Hans-Heinrich Dieter

Moral in der Politik   (09.03.2012)

 

FrĂŒher sagte man, Krieg sei zu gefĂ€hrlich, um ihn den MilitĂ€rs zu ĂŒberlassen. Heute sind es meist die militĂ€rischen Fachleute, die versuchen, vor politisch lautstark geĂ€ußerten kriegerischen Absichten zu warnen. Die Krisenpolitik der USA und Israels rund um das Atomprogramm des Iran ist da ein gutes Beispiