Hans-Heinrich Dieter

Mittelalterliches Afghanistan   (10.02.2014)

 

Außenminister Steinmeier hat die deutschen Truppen in Afghanistan besucht und eine Bilanz des Afghanistan-Einsatzes gezogen. Er stellt fest, dass die internationale Gemeinschaft nicht alles erreicht hat, was sie sich vorgenommen hatte. Es sei aber ein Erfolg, dass in Afghanistan keine Terroristen mehr ausgebildet würden, dass Kinder zur Schule gehen könnten und sich die Gesundheitsversorgung verbessert habe.

Selbst wenn der deutsche Außenminister Recht hätte, ist diese Bilanz nach 13 Jahren intensivster personeller, materieller und milliardenschwerer Investitionen sehr dürftig.

Der im Januar erschienene Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanistan im Jahr 2013 zeichnet denn auch ein Bild mit weit mehr Schatten als Licht. Danach hat Kabul die Reformversprechen für bessere Regierungsführung, den Kampf gegen die grassierende Korruption sowie Drogenanbau und Drogenhandel oder für eine Verbesserung der Menschenrechtslage nicht erfüllt. Von einer „ausreichenden Sicherheitslage“ kann nicht die Rede sein, die Entwicklung gestaltet sich vielmehr eher negativ. Die 2012 in Tokio vereinbarten Bedingungen für die Gewährung der von der internationalen Staatengemeinschaft zugesagten 16 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern und weiteren 5 Milliarden pro Jahr für die Unterstützung der Sicherheitskräfte sind nicht erfüllt, weil die 17 Kernziele für effizientes Regierungshandeln nur zu einem Drittel annähernd erreicht sind. Die zu 80% abgeschlossene Ãœbergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte hat in manchen Regionen zu einem Sicherheitsvakuum geführt. Die Zahl der getöteten Zivilpersonen ist in 2013 deutlich gestiegen. Die Zahl der getöteten und desertierten afghanischen Sicherheitskräfte ist immens. Die Sicherheitslage bleibt also labil und angespannt. Denn die regierungsfeindlichen Kräfte (RFK) sind weiterhin in der Lage, in allen Landesteilen Anschläge zu verüben. Und auch der innerafghanische Friedens- und Versöhnungsprozess hat noch nicht zu einem ernsthaften Dialog zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban geführt.

An sich ist das Beweis genug dafür, dass der Außenminister diplomatisch schönfärbt. Schleierhaft ist aber, wie er zu der Bewertung kommt, dass in Afghanistan keine Terroristen mehr ausgebildet werden. Die Taliban haben sich verjüngt und haben Zulauf. Sie bedienen sich der Methoden islamistischer Terroristen. Sie lehnen einen friedenstiftenden Dialog mit der "Marionette Karsai" ab, terrorisieren weiterhin die afghanische Bevölkerung und streben nach Abzug der internationalen Kampftruppen die Wiedererrichtung ihrer islamistischen Herrschaft an. Und wer glaubt, dass mit der Tötung von Osama bin Laden die Einflussmöglichkeiten von Al Qaida in Afghanistan verhindert sind, irrt gewaltig.

Es ist richtig, dass Kinder heute zur Schule gehen können, auch zu 40% Mädchen. Die Frage ist nur, wie lange noch. Gerade wurde eine Gesetzesänderung vom afghanischen Parlament verabschiedet, das Zeugen verbietet, gegen Verwandte auszusagen. Menschenrechtler befürchten verheerende Folgen für Opfer häuslicher Gewalt in dem muslimischen Land, in dem Zwangsehen an der Tagesordnung und Ehrenmorde keine Seltenheit sind. Nach Einschätzung von "Human Rights Watch" würden aufgrund dieses Gesetzes "Frauenschläger von der Leine gelassen". Und die Frauenrechtlerin Manizha Naderi bewertet das Gesetz wie folgt: "Es macht es unmöglich, Fälle von Gewalt gegen Frauen zu verfolgen. Die am meisten gefährdeten Menschen erfahren dann keine Gerechtigkeit mehr." Die Entwicklung des muslimischen Afghanistans - raus aus dem Mittelalter - wird trotz der jahrelangen Bemühungen der internationalen Staatengemeinschaft noch lange dauern.

Und es ist richtig und wichtig festzustellen, dass die Gesundheitsversorgung verbessert wurde, insbesondere im deutschen Verantwortungsbereich. Aber die Gesundheitsversorgung ist nur ein kleiner Teil des gesamten Hilfsprogramms für Afghanistan. Der US- Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) und die US-Entwicklungshilfeorganisation USAID stellen fest: "Die afghanischen Ministerien sind nicht in der Lage, das Geld zu verwalten und die Ausgaben zu belegen." Schätzungen zufolge versickern bis zu 50 Prozent aller Afghanistan-Hilfsgelder in dunklen Kanälen. Das betrifft nicht nur große militärische, staatliche und Infrastrukturprojekte. SIGAR weiß laut Bericht nicht, was mit rund 40 Prozent der 56 Milliarden Dollar geschehen ist, die bisher in zivile Projekte flossen. Und wenn die Internationalen Kampftruppen Ende 2014 abgezogen sind und das vollständig souveräne Afghanistan die Sicherheit zu gewährleisten hat, werden viele, hauptsächlich ländliche Regionen Afghanistans für internationale Zivilorganisationen nicht mehr gefahrlos zugänglich und damit Hilfsprojekte auch nicht mehr zu überwachen sein. Dann wird noch mehr Geld in düstere Kanäle fließen und Errungenschaften ziviler Hilfe werden verfallen. Da muss man sich die nüchterne Frage stellen, ob man die geplanten Hilfsgelder fließen lässt, ohne dass die Kriterien dafür nachweisbar erfüllt sind.

Immerhin hat Bundesaußenminister Steinmeier den afghanischen Präsidenten Karsai dringend aufgefordert, rasch die Grundlagen zur Fortsetzung des internationalen Einsatzes zu schaffen und deutlich gemacht, dass Deutschland daran gelegen sei, dass Afghanistan nicht in Chaos und Gewalt zurückfalle. Deswegen wolle es sich auch an der Folgemission Resolute Support beteiligen.Die Zusage, afghanische Sicherheitskräfte auszubilden und zu trainieren, gelte allerdings nur, wenn Deutschland durch die afghanische Regierung förmlich eingeladen würde und ein zwischen der NATO und Afghanistan vereinbartes Truppenstatut möglichst schnell zustande käme. Von der Erfüllung von Kriterien für Hilfszahlungen und von Sanktionen gegenüber der korrupten Regierung Karsai bei Nichterfüllung von Reformversprechen war nicht die Rede. Die Islamisierung Afghanistans nach 2014 erscheint unausweichlich und Chaos sowie terroristische Gewalt scheinen vorprogrammiert. Resolute Support ab 2015 wird eine negative Entwicklung wohl nur abschwächen und verzögern können.

(10.02.2014)

 

 

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