Hans-Heinrich Dieter

Israelische Ängste   (24.01.2013)

 

Israel ist ein sehr schönes und höchst interessantes Land, es wurde in den letzten Jahren nur schlecht regiert.

Die Regierung Netanjahu/Lieberman hat in jüngster Zeit mit ihrer Siedlungspolitik gleich mehrere negative Botschaften an die internationale Staatengemeinschaft und die Palästinenser geschickt. Israel - regiert von Netanjahu - machte deutlich, dass es Mehrheitsentscheidungen der Vereinten Nationen nicht wirklich respektiert. Israel zeigte der Weltöffentlichkeit, dass es an der Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen nicht interessiert ist. Israel dokumentierte, dass es bereit ist, die Rechte der Palästinenser weiterhin auch mit Füßen zu treten, wenn es vermeintlich den eigenen Interessen dient. Mit dieser Politik zeigte die nun mehr oder weniger abgewählte politische Führung Israels den USA, dass sie der nibelungentreuen Unterstützung durch Amerika und die Anstrengungen der starken jüdischen Lobby nicht wert ist. Israel signalisierte den gemäßigten Palästinensern, dass es kein friedensorientierter Verhandlungspartner ist. Netanjahu/Lieberman bestärkten leider mit dieser Verhaltensweise die fatale Auffassung der Hamas, dass Terror die einzige wirkungsvolle Antwort auf israelische Politik zu sein scheint, und tragen so durchaus einen Teil Schuld an der Popularität der Terroristen auch bei der palästinensischen Jugend.

Im Wahlkampf hat Netanjahu versucht, tief sitzende israelische Ängste zu schüren und zu nutzen. Die israelische Bevölkerung hat Angst vor dem Terror der Hamas, der Hisbollah und vor den Palästinensern allgemein, vor einer atomaren Bedrohung durch den Iran, vor den Arabern und dem arabischen Frühling, aber auch vor einer nachlassenden Unterstützung durch die USA, vor einer zunehmend kritischen Haltung der Staaten der EU, einschließlich Deutschlands, und damit hat Israel Angst vor einer zunehmenden Isolierung in der Welt. „German Angst“ ist inzwischen ein politischer Fachbegriff, „Israelian Angst“ ist da nicht minder politikprägend.

Die Israelis leben im Zuge ihrer Grenzen in stark eingezäunten und gesicherten Grenzsiedlungen - quasi kaserniert - und häufig in der Nähe von nicht geräumten Minenfeldern. Israel hat sich an der Grenze stark eingezäunt und Netanjahu hat versprochen, diese Zäune noch höher und sicherer zu machen. Israel hat eine gigantische Mauer zwischen sich und Palästinensergebiete gezogen, da gibt es nahezu nichts zu „verbessern“. Israel lebt teilweise in einer Sicherheitsparanoia, denn nach Darstellung von israelischen Bürgern wird seit Jahren auf jedes neue Sicherheitsvorkommnis mit der Verschärfung ohnehin rigider Sicherheitsmaßnahmen reagiert, es werden aber keine alten Sicherheitsmaßnahmen zurückgenommen und so häufen sich die Sicherheitsmaßnahmen übereinander. Ängste und Sicherheitsparanoia hat Netanjahu massiv versucht in Wählerstimmen umzumünzen – und ist ziemlich gescheitert. Allerdings hat Likud/Beitenu 31 Sitze gewonnen und das rechte Lager hat insgesamt eine Mehrheit von einer Stimme. Dieses rechte Lager ist nach Aussage von Avid Primor rechtsextrem, ultrareligiös und extremistischer als vorher, weil Likud extremistischer geworden ist. Eine Regierung des rechten Lagers mit einer Stimme Mehrheit wäre allerdings instabil und würde höchstwahrscheinlich eine weitere Isolierung Israels, wenn nicht gar einen weitgehenden Boykott der internationalen Staatengemeinschaft nach sich ziehen, weil sie dann den Rechtsextremisten Naftali Bennett einbinden müsste, der für die Siedler, aber gegen jegliche Verhandlungen mit den Palästinensern, gegen jegliche Zugeständnisse den Palästinensern gegenüber, gegen einen Palästinenserstaat überhaupt ist.

Netanjahu wird also gezwungen sein, mit den gestärkten Zentrums- und Linksparteien, sowie mit dem liberalen Überraschungssieger Yair Lapid Kompromisse im Hinblick auf eine moderatere Koalition der Mitte zu suchen.

Das nur teilweise erfreuliche Wahlergebnis hat sicher mehrere Ursachen. Die zwar rücksichtsvolle und nachsichtige, aber auch kritische Politik Präsident Obamas gibt den Israelis zu denken. Sie wollen keinen Krieg gegen den Iran mit unabsehbaren Folgen vom Zaun brechen. Die zunehmend kritische, teilweise ablehnende Haltung von Staaten der Europäischen Union gegenüber Israels - eine Zweistaaten-Lösung verhindernden - Siedlungspolitik macht die zunehmende Isolierung Israels deutlich. Die Türkei als ehemaliger starker Partner in der Region stellt sich inzwischen offen gegen Israel. Israel hat immense wirtschaftliche und soziale Probleme, die 2012 in massenhaften Protesten öffentlich wurden. Die erforderlichen Entlastungen bei den Lebenshaltungskosten werden teuer werden und Israel kann es sich immer weniger leisten, dass die vielfältigen Sicherheitsmaßnahmen Gelder für wichtige Zukunftsinvestitionen auffressen. Die Israelis sind auch zunehmend unzufrieden mit den Ultra-Orthodoxen, die nicht in der Armee dienen, sondern den Wohlfahrtsstaat in Anspruch nehmen. Ganz offenbar sind die außen- und wirtschaftspolitischen wie auch die innen- und sozialpolitisch begründeten Ängste der israelischen Bevölkerung genauso groß wie die sicherheitspolitischen Befürchtungen. So erklärt sich das Patt, das den gespaltenen Zustand Israels aufzeigt, auf der einen Seite ein extremistisches und religiöses auf der anderen Seite ein links-liberales Lager, beeinflusst durch eine Vielzahl von Interessengruppen. Da wird es schwer, einen tragfähigen Kompromiss in der Mitte zu finden.

Aber das Wahlergebnis bietet trotzdem große Chancen. Die israelischen Bürger wollen eine andere Politik, Netanjahu wird seine Friedensblockadepolitik nicht einfach fortsetzen können. Wenn es zu einer moderateren Regierung der Mitte kommen wird, können die USA auch mit weit größerer Aussicht auf Erfolg Druck in Richtung Friedensverhandlungen auf der Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung ausüben. Und die Europäische Union sollte möglichst mit einer gemeinsamen Stimme neuerliche Friedensbemühungen fordern und fördern.

Die israelische Bevölkerung lebt in einer politisch sehr schwierigen Situation und Existenzängste sind verständlich. Die israelische Öffentlichkeit sollte aber zunehmend erkennen, dass nur eine friedensorientierte Politik die tiefsitzenden Ängste allmählich überwinden und Freiräume für die Überwindung der innenpolitischen und sozialen Probleme schaffen kann. Zukunftsorientierte Politiker wie Yair Lapid und Tzipi Livni werden sich hoffentlich noch mehr Gehör verschaffen. Lapid hat Friedensverhandlungen mit den Palästinensern zur Bedingung für eine Regierungsbeteiligung gemacht - ein schwieriger aber wichtiger Anfang.

(24.01.2013)

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte