Hans-Heinrich Dieter

Lage der EU   (16.09.2021)

 

Gestern hat von der Leyen vor dem EU-Parlament ihre zweite Rede zur Lage der EU – mit der Plagiatsbenennung „State of the Union“ – gehalten. Mit der desolaten Lage der EU vor Augen durfte man gespannt sein auf zukunftsfähige Aussagen und Konzeptvorstellungen, wie die EU endlich geopolitisch handlungsfähig gemacht werden soll.

Da es der ehemaligen „Ankündigungs“-Verteidigungsministerin und der jetzigen „Illusions-EU-Kommissionspräsidentin“ aber eher auf Imagepflege als auf zukunftsfähige Sachaussagen ankommt, hat sie sich zu Beginn ihrer Rede zunächst einmal ausführlich gelobt und betont, dass die EU die Corona-Krise bislang gut bewältigt habe. Die Mitgliedsstaaten hätten sich in der größten globalen Gesundheitskrise seit Jahrzehnten für einen gemeinsamen Weg entschieden. Dieser Hinweis auf die „Gemeinsamkeit“ der in mehrfacher Hinsicht gespaltenen und zerstrittenen EU ist tatsächlich wichtig und drückt Zukunftshoffnung aus – mehr aber auch nicht! Als weitere Schwerpunkte der künftigen Politik nannte von der Leyen unter anderem verstärkte Anstrengungen bei der Digitalisierung, beim Ausbau der Halbleitertechnologie sowie beim Natur- und Klimaschutz mit dem „Green Deal“.

Außen- und sicherheitspolitisch erklärte von der Leyen, sie wolle Europa in enger Zusammenarbeit mit der NATO militärisch stärken und plädierte für den Ausbau einer Europäischen Verteidigungsunion. Dazu bereite die EU-Kommission eine gemeinsame Erklärung mit dem transatlantischen Bündnis vor. Wichtig und positiv ist es, dass die Kommissionspräsidentin die Zusammenarbeit mit der NATO anspricht, denn die EU ist auf absehbare Zeit in ihrem derzeitigen Zustand dauerhafter sowie ausgeprägter Handlungsunfähigkeit und offen verweigerter Solidarität einzelner Mitgliedstaaten als politische Gemeinschaft nicht in der Lage, ihr sicherheitspolitisches Schicksal mit Erfolgsaussichten in die eigenen Hände zu nehmen. Die EU bleibt in sicherheitspolitischen Fragen auf die möglichst enge Zusammenarbeit mit den USA angewiesen. Eine solche Zusammenarbeit ist am ehesten und besten mit der NATO zusammen zu erreichen. Deswegen kommt der vertieften Zusammenarbeit mit der NATO die herausragende Bedeutung zu. Die NATO macht jetzt schon die richtige und ausgewogene Politik nicht nur gegenüber unserem neuen „Gegner“ Russland. Und die NATO ist als Verteidigungsorganisation heute schon strukturell handlungsfähig. Und Taten sind in der Sicherheitspolitik weitaus wichtiger als hehre Worte und Absichtserklärungen - zum Beispiel über eine zukünftige Interventionsfähigkeit der EU.

Und in dem Zusammenhang scheint von der Leyen etwas gelernt zu haben, denn sie stellt in dem Zusammenhang fest, dass es weniger um die Frage geht, ob die EU eine neue Interventionstruppe oder andere Institutionen braucht, sondern vielmehr darum, „warum all das bisher nicht funktioniert hat“. Die einfache Antwort kennt auch vdL, denn das liegt an der stark eingeschränkten Handlungsfähigkeit aufgrund mangelnder Solidarität und dem an dem strukturellen Grundsatz der Einstimmigkeit in außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Ohne Strukturreform wird also auch in Zukunft wenig „funktionieren“!

Auch andere Zukunftsthemen werden unzureichend angesprochen. Schon lange fordert die Mehrheit der EU-Parlamentarier die EU-Kommission auf, konsequenter und schneller gegen die Rechtsstaatsverstöße in Polen und Ungarn vorzugehen. In dem Zusammenhang verwies von der Leyen lediglich darauf, dass die EU-Kommmission finanzielle Sanktionen gegen Polen beim EuGH beantragt hat. Das ist angesichts der Tatsache, dass Ungarn und Polen europäische Werte mit Füßen treten zu wenig!

Von der Leyen hat sich außerdem nicht zur Entwicklung der Türkei und der Westbalkan-Staaten geäußert. Die Türkei entwickelt sich unter Erdogan zu einem autokratischen System und spätestens mit der Aufkündigung der Istanbul-Konvention hat sich die Türkei als EU-Mitgliedskandidat unmöglich gemacht. Auch die Westbalkan-Staaten entwickeln sich zunehmend autokratisch und am Beispiel Serbien kann man beobachten, dass das System Putin umschmeichelt und zunehmend über Seidenstraßen-Projekte in die Abhängigkeit Chinas gerät. Die Westbalkanstaaten scheinen sich mehr und mehr nicht von der Leyen, sondern Orban zum Vorbild zu nehmen und haben sich so der EU nicht genähert, sondern sich zunehmend von den Werten der EU entfernt und ihre Aussichten auf eine EU-Mitgliedschaft deutlich verschlechtert. Auch hier erwartet man Klartext von der EU-Kommissionspräsidentin!

Positiv eingestellte EU-Bürger wollen eine handlungsfähige Union, hauptsächlich auf den Problemfeldern Migration und Flüchtlinge, Terrorbekämpfung, gemeinsame Verteidigungsanstrengungen mit der NATO, Digitalisierung sowie Klimawandel. Eine überlebensfähige und handlungsstarke EU erfordert aber weniger Weiterentwicklungen auf der Basis der derzeitigen Struktur, sondern echte Struktur-Reformen und deswegen wollen die Bürger überzeugt werden, dass die EU über die dringend notwendigen Reformen wirklich bereit und in der Lage ist, die Probleme anzupacken, nachhaltig zu lösen und das Leben der EU-Bürger zu verbessern.

Dabei muss es derzeit doch wohl in der heillos zerstrittenen Union darum gehen, zunehmend nationalistisch und unsolidarisch agierende Mitglieder in die Wertegemeinschaft der EU zurückzuholen. Wenn das nicht gelingt, dann muss sich die EU neu erfinden und mit einem Kerneuropa der leistungsstarken und solidarischen Mitglieder eine tiefer integrierte EU weiterentwickeln und den unsolidarischen Staaten eine Vollmitgliedschaft zu den neuen Bedingungen oder eine privilegierte Partnerschaft anbieten. Auf einer solchen Grundlage kann man dann auch die EU zu einem „Zentrum der wirtschaftlichen Kraft Europas in der Welt“ – und darüber hinaus – weiterentwickeln.

Die EU-Bürger erwarten keinen „Mann auf-dem-Mond-Moment“ für Europa, sondern konkrete Vorschläge für die Lösung der tiefgreifenden Probleme der EU!

(16.09.2021)

 

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