Hans-Heinrich Dieter

Kritische Fragen zur Sicherheitspolitik   (23.02.2018)

 

Im Rahmen der Erarbeitung eines sicherheitspolitischen Artikels hat mir der Deutschland-Korrespondent der Neuen Züricher Zeitung (NZZ), Jonas Hermann, am 14.02.2018 im Rahmen seiner Recherche eine Reihe kritischer Fragen gestellt, die ich beantwortet habe:

1.Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, hält die Bundeswehr als Ganzes derzeit für „nicht einsetzbar“. Was heißt das genau?

Wie ich Herrn Bartels verstehe, will er zum Ausdruck bringen, dass die deutschen Streitkräfte in ihrem derzeitigen Einsatzfähigkeitsstand – alle Teilstreitkräfte betreffend – den Herausforderungen der Abwehr einer größer angelegten Aggression im Rahmen der NATO-Bündnisverteidigung nicht gewachsen sind. Lesen Sie auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/eingeschraenkteinsatzbereit.html

2.War die Bundeswehr in der Nachkriegszeit schon mal in einem so kritischen Zustand wie heute?

Die Nachkriegszeit stellte sehr unterschiedliche Anforderungen an die deutschen Streitkräfte. Im Kalten Krieg bis 1990 musste die Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung im Rahmen der NATO gegen Aggressionen des Warschauer Paktes befähigt sein. In dieser Phase war die Bundeswehr einsatzfähig. Nach der Wiedervereinigung und der Beendigung des Kalten Krieges wurde eine Einsatzfähigkeit deutscher Streitkräfte im Rahmen einer Landes- und Bündnisverteidigung für verzichtbar gehalten und UN-Einsätze, Stabilisierungseinsätze sowie kriegsähnliche Einsätze, wie in Afghanistan, bestimmten das Anforderungsprofil. Diesen Anforderungen wurde die Bundeswehr insgesamt gerecht – auch wenn sie kontinuierlich im Rahmen der „Friedensdividende“ abgebaut und unterfinanziert wurde, bis hin zum heutigen „Sanierungsfall“ (Bundeswehrverband). Mit dem neuen Weißbuch der Bundeswehr wurde - der NATO entsprechend - im Zusammenhang mit der aggressiven Sicherheitspolitik Russlands der Schwerpunkt wieder auf Landes- und Bündnisverteidigung gelegt. Die dafür erforderlichen Fähigkeiten müssen erst wiederaufgebaut werden. Das wird bis in die Mitte der 30er Jahre dauern. Von daher kann man durchaus den derzeitigen Zustand der Bundeswehr als den kritischsten der Nachkriegszeit bezeichnen. Lesen Sie auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/erfolgloseverteidigungsministe.html

3.In welchen Teilen der Truppe bestehen die grössten Defizite?

Große Defizite im Hinblick auf nachhaltigen Waffeneinsatz bestehen in allen drei Teilstreitkräften, Heer, Luftwaffe und Marine. Das Heer hat zu wenige Panzer, Artillerie und Flugabwehrkapazität und damit zu wenige einsatzbereite mechanisierte Divisionen einsatzbereit. Die Luftwaffe hat bei Hubschraubern aller Typen und auch bei Kampfflugzeugen einen zu geringen Klarstand. Die Marine kann aufgrund von Wartungsarbeiten und Fehl von Fachpersonal derzeit keines der fünf U-Boote einsetzen, um nur einige gravierende Beispiele zu nennen. In den zwei Organisationsbereichen Streitkräftebasis und Sanitätsdienst gibt es Defizite in der Befähigung zur logistischen und sanitätsdienstlichen Unterstützung großangelegter Operationen und die Befähigung des neuen Organisationsbereiches „Cyber und Informationsraum“ muss erst aufgebaut werden.

 

4.Was müsste geschehen, um diese zu beheben?

