Hans-Heinrich Dieter

Jüdischer Apartheids-Staat?   (13.05.2014)

 

US-Außenminister Kerry hat, sicher enttäuscht vom Scheitern seiner Bemühungen um einen Frieden im Nahen Osten, nicht unbegründet vor einem Apartheidsregime in Israel gewarnt. Nach deutlicher Kritik durch die amerikanische Opposition und die jüdische Lobby hat er seine Aussage leicht revidiert. Nach allem was er an Schmähungen und Demütigungen durch Netanjahu und Mitglieder des israelischen Kabinetts erleben musste, zeigt das einen gewissen Großmut.

Kerry hätte bei seinen stimmigen Aussagen bleiben sollen, denn was ist verwerflich an der Feststellung, dass sich Israel zu einem "Apartheidsstaat" mit Bürgern zweiter Klasse entwickeln könnte, wenn die Nahostverhandlungen platzen, keine Zwei-Staaten-Lösung erreicht wird und Israel auf der Forderung der Anerkennung als "jüdischer Staat" beharrt?

Vor dem Hintergrund der zuletzt von Israel ausgesetzten Gespräche im Streit über den Siedlungsbau im Westjordanland und die jüngste Annäherung der Fatah-Regierung des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas und der radikalislamischen Hamas gab der US-Außenminister den politischen Führern auf beiden Seiten die Schuld für die ausbleibenden Fortschritte in den Gesprächen. Aber es ist eine Tatsache, dass der doppelzüngige Netanjahu die Friedensverhandlungen nie richtig unterstützt hat, sondern vielmehr durch seine fortgesetzte Siedlungspolitik die für einen dauerhaften Frieden erforderliche Zweistaatenlösung hintertrieben und mit seiner Forderung nach Festlegung Israels als "jüdischer Staat" neue Hürden aufgebaut hat. Die wesentliche "Sabotage" der Friedensverhandlungen geht von der Siedlungspolitik aus!

Die Palästinenser haben Israel in den Oslo-Verträgen von 1993 als Staat anerkannt. Dieser Staat Israel ist in der israelischen Unabhängigkeitserklärung als jüdischer und demokratischer Staat definiert, in dem alle Bürger unabhängig von Religion, Rasse und Herkunft vor dem Gesetz gleich sind. Die Anerkennung dieses Staates durch die Palästinenser war damals verbunden mit dem israelischen Versprechen, innerhalb von fünf Jahren einen palästinensischen Staat zu gründen. Die Anerkennung Israels als rein „jüdischer Staat“ lehnen die Palästinenser allerdings bisher ab, denn das ist dann ein Staat, in dem auch keine israelischen Palästinenser mehr leben oder höchstens als „Israelis zweiter Klasse“ leben können und in dem auch keine palästinensischen Flüchtlinge willkommen sind. Der Vergleich mit der Apartheid Südafrikas ist daher möglicherweise nicht zu weit hergeholt.

Denn Israel hat es bisher vermieden zu definieren und hinreichend zu erläutern, wie „jüdisch“ im Zusammenhang mit dem Nationalstaat Israel zu verstehen ist. Geht es hauptsächlich um die jüdische Religion oder um die jüdische Ethnie? In einem Israel, das sich homogen jüdisch-religiös versteht, haben Muslime keinen Platz. Ein Israel, das sich als Staat der Ethnie der Juden verfasst, grenzt die 20% israelischen Araber aus, die heute in Israel leben und verhindert die Rückkehr oder Entschädigung der Palästinenser – bzw. deren Nachkommen - , die bei der Staatsgründung Israels vertrieben wurden. Die Opposition in Israel wirft Netanjahu denn auch vor, mit seiner Siedlungspolitik einen binationalen Staat heraufzubeschwören. Dies sei die größte Gefahr für den jüdischen Charakter Israels, die auch durch ein Gesetz nicht gebannt werden könne. Und die israelische Verhandlungsführerin Livni stellte dazu fest, sie werde "keine Schwächung der demokratischen Werte und deren Unterordnung unter jüdische Werte zulassen".Kerry findet sich also gedanklich durchaus in der Nachbarschaft demokratisch eingestellter Israelis.

Und die Saat der Politik Netanjahus/Liebermans/Bennets/Ariels und anderer rechtsradikaler Regierungsmitglieder geht inzwischen auf. Es gibt derzeit erhebliche Spannungen zwischen israelischen Jugendlichen und der arabischen Minderheit. Es kam wiederholt zu nächtlichen Gewaltanwendungen, zerstochenen Autoreifen, beschmierten Hauswänden und Moscheen mit Slogans wie "Macht Moscheen dicht, nicht Torah-Schulen", geschmückt durch den Davidstern und Hinweise auf "Preisschild", was so viel heißt, dass für Entscheidungen gegen die Siedler ein Preis zu zahlen ist. Deswegen liegt es auch nahe, dass hinter den Attacken jüdische Jugendliche, möglicherweise aus den Siedlungen im besetzten Westjordanland, zu vermuten sind. 400 Attacken mit Verletzten oder Sachschäden gab es im vergangenen Jahr. Die israelische Polizei weiß wenig über die Angreifer und sie hat selten Ermittlungserfolge, denn sie ist wohl eher darauf ausgerichtet, die Araber als Feind zu verfolgen und nicht die Juden als Gesetzesbrecher. Deswegen kommt es zu verständlichen Klagen, dass die Regierung nichts gegen die nationalistisch motivierte Gewalt unternehme. Und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu weigert sich - im Gegegnsatz zum US-Außenministerium - diese Gruppen als Terroristen einzustufen.

Inzwischen verschärfen und häufen sich die Vorfälle. Es kam zu Ãœbergriffen auf ausländische Pilger, auf das Benediktinerkloster in Tabgha am See Genezareth und der Generalvikar des Lateinischen Patriarchats erhielt einen Drohbrief, der die arabischen Christen aufforderte, bis zum 5. Mai Israel zu verlassen. Andernfalls würden hundert Christen getötet. Die katholischen Bischöfe in Israel befürchten auch Anschläge im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Besuch von Papst Franziskus im Heiligen Land. Die Lage ist offenbar so zugespitzt, dass ehemalige Geheimdienstchefs der Regierung Netanjahu vorwerfen, sie verfolge die Täter nicht entschieden genug. Israel sei ein „Rechtsstaat, der die Gesetze nicht durchsetzt“. Demokratisch eingestellte Israelis schämen sich sicher für die Taten radikaler Siedler, für das Verhalten der rechtsextremen Israelis und auch für Ãœbergriffe ultra-orthodoxer Juden. Weltoffene Israelis erkennen die Gefahr zunehmender Isolierung dieses Israels in der Weltöffentlichkeit und den zunehmenden Unmut der amerikanischen "Schutzmacht" über die Politik Netanjahus und ihre Folgen.

Mündige israelische Bürger, die Frieden wollen und objektiv urteilen können, müssen aktiv für Frieden sowie den Erhalt des an demokratischen Werten orientierten Staates Israel kämpfen und das bedeutet auch, die Abwahl der Regierung Netanjahu herbeizuführen.

(13.05.2014)

 

 

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