Hans-Heinrich Dieter

Keine deutschen Alleingänge!   (26.01.2021)

 

Deutschland spielt in der globalen Welt eine deutlich nachgeordnete Rolle, weil wir kein außen- und sicherheitspolitisches Konzept haben, das wir in die EU oder die NATO einbringen könnten, um so wirklich solidarisch zur Stabilisierung beizutragen. Deutschland hat außerdem nicht die militärischen Möglichkeiten, um seinen Bündnisverpflichtungen angemessen nachkommen zu können. Wir sind so etwas wie ein großmäuliger außen- und sicherheitspolitischer Zwerg – nur wirtschaftlich sind wir derzeit noch stark. Und vor diesem wenig überzeugenden politischen Hintergrund reden unsere Politiker immer wieder vollmundig von einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik! Weil wir aber eigenständig wenig anzubieten haben, sollte sich Deutschland konsequent und solidarisch in die EU und auch in die NATO einbringen und Alleingänge dringend vermeiden. Das gelingt bisher nicht gut!

Kanzlerin Merkel hat die Laufzeiten für Atomkraftwerke gut begründet verlängert. Zwei Jahre später hat sie Fukushima aus rein wahltaktischen Gründen benutzt, um die Energiewende planlos, konzeptionslos und mit der EU nicht abgestimmt unter Ausnutzung von Bürgerängsten zu entscheiden. In der Flüchtlingskrise im September 2015 hat sie sich entsprechend konzeptionslos, planlos, kopflos und hilflos gezeigt und mit der EU unzureichend abgestimmt, sowie gegen die Dublin-Verordnung mit ihrer Willkommenskultur zum Nachteil Deutschlands gehandelt, zur Spaltung der EU beigetragen und insbesondere bei den ost- und südosteuropäischen Mitgliedstaaten erheblich an Respekt, Reputation und Achtung verloren.

Mit dem russisch-deutschen Deal „Nord Stream 2“ stellt sich Deutschland erneut gegen die Politik der EU-Kommission und gegen die Interessen der Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten. Die Politiker und Medien der ost- und südosteuropäischen Mitgliedstaaten bewerten die faktisch aggressive Politik Putins sowie die realen Völkerrechtsverletzungen Russlands realistisch und fordern entsprechende Reaktionen der NATO sowie der EU – sowie einen Stopp für Nord Stream 2.

Und Merkel hat über Jahre aufgrund der antidemokratischen Entwicklung der Türkei für eine höchstens privilegierte Partnerschaft plädiert, als es dann aber darum ging, ihre verfehlte Flüchtlingspolitik einzuhegen, vergaß sie unsere Werte und hofierte den chauvinistischen und islamistischen Machthaber Erdogan, der vor Nazi-Vergleichen und wüsten Beschimpfungen Deutschlands und anderer EU-Mitgliedstaaten nicht zurückschreckt, geradezu unterwürfig und stellt sich damit gegen die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten.

Und letztlich sind Deutschlands Streitkräfte für die Bündnisverteidigung nach NATO-Vertrag Artikel 5 derzeit nicht einsatzfähig und die Bundesrepublik hat sich lange geweigert, den gemeinsamen NATO-Vereinbarungen hinsichtlich der Verteidigungs-investitionen in jährlicher Höhe von 2 Prozent des BIP zu entsprechen und wird dieses Ziel aufgrund der mittelfristigen Finanzplanung für den Verteidigungshaushalt bis 2024 auch nicht erreichen. Als sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer ist man kein guter Partner für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.

