Hans-Heinrich Dieter

Israels Selbstverteidigung   (18.07.2014)

 

Nach dem Scheitern der BemĂŒhungen um eine dauerhafte Waffenruhe hat Israel seine Luftangriffe auf Stellungen der radikal-islamischen Hamas ausgeweitet und mit einer Bodenoffensive im Gaza-Streifen begonnen. Damit hat Netanjahu dem Ultra-Scharfmacher im Kabinett, Außenminister Lieberman, nachgegeben, der schon lange eine Bodenoffensive im Gaza-Streifen fordert: "Wir wollen die Infrastruktur des Terrors zerstören. Daher kann man diese MilitĂ€raktion nicht nur aus der Luft betreiben." Richtig ist, dass Israel ein Recht auf Selbstverteidigung hat und zum Schutz seiner BĂŒrger dem Raketenbeschuss ein Ende bereiten muss. Bei militĂ€rischer Gewaltanwendung muss Israel aber auch die VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeit wahren sowie Gesetze, internationale Regeln und Menschenrechte berĂŒcksichtigen. Und in diesem Zusammenhang ist Kritik angebracht und berechtigt.

Nach der abscheulichen Ermordung der drei israelischen Jugendlichen im Raum Hebron hat Netanjahu die Hamas als TĂ€ter beschuldigt und in Hebron und Umgebung ĂŒber mehrere Tage nĂ€chtliche Razzien durchfĂŒhren lassen, die palĂ€stinensische Bevölkerung dadurch kollektiv bestraft und HĂ€user ohne nachgewiesene Schuld der Besitzer an den Verbrechen einreißen lassen. Die ausufernden Operationen der SicherheitskrĂ€fte und die Trauerfeierlichkeiten fĂŒr die drei Mordopfer wurden politisch begleitet durch öffentliche Aufrufe zur Vergeltung und zur Rache. Die Mörder sind bis heute nicht gefunden und die Terrororganisation Hamas hat sich - gegen terroristischen Usus - bis heute nicht zu der Tat bekannt. Man muss sich einmal vorstellen, wie viele kleine palĂ€stinensische Kinder durch die ausufernden nĂ€chtlichen Razzien israelischer SicherheitskrĂ€fte traumatisiert wurden.

Die israelische Luftwaffe hat seit dem Beginn der "Operation Schutzrand" (Protective Edge) nach eigenen Angaben inzwischen weit mehr als 15.000 Hamas-Ziele angegriffen und dabei mehr als 1.500 Ziele, dabei auch viele WohnhĂ€user, zerstört. Mit dem gezielten Angriff auf WohnhĂ€user und zivile Einrichtungen verstĂ¶ĂŸt Israel gegen internationale Regeln. Außerdem will Israel mit Luftangriffen schon rund 3.000 Raketenstellungen der Hamas ausgeschaltet haben. Bei den Operationen wurden bisher 234 PalĂ€stinenser getötet, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Die Hamas hat weit mehr als 1.000 Raketen auf Israel abgefeuert. Nur knapp 200 davon wurden vom israelischen Abwehrsystem abgefangen, die meisten ĂŒbrigen schlugen in unbewohntem Gebiet ein. Ein israelischer Zivilist wurde durch Raketenbeschuss getötet. Die Zahlen sprechen fĂŒr sich.

Bei der jetzt gestarteten Bodenoffensive zur Zerstörung von Tunnelsystemen und Raketenstellungen der Hamas kamen seit gestern Abend etwa 20 PalĂ€stinenser und ein israelischer Soldat ums Leben. Bei dem israelischen Soldaten wird Tod durch friendly fire vermutet. Wenn im Rahmen der Bodenoffensive mehr als 100.000 zivile PalĂ€stinenser aufgefordert werden, ihren Wohnraum zu verlassen, dann kann man den massiven Eingriff in die Zivilgesellschaft in Form von Sippenhaft und Kollektivbestrafung einschĂ€tzen. Im Gaza-Streifen leben auch unschuldige und moderate PalĂ€stinenser, die von der Hamas gleichermaßen terrorisiert und teilweise als Schutzschilde missbraucht werden. Und Netanjahu hat nun die mögliche Ausweitung der Bodenoffensive angekĂŒndigt. Die Zahl der Opfer wird auf palĂ€stinensischer Seite rasch steigen, unter den Opfern werden wiederum zahlreiche Zivilisten zu beklagen sein. Derweil fordert der Nachbar Jordanien eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates. Das Ergebnis wird keinen beeindrucken.

Die Konflikte in der Krisenregion Naher Osten werden von der Weltöffentlichkeit mit großer Sorge aber auch mit Hilflosigkeit und Resignation verfolgt. Der Konflikt zwischen Israel und den PalĂ€stinensern genießt natĂŒrlich aufgrund der Vorgeschichte zahlreicher erfolgloser Gewaltanwendungen und gescheiterter FriedensbemĂŒhungen besondere Aufmerksamkeit. Aufgrund der geradezu friedensfeindlichen und völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik dieser Regierung und von dokumentierten und nachgewiesenen Menschenrechtverletzungen durch Israels MilitĂ€r bei frĂŒheren EinsĂ€tzen im Gaza-Streifen sind insbesondere europĂ€ische Staaten zunehmend skeptisch, ob Israel grundsĂ€tzlich legitimierte Gewalt nach rechtstaatlichen Prinzipien angemessen und die MenschenwĂŒrde beachtend anwendet. Da kann es sich Israel unter keinen UmstĂ€nden leisten, dass Tag fĂŒr Tag palĂ€stinensische Zivilisten, darunter auch Kinder, getötet werden.

Deswegen ist jede Ausweitung des Konfliktes und jede kriegerische Eskalation gegen die Interessen sowohl Israels als auch der PalĂ€stinenser. Israel und die Hamas mĂŒssen daher zwingend einen dauerhaften Waffenstillstand als Grundlage fĂŒr die Überwindung des Konfliktes aushandeln. Sollte das nicht gelingen, wird Israel sich in der Weltöffentlichkeit zu seinem Nachteil weiter isolieren. In mehreren europĂ€ischen LĂ€ndern, und auch in Deutschland, gibt es bereits zahlreiche starke Protestbewegungen, die teilweise mit antisemitischen Tendenzen ausufern. Da ist es zu billig, wenn der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Graumann, sich "absolut schockiert" zeigt, wenn er sehe, "wie viel an Hass und Hetze auf deutschen Straßen gegen Israel und gegen Juden transportiert" werde und damit auf den latenten deutschen Antisemitismus verweist. Der Protest von muslimischen und nichtmuslimischen deutschen StaatsbĂŒrgern richtet sich vornehmlich nicht gegen Juden sondern gegen die Politik und die Gewaltanwendung Israels. Und an dem teilweise starken Unmut der BĂŒrger ist Israel beileibe nicht unschuldig. Und wenn Bundeskanzlerin Merkel - wie heute auf der Pressekonferenz - das Recht Israels auf Selbstverteidigung bekrĂ€ftigt, dann sollte sie in gleichem Atemzug auch das Recht der PalĂ€stinenser auf ein eigenstĂ€ndiges Leben in WĂŒrde unterstreichen.

(18.07.2014)

 

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