Hans-Heinrich Dieter

Keine Sonderstellung für die Kirchen   (09.01.2013)

 

Die Kirchen in Deutschland haben ihre Stellung als moralische Instanzen weitgehend eingebüßt. Wer, wie Verantwortliche in der katholischen Kirche, in unvorstellbarem Ausmaß Kinder über Jahre sexuell missbraucht, hat das Recht auf eine Sonderstellung in allgemeinrechtlichen Fragen verwirkt. Die Kirchenmitglieder quittieren erkennbar systemimmanentes Fehlverhalten mit Irritation, tiefsitzendem Vertrauensverlust und massenweisen Kirchenaustritten.

Da war es auch eine Frage der Vernunft, dass sich die Bischofskonferenz dazu durchgerungen hatte, die Aufklärung der Missbrauchsfälle durch Zusammenarbeit mit einem unabhängigen Forschungsinstitut zu unterstützen. Inzwischen haben mehrere Bischöfe offenbar kalte Füße bekommen und wollen nicht mehr, dass die Missbrauchsfälle lücken- und vorbehaltlos aufgeklärt werden, weil sie eine weitere Beschädigung der Kirche fürchteten.

Nun wird der katholischen Kirche Zensur, Behinderung unabhängiger Aufklärung und Interesse vornehmlich an Gefälligkeitsgutachten vorgeworfen. Die Justizministerin fordert die Kirche zur fundierten Aufarbeitung des Missbrauchsskandals auf und meint, "Es ist ein notwendiger und überfälliger Schritt, dass sich die katholische Kirche öffnet und erstmals kirchenfremden Fachleuten Zugang zu den Kirchenarchiven ermöglicht".

Die Frage stellt sich, ob das reicht. Wenn sich die katholische Kirche weiterhin als unfähig zur Selbstaufklärung erweist - und das „katastrophale Zeichen“, das die Kirche mit der Aufkündigung des Vertrages mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen setzt, deutet darauf hin – dann muss der Staat der Kirche helfen, indem er die Aufklärung im Sinne der Missbrauchsopfer selbst übernimmt. Dazu müssten das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Grundgesetz angepasst, das Kirchenrecht teilweise geändert und die Kirchen als öffentliche Institutionen der normalen Strafgerichtsbarkeit unterworfen werden, wenn es um die Aufklärung und Ahndung von Vergehen und Verbrechen geht. Denn das sind keine „inneren Angelegenheiten“ der Kirchen, die man im eigenen Interesse unter den Tisch kehren oder lediglich disziplinarisch regeln kann. Deswegen ist es unzureichend, wenn man hofft, dass die Kirche im Sinne einer überfälligen „Öffnung“ Zugang zu den Kirchenarchiven ermöglicht. Die Kirchen müssen vielmehr gezwungen werden, im Sinne der öffentlichen Ordnung, des öffentlichen Rechtes, der Gleichbehandlung und – nicht zuletzt – der Missbrauchsopfer staatlichen Ermittlern ungehinderten Zugang zu allen Unterlagen gewähren und die Ermittlungen nach Kräften unterstützen, wenn sie sich nicht der Behinderung der Justiz schuldig machen wollen.

Und wenn man schon solche weitreichenden aber erforderlichen Schritte geht, dann sollte man auch gleich das Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrecht der Kirchen nach Art 140 GG, das z.B. auch die ungleichen und teilweise ungerechten arbeitsrechtlichen Regelungen für Mitarbeiter der Kirchen festlegt, auf den Prüfstand stellen.

Die Stellung und die Bedeutung der Kirchen als „moralische Instanz“ unserer Gesellschaft haben sich gravierend verändert. Deswegen ist es hohe Zeit, dass die gesetzlichen Regelungen, die teilweise der Weimarer Reichsverfassung entnommen sind, angepasst werden. Das braucht Zeit und wird den sich nun abzeichnenden erneuten Eklat und weiteren Vertrauens- und Mitgliederverlust der Kirchen nicht verhindern, muss aber dennoch zum Wohle unserer Gesellschaft in Angriff genommen werden.

(09.01.2013)

 

 

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