Hans-Heinrich Dieter

Krankes Afghanistan   (28.02.2014)

 

Bei der NATO-Verteidigungsministertagung war die Zukunft Afghanistans ein dringendes Thema. Die Erwartungen sind allerdings gering, denn die verfahrene politische Situation, die handelnden Personen, und die sich verschlechternde Sicherheitslage sind sattsam bekannt.

Die internationale Staatengemeinschaft ist daran interessiert, dass Afghanistan nicht in Chaos und Gewalt zurückfällt und will sich nach 2014 mit der Folgemission Resolute Support durch Ausbildung und Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte sowie durch umfangreiche Hilfsmaßnahmen engagieren. Die USA haben dafür etwa 10.000 Soldaten ins Auge gefasst, wenn das ausgehandelte Truppenstatut unterschrieben ist. Deutschland ist bisher bereit, ab 2015 für zwei Jahre im Norden Afghanistans weiterhin Führungsverantwortung für Beratung und Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte im Rahmen Resolut Support zu übernehmen und will dafür 600 bis 800 Soldaten bereitstellen. Ab 2017 will sich Deutschland mit 200 bis 300 Soldaten in der Region Kabul in die NATO-Operation einbringen. Voraussetzung für einen solchen Einsatz sind eine formelle Einladung der afghanischen Regierung an Deutschland, ein gültiges Truppenstatut und natürlich eine entsprechende UN-Resolution. Bedingung für den Einsatz deutscher Soldaten ist außerdem eine „ausreichende Sicherheitslage“. Andere NATO-Staaten haben ähnliche Absichten. Bisher fehlt die Unterschrift Karsais unter dem ausgehandelten und von der Stammesversammlung gebilligten US-Truppenstatut.

Karsai weigert sich beharrlich, das Truppenstatut zu unterschreiben und verweist auf seinen Nachfolger im Präsidentenamt nach April 2014. Präsident Obama droht mit der „Nulloption“, also dem Totalabzug der US-Truppen aus Afghanistan, bis zum 31.12.2014 – und lässt sich aber verbal eine Hintertür offen, indem er auf eine mögliche Unterschrift nach der Präsidentenwahl hinweist. Das erste Ultimatum für die Unterzeichnung war Ende 2013, dann Ende Januar 2014, dann Ende Februar 2014…nun wäre man sogar mit September 2014 einverstanden und plant sehr kostspielig für „Nulloption“ und „Resolute Support“, nur um nicht für das endgültige Scheitern des Afghanistaneinsatzes verantwortlich gemacht zu werden. Karsai kennt seine Gesprächspartner und weiß inzwischen, dass er deren verbale Drohungen nicht ernst nehmen muss. Das gilt auch für die NATO, die mit Afghanistan ein weitgehend inhaltsgleiches Truppenstatut ausgehandelt hat, und sich nach heftigen Drohungen nun mit einer Entscheidung sogar erst im Oktober 2014 einverstanden zeigt.

Bundesaußenminister Steinmeier hat immerhin den afghanischen Präsidenten Karsai im Rahmen seines Truppenbesuchs dringend aufgefordert, rasch die Grundlagen zur Fortsetzung des internationalen Einsatzes zu schaffen. Verteidigungsministerin von der Leyen betont am Rande der NATO-Tagung, "Wir haben den festen politischen Willen, Afghanistan weiter zu unterstützen durch Beratung, Ausbildung und weitere Hilfe. Dazu ist es aber wichtig, dass die afghanische Regierung uns einlädt. Wir müssen willkommen sein dort." Ansonsten wartet Deutschland bisher bedingungslos, demütig und unterwürfig ab, um zu reagieren und mitzumachen, wenn die USA – wann auch immer – und dann die NATO einen Vertragsabschluss erreichen. Dabei müsste der politische Geduldsfaden längst gerissen sein. Unsere politische Passivität passt überhaupt nicht zur neuen – wohl eher verbalen - Rolle Deutschlands in der Außen- und Sicherheitspolitik und zu unserem angekündigten verstärkten internationalen Engagement. Warum verknüpft Deutschland seine Forderungen nach rascher Schaffung der Grundlagen zur Fortsetzung des internationalen Einsatzes nicht mit deutlicher Kritik an der Lage in Afghanistan auf der Grundlage des neuesten Fortschrittsberichtes?

Danach hat Kabul die Reformversprechen für bessere Regierungsführung, den Kampf gegen die grassierende Korruption oder für eine Verbesserung der Menschenrechtslage nicht erfüllt. Von einer „ausreichende Sicherheitslage“ kann nicht die Rede sein, die Entwicklung gestaltet sich vielmehr negativ. Die Bedingungen für die Gewährung der von der internationalen Staatengemeinschaft zugesagten 16 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern und weiteren 5 Milliarden pro Jahr für die Unterstützung der Sicherheitskräfte sind nicht erfüllt, weil die 17 Kernziele für effizientes Regierungshandeln nur zu einem Drittel annähernd erreicht sind. Warum erarbeitet die NATO keinen Kriterienfahrplan, der verbindliche Grundlage für die Zahlung von Hilfsgeldern ist? Warum macht die NATO keine Rechnung auf, was die Verzögerung der Entscheidung für Resolute Support pro Monat kostet und avisiert die Reduzierung von Hilfszahlungen an Afghanistan um just diese Beträge? Ohne Druck und ohne gekonntes „Feilschen“ ist auf dem „afghanischen Basar“ kein Erfolg zu erzielen. Und wer folgenlos droht, verliert Ansehen und Ehre und ist auch nicht wirklich willkommen. In den Augen der meisten Afghanen sind die westlichen Truppen daher wenig geachtete Besatzer, die man aushalten muss, damit die Gelder fließen, wenn auch häufig nicht in die richtigen Taschen.

Afghanistan ist leider trotz des intensiven und milliardenschweren Engagements der westlichen Welt seit 2001 immer noch ein kranker Mann am Hindukusch. Besserung wird sich erst über viele Jahre erreichen lassen, wenn überhaupt. Dieses anhaltende Siechtum ist ein afghanisches Dilemma, aber auch ein Dilemma der westlichen Welt, denn ein an sich vernünftiger Komplettrückzug bis Ende 2014 und ein dann den Taliban schutzlos ausgeliefertes Afghanistan würde als dramatische Niederlage der westlichen Staatengemeinschaft gewertet. Karsai weiß das und pokert unverschämt hoch. Unverantwortlich ist sein Handeln aus seiner Sicht nicht, denn er kennt seine Verhandlungs-„Partner“.

(28.02.2014)

 

 

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