Und nun ist nicht nur die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten gegen Nord Stream 2, sondern auch US-Präsident Biden belegt die Pipeline-Verlegefirma von Nord Stream 2 mit Sanktionen und das EU-Parlament hat mit 449 Abgeordneten gegen Nord Stream 2 gestimmt bei lediglich 136 Gegenstimmen. Das Votum dieser demokratisch gewählten Abgeordneten sollte man nicht nur ernst nehmen, sondern Deutschland sollte dieses Abstimmungsergebnis bei seiner Politik gegenüber Russland auch berücksichtigen. In diesem Sinne sollte Deutschland Nordstream 2 endlich aufkündigen oder zumindest ein Moratorium beschließen, das den Weiterbau der Pipeline erst zulässt, wenn der Mordversuch an Alexej Nawalny glaubwürdig aufgeklärt ist. Eine solche Maßnahme würde die EU stärken und auch die Ausweitung von Streitigkeiten mit den USA verhindern. „Gegner Putin“ würde endlich verstehen müssen, dass seine aggressive Politik von nun an deutlich schmerzhaftere Folgen hat und weiterhin haben wird. Die Entspannungspolitik ist an den Aggressionen Putins gescheitert und so endet auch die „Sicherheitspartnerschaft“ der NATO mit Russland. Autokratische und nationalistische Aggressoren wie Putin verstehen nur Klartext und schmerzhafte Konsequenzen! Deswegen ist es bedauerlich und gemeinsamer EU-Außen- und Sicherheitspolitik abträglich, dass Deutschland beim EU-Außenministertreffen gestern weiteren Sanktionen gegen Russland im Zusammenhang mit dem Fall Nawalny verweigert hat.

Die Türkei hat sich unter dem Autokraten Erdogan als nicht EU-tauglich erwiesen! Der jüngste EU-Fortschrittsbericht belegt diese Feststellung eindeutig und ist ein guter Anlass sowie eine taugliche Grundlage, endlich reinen Tisch zu machen und die Beitrittsgespräche zu beenden. Man muss der Türkei jetzt deutlich sagen, dass es keine türkische Mitgliedschaft in der Europäischen Union geben wird! Autokraten wie Erdogan verstehen nur Klartext sowie die Sprache der Macht und verachten „Schwächlinge“. Die vom deutschen Außenminister unterstützte jüngste Charme-Offensive Erdogans gegenüber der EU ist nicht glaubwürdig und beruht sicher nicht auf einem Sinneswandel des „Möchte-gern-Sultans“, sondern ist durch die desolate Wirtschafts- und Finanzlage der Türkei und durch die zunehmende Unzufriedenheit großer Teile der türkischen Bevölkerung begründet. Außerdem hat Erdogan in Trump einen „Freund“ verloren und die Beziehungen zu China sind nicht stabil. Darüber hinaus weiß Erdogan inzwischen, dass er im Zusammenwirken mit Putin immer den Kürzeren zieht. Nach Beendigung der Beitrittsverhandlungen sollte die EU aber - möglichst zusammen mit den USA – auf einen demokratischen Wandel in der Türkei hinwirken. Das gelingt aber nur, wenn die EU Erdogan geeint entgegentritt.

Die EU hat derzeit noch keine geeinte und eindeutige Außenwirkung und hat keine gemeinsame geopolitische Strategie. Unser Europa, das einst politikbestimmend in der Welt agierte, sitzt demographisch, technologisch, militärisch und machtpolitisch auf einem absteigenden Ast. Und während sich die USA in den vergangenen vier Jahren zunehmend isoliert sowie China und Russland ihren geopolitischen Einfluss stetig ausgebaut haben, war die EU hauptsächlich damit beschäftig, den ständigen Spaltungsbemühungen Putins zu widerstehen und innerlich nicht auseinanderzubrechen. Da wird Deutschland nicht zusammen mit Frankreich als Traktor mit stotterndem Motor und defektem Getriebe gebraucht, sondern als solidarisches und wirtschaftsstarkes EU-Mitglied, das den Zusammenhalt auf Augenhöhe mit allen Mitgliedstaaten fördert. Dazu müssen wir wieder ein geachteter, glaubwürdiger und zuverlässiger Partner bei der Gestaltung und Gewährleistung unserer gemeinsamen Interessen in der EU werden. Da verbieten sich jegliche Alleingänge!

Die Wertegemeinschaft EU ist für die Rolle Europas in der globalisierten Welt und für das Wohl der Bürger ihrer solidarischen Mitgliedsstaaten zu wichtig, um durch zunehmend nationalistisch und egozentrisch orientierte Mitglieder zerstört zu werden. Die EU muss durch einen Neustart strukturell handlungsfähig werden und Deutschland sollte sich in diesen Neustart solidarisch und aktiv einbringen. Ohne eine funktionierende und handlungsfähige Wertegemeinschaft EU werden die europäischen Staaten zunehmend bedeutungslos. Eine gute Zukunft haben wir nur, wenn die EU als starke Gemeinschaft unsere Interessen in der zunehmend polarisierten Welt vertritt!

(26.01.2021)

 

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