immer mehr Dschihadisten sich zur Teilnahme an islamistischem Terror verdingen und dann in ihre islamische Umgebung in Deutschland zurückkehren und zunehmend zur Gefahr für die Gesellschaft werden? Wo sind die religiösen islamischen Führer in Deutschland, die ISIS-Terror und das ISIS-Kalifat öffentlich ablehnen und feststellen: "Gott ist nur mit den Aufrechten!" und "ISIS ist unislamisch, weil sie den Tod von Muslimen in Kauf nehmen!"

(01.07.2014)

 

 

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