Der Investitionsbedarf der Streitkräfte - allein zur Behebung der materiellen Fähigkeitsmängel - wird vom BMVg für die nächsten 15 Jahre mit 130 Milliarden Euro berechnet. Das gemeinsam von allen NATO-Partnern vereinbarte Ziel, sich im Hinblick auf die Verteidigungsinvestitionen bis 2024 jeweils an 2 Prozent des BIP anzunähern, würde den Mängeln schon weitgehend abhelfen können.

 

5.Welche strukturellen Ursachen gibt es für den suboptimalen Zustand der Bundeswehr?

Der zu schnelle und unkoordinierte Ausstieg aus der Wehrpflicht hat auch zur misslichen Personallage beigetragen. Die Finanzierung von größeren Rüstungsvorhaben ist aufgrund des verfügbaren Etats nur über lange Zeiträume möglich. Das Geld kann teilweise nicht sinnvoll ausgegeben werden aufgrund der Jährlichkeit der Haushalte. Die Zusammenarbeit mit der inzwischen weniger leistungsfähigen Rüstungsindustrie lässt zu wünschen übrig. Das Material ist auch aufgrund von Unterfinanzierung überaltert und der Instandsetzungsaufwand steigt, bei unzureichender - finanziell und industriell begründeter - Ersatzteilversorgung. Lesen Sie auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/einsatztauglichebundeswehr.html

6.Wäre die Bundeswehr in der Lage, Deutschland gegen den Angriff einer feindlichen Macht zu verteidigen?

Nein. Das ist aber auch nicht gefordert, da ein Verteidigungseinsatz immer im Rahmen der NATO zu leisten wäre, weil die NATO gem. Art 5 des NATO-Vertrages beim Angriff auf einen NATO-Partner eine Beistandspflicht hat.

 

7.Könnte die Bundeswehr im Szenario des NATO-Bündnisfalls ihren Pflichten nachkommen?

Derzeit nur eingeschränkt, weil die deutschen Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung erst wiederaufgebaut werden müssen.

 

8.Wie bewerten Sie die im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarungen zur Bundeswehr?

Die im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarungen schreiben lediglich den für die Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte deutlich unzureichenden 51. Finanzplan fort. Zusätzlich sollen jährlich lediglich 250 Millionen Euro bereitgestellt werden. Deutschland bleibt als wirtschaftsstärkste europäische Mittelmacht damit bei Verteidigungsinvestitionen von etwa (blamablen) 1,2 Prozent BIP stehen. Eine Steigerung zur Annäherung des NATO-Ziels 2 Prozent BIP bis 2024 ist nicht im Ansatz abgebildet. Lesen Sie auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/wenigerals-weiterso-.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/zahnlosebundeswehr.html

 

9.Der General a.D. Klaus Naumann bezeichnet Deutschlands als „sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer“, da man im Ernstfall auf die Stärke der Verbündeten setze, vor allem auf die USA. Teilen Sie diese Einschätzung?

General Naumann spricht mir in seiner guten und treffenden letzten Analyse vom 15.01.2018 in der Huffington Post aus der Seele – oder besser aus Kopf und Herz. Allerdings ist das Trittbrettfahrertum nicht dadurch begründet, dass Deutschland auf die Stärke der USA setzt, denn es ist in der NATO Konsens, dass die NATO-Ziele ohne die Interventionsfähigkeit und ohne die nukleare Erstschlagskapazität nicht zu gewährleisten sind.

