Hans-Heinrich Dieter

Lobhudelei!   (15.10.2021)

 

Kanzlerin Merkel lässt sich in der ganzen Welt feiern und hinterlässt dabei einen großen klimaschädlichen Fußabdruck.

Für ihre vermeintlich langjährigen politischen Verdienste um Europa ist Bundeskanzlerin Merkel in Spanien jüngst mit dem Europapreis „Karl der Fünfte“ ausgezeichnet worden. In der Begründung heißt es, die Bundeskanzlerin sei stets eine unerschütterliche Verfechterin des europäischen Integrationsprozesses und der wichtigen strategischen Rolle Europas auf der internationalen Bühne gewesen. Das ist nur eine von vielen Fehleinschätzungen, die mit der Abschiedsfliegerei zum Ende ihrer Dienstzeit verbunden sind. Tatsache ist, dass es keine wichtige strategische Rolle Europas auf der internationalen Bühne gibt, für die Merkel sich hätte einsetzen können. Außerdem hat Merkel den europäischen Integrationsprozess nicht gefördert, sondern sie hat mehrfach zur Spaltung der EU beigetragen.

Mit Merkels auf den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomenergie fixierten und mit der EU und unseren Nachbarn nicht abgestimmten Energiepolitik hat sie zur Spaltung der EU beigetragen, denn Hektik, Hysterie und 180-Grad-Kursänderungen - ohne tragfähiges Konzept - in der Frage der Nutzung der Atomenergie sind ganz offensichtlich ein deutsches Alleinstellungsmerkmal, das bei unseren Nachbarn Unverständnis, Spott und gelegentlich wegen der absehbaren ökonomischen und politischen Selbstbeschädigung Mitleid oder auch klammheimliche Freude hervorgerufen hat. Und im Zusammenhang mit dem propagierten Klimaschutz, auch durch „Entkarbonisierung“, machen wir uns mit dem zu langen Festhalten an veralteten Braunkohle-Kraftwerken zusätzlich unglaubwürdig.

In der Flüchtlingskrise 2015 folgende sind wir mit unserer unverantwortlichen, sicherheitsgefährdenden und langfristig auch existenzbedrohenden Politik aus dem europäischen System ausgestiegen, haben viele Mitgliedstaaten gegen uns aufgebracht und durch irrationale Eigenwilligkeit europäische Kompromisslösungen verhindert. Wir führen Solidarität ständig im Munde, entsprechen selbst aber unseren Forderungen nach solidarischem und abgestimmtem Verhalten nicht. Die weltweite Lobhudelei der letzten Wochen ist aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt!

Denn auch die Schwächung Deutschlands, bis hin zu einem „Sanierungsfall“, ist eng verbunden mit Mutti Merkel. Wolfgang Reitzle: „Nach fast 16 Jahren Merkel ist Deutschland in vielen Bereichen ein Sanierungsfall: Bürokratie im Faxzeitalter stecken geblieben, Digitalisierungsrückstand, kein schnelles Internet, massive Mängel in der Infrastruktur und marode Schulen sind nur einige Beispiele für Defizite, die für ein führendes Industrieland beschämend sind.“ Mit dieser jahrelangen Schwächung Deutschlands als führende Wirtschafts- und einflussreiche Mittelmacht Europas, hat Merkel auch die EU geschwächt und zu deren Destabilisierung beigetragen. Während Merkels Regierungszeit hat sich Deutschland – dem einstigen Land der Dichter und Denker - zu einer „verschlafenen Republik“ entwickelt, die auch in Pisa-Studien nur Mittelmaß hat.

Bei aller Verschlafenheit haben die deutschen Politiker und Bürger aber inzwischen doch gemerkt, dass das desolate Deutschland in der desolaten EU immer weniger ernst genommen und inzwischen teilweise verspottet wird. Das liegt auch daran, dass wir immer wieder vollmundig reden, ohne global handlungsfähig zu sein. Der SPD-Bundespräsident schwingt sich von einer selbstbezichtigenden Sonntagsrede zur nächsten und dem SPD-Außenminister – bekannt als die „wandelnde Plattitude“ – wird ohnehin nicht geglaubt. Und Deutschland hat sich auch sicherheitspolitisch zum wenig glaubwürdigen Trittbrettfahrer entwickelt, der Vereinbarungen nicht einhält und seine NATO-Verpflichtungen verfehlt. Und Deutschland vertieft die mehrfache Spaltung der EU, indem es gegen den Willen mehrerer EU-Mitgliedstaaten und gegen den Willen der Mehrheit des EU-Parlamentes und gegen den Willen wichtiger NATO-Mitgliedstaaten „putinpudelig“ an Nord Stream 2 festhält. Wie sagt Wolfgang Reitzle so richtig: „Seinem Anspruch, zur Weltklasse zu gehören, wird Deutschland jedenfalls schon seit Langem nicht mehr überall gerecht.“

Der Schaden, den Merkel in 16 Jahren angerichtet hat ist also immens und wird uns noch lange belasten! Dass Merkel bei dieser Bilanz mit aktuell bis zu 80 Prozent Zustimmung immer noch als die beliebteste Politikerin Deutschlands gilt, ist ein weiterer Beleg für den eingeschränkten politischen Bildungsstand einiger Teile der deutschen Bevölkerung. Bei den jetzt vielen „letzten Auftritten“ wird Merkel vom Medien-Mainstream über den grünen Klee gelobhudelt und die abhängigen Hauptstadtmedien brechen nahezu in Tränen aus, wenn sie gerührt feststellen: „Sie wird uns fehlen!“ Umso wichtiger ist es, eine ehrliche Bilanz zu ziehen und zu „Sagen, was ist!“ - und war.

So schreibt Chefredaktor Gujer heute in der NZZ: „Zugleich erodiert die Wettbewerbsfähigkeit, die das wirtschaftliche Fundament der Vormachtstellung bildet. … Aber damit ist Deutschland nicht mehr Klassenprimus, sondern nur noch EU-Durchschnitt. Zudem zehrt das Land noch immer von Schröders Reformen. Seither hat es wenig unternommen, um seine Position zu verbessern. Merkels Jahre waren verlorene Jahre. Zugleich übertünchte ihre internationale Ausstrahlung den schleichenden Bedeutungsverlust.“

(15.10.2021)

 

 

 

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