Hans-Heinrich Dieter

Karsai in Berlin (17.05.2012)

 

Der afghanische Präsident Karsai ist am 16.05.2012 in Berlin, unterzeichnet ein weitreichendes und kostspieliges Partnerschaftsabkommen mit Deutschland und nur wenige Medien thematisieren den Vorgang oder nehmen Notiz davon.

Das hat sicher viele Gründe. Die Nachwehen der Wahl in NRW, der Rauswurf Röttgens, die Personalpossen der Linken, die griechische Tragödie und die Frage, ob aus Merkozy nun Merkollande wird, beschäftigen die Medien bis zum Abwinken. Andererseits genießt Karsai, der höchstens pseudodemokratische Wahlen gewonnen hat, sich vorwiegend in der Region Kabul auswirkt und auch deswegen von großen Teilen der afghanischen Bevölkerung nicht anerkannt wird, der die Korruption im eigenen inkompetenten Verwaltungsapparat duldet und keine erkennbaren Anstrengungen unternimmt, den Drogenanbau und -handel zu reduzieren und der von den Taliban als Gesprächspartner nicht anerkannt wird, nur sehr geringen Respekt.

Aber es geht weniger um Karsai als um die Zukunft des afghanischen Volkes, es geht um erhebliche personelle und finanzielle Kraftanstrengungen Deutschlands bei sehr ungewisser Zukunftsperspektive Afghanistans nach 2014. Das ist schon eine intensive Befassung der in sicherheitspolitischen Fragestellungen indifferenten deutschen Öffentlichkeit wert.

Nach dem zunächst auf fünf Jahre angelegten Partnerschaftsabkommen - kurz nach dem Abkommen der USA und kurz vor dem NATO-Gipfel in Chicago - wird sich Deutschland nach dem bis 2014 abgeschlossenen Rückzug seiner Kampftruppen langfristig am Hindukusch engagieren. Deutschland macht eine Zusage für eine langfristige Unterstützung beim Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte und im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Hilfe sichert Deutschland Kabul Unterstützung in den Bereichen Bildung, Infrastruktur, dem Abbau von wertvollen Rohstoffen und dem Aufbau einer funktionierenden Justiz zu, ohne konkret zu werden. Deutschland knüpft die langfristigen Unterstützungszusagen allerdings an Bedingungen: Im Vorwort des Abkommens heißt es, Deutschland und Afghanistan seien sich einig in der "Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit", in den "Prinzipien einer guten Regierungsführung", hinsichtlich der "Reform der öffentlichen Verwaltung" und im Hinblick auf die Notwendigkeit der "Durchsetzung des Rechtsstaates". In diesen Zusammenhängen hat die internationale Staatengemeinschaft in den vergangenen zehn Jahren sehr schlechte Erfahrungen mit Zusagen Afghanistans gemacht, denn die wurden nur marginal eingelöst. Deswegen soll eine bilaterale Regierungsarbeitsgruppe die Projekte überwachen und sicher auch verhindern, dass angesichts der weit verzweigten und tief verwurzelten Korruption in Afghanistan die Hilfsgelder in die falschen Taschen fließen.

Und die zu leistende finanzielle Unterstützung ist erheblich. Von den jährlich über vier Milliarden Dollar für den Aufbau und Unterhalt der afghanischen Sicherheitskräfte will Deutschland einen Anteil von 190 Millionen Dollar übernehmen. Für die zukünftige wirtschaftliche Unterstützung und Entwicklungshilfe liegen noch keine Zahlen vor.

Wichtiger als die Frage nach dem finanziellen Aufwand ist die Planung für den Einsatz von deutschen Staatsbürgern als Fachleute für staatlichen und wirtschaftlichen Aufbau und gesellschaftliche Entwicklung sowie der Einsatz von deutschen Staatsbürgern in Uniform. Auch hier gibt es noch keine konkreten Ziele und Zahlen. Deutschland will aber das afghanische Militär durch "militärische Ausbildungshilfe und bilaterale Jahresprogramme" unterstützen. Die Ausgestaltung der Projekte werde "jährlich auf der Grundlage verfügbarer Kapazitäten" verhandelt. Die Anwesenheit von deutschen Soldaten auf afghanischem Boden soll hingegen "in gesonderten Vereinbarungen geregelt" werden.