Das deutsche Trittbrettfahrertum ergibt sich dadurch, dass wir im Kalten Krieg mit eingeschränkter Souveränität keine eigene Außen– und Sicherheitspolitik gemacht haben. Nach Erlangen der Souveränität haben wir es versäumt, eigene essentielle staatliche Ziele in der Außen- und Sicherheitspolitik zu entscheiden – aus Angst vor der mehrheitlich gefühlspazifistischen sowie gesinnungsethisch eingestellten Gesellschaft und vor der Gefahr, an solchen Zielen gemessen zu werden – und deswegen haben wir versucht durch geschmeidiges Mitmachen ein „netter Musterschüler“ zu sein. Dabei haben wir es immer peinlich vermieden, Waffen einsetzen zu müssen. Bei Auslandseinsätzen bieten wir immer Logistik, Sanitätsdienst, Pionierausbildung oder Lufttransport und manchmal auch Aufklärung an, um wie beim Kampf gegen den IS nicht mit Waffengewalt eingesetzt zu werden. Vulgo: unser Trittbrettfahrertum ist wesentlich dadurch begründet, dass wir nicht genug und verantwortungsvoll in unsere Verteidigungsfähigkeit im Rahmen der gesamten NATO investieren und im Einsatz die militärische „Drecksarbeit“, (die der deutschen Bevölkerung nur sehr schwer zu vermitteln ist), anderen überlassen.

 

10.Wie sehr hängt, Ihrer Meinung nach, diese von Naumann beschriebene Haltung damit zusammen, dass nach wie vor zahlreiche US-Streitkräfte in Deutschland stationiert sind?

Da gibt es meines Erachtens keinen Zusammenhang. Die Stationierung von US-Streitkräften in Deutschland ist ein Erfordernis der NATO-Bündnisverteidigung.

 

11.Was würden Sie denjenigen antworten, die vor einer Aufrüstung warnen und sich dagegen aussprechen, dass die Rüstungsaufgaben auf zwei Prozent des BIP angehoben werden?

Wie dargelegt geht es um Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung. Es geht um die Sanierung einer „kaputtgesparten“ Bundeswehr. Und es geht darum, dass Deutschland seiner außen- und sicherheitspolitischen Verantwortung in einer sicherheitspolitisch veränderten Welt auch tatsächlich gerecht werden kann. Das hat mit Aufrüstung nichts zu tun! Das Aufrüstungsgerede ist ideologisch geprägtes links-grünes Mainstreamgerede.

 

12.Ist die Rede von der „Aufrüstung“, in Wahrheit kontrafaktisch, weil eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts lediglich bestehende Mängel verringern würde?

Ja!

 

13.Wie stark müssten die Ausgaben für die Bundeswehr erhöht werden, wenn Deutschland gemeinsam mit den europäischen Partnern eine von den USA unabhängige Sicherheitsarchitektur erschaffen will?

Das lässt sich nicht beziffern. Dazu müsste es eine Außen- und Sicherheitspolitik der EU geben. Die gibt es nicht. Dazu müsste die EU ein Sicherheitspolitisches Zielsystem entwickeln, davon ist die EU noch weit entfernt. Die EU müsste darüber hinaus strategische Vorstellungen anhand realpolitischer Szenarien entwickeln, um zu wissen, was sie militärisch können will und muss. Wenn überhaupt, wird es mit dieser EU in den nächsten 30 Jahren keine von den USA unabhängige Sicherheitsarchitektur geben können. Allein aufgrund der minimalen nuklearen Fähigkeiten von EU-Partnern, die sich mit dem Brexit noch verringern werden, ist eine solche unabhängige und verteidigungsfähige Sicherheitsarchitektur der EU gemessen an den konventionellen und nuklearen Fähigkeiten Russlands nicht vorstellbar. Die mittelfristige sicherheitspolitische Zukunft ist nur sinnvoll, erfolgreich und nachhaltig durch die NATO mit der Führungsmacht USA und einer eng mit der NATO zusammenarbeitenden, besser noch verzahnten EU-Architektur denkbar. Das heißt nicht, dass die EU keine sicherheitspolitischen Anstrengungen auf sich nehmen muss, im Gegenteil. Aber solche Anstrengungen dürfen nicht in Konkurrenz zur NATO erfolgen, sondern müssen komplementär zur NATO-Einsatzfähigkeit realisiert werden.

Lesen Sie auch: http://www.hansheinrichdieter.de/html/pesco.html

 

Mal sehen, was Herr Hermann daraus macht.

 

 

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