Und beim Einsatz deutschen Personals in Afghanistan nach 2014 liegen die wirklichen Probleme. Bedeutet der Rückzug der Truppen der internationalen Staatengemeinschaft 2014 tatsächlich das "Kriegsende", wie westliche Politiker glauben machen wollen? Wie sicher wird das Umfeld sein, in dem Unterstützung gewährleistet werden soll? Welche Rolle spielen die Taliban nach 2014? Wer gewährleistet die Sicherheit deutschen Personals? Wie viele deutsche Soldaten werden für die absehbare Aufgabe erforderlich sein? (Die USA planen immerhin mit 15.000 US-Soldaten in Afghanistan nach 2014.) Werden Soldaten nach 2014 als unbewaffnete militärische Helfer stationiert oder werden sie zur Selbstverteidigung bewaffnet sein? Wird das Mentoring-Programm in geringerem Umfang weitergeführt? Natürlich kann ein Partnerschaftsabkommen nicht die Details einer sehr unsicheren Zukunft regeln. Aber ein solches Abkommen sollte Aussicht auf Realisierung haben und da gibt es sicher die eine oder andere Illusion.

Ein solches Abkommen wird nur zu realisieren sein, wenn die Taliban besiegt oder befriedet sind. Danach sieht es im Augenblick nicht aus. Denn bisher zeigen die Bemühungen um eine Aussöhnung mit den islamistischen Aufständischen sehr wenig Erfolg. Anschläge und Attentate erschüttern immer wieder das geschundene Land am Hindukusch. Ende September 2011 haben die Taliban den Chef des Friedensrates Rabbani ermordet. Kürzlich wurde der ranghohe Friedensvermittler Rahmani getötet. In diesem Jahr haben die Taliban schon eine Serie spektakulärer Anschläge verübt. Und kaum war Präsident Obama nach Unterzeichnung des strategischen Abkommens zwischen den USA und Afghanistan aus Kabul abgereist, verübten die Taliban den nächsten Anschlag und zeigten, was sie von der Zusammenarbeit der Regierung Karsai mit den "Besatzern" halten. Und das Frühjahr 2012 hat erst begonnen. Die Lage in Afghanistan wird absehbar mit der Realisierung der Rückzugspläne der NATO-Staaten leider instabiler werden. Wenn die US-Armee massiv mit ihrem Abzug beginnt, könnten die kleinen und mittleren Erfolge im Kampf gegen die Taliban und die Korruption schnell verloren gehen.

Und solche Abkommen sollten möglichst von der Öffentlichkeit getragen werden. Einer Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zur Folge sind fast zwei Drittel der Bundesbürger dafür, dass die Bundeswehr den Hindukusch früher verlässt. 58 Prozent der Deutschen glauben, dass das Land nach 2014 wieder in Chaos und Bürgerkrieg versinken wird. Den Einsatz der Bundeswehr nach 2014 hält eine große Mehrheit auch dann für höchst gefährlich, wenn er sich auf Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte beschränkt. Wenn das Abkommen nach 2014 erfolgreich umgesetzt werden soll, wird es also höchste Zeit, dass solche deutschen Vorhaben auch in die Bevölkerung kommuniziert und dann öffentlich diskutiert werden. Im Wahljahr 2013 wird sehr wenig Zeit dafür sein. Nach den Treffen der G-8 Staaten in Camp David und dem Gipfel in Chicago werden wir nicht viel mehr wissen. Denn dort wird die Unterstützung Afghanistans nach dem "Kriegsende" 2014 diskutiert werden. Das heißt aber, die Rechnung ohne die Taliban zu machen.

(17.05.2012)

 

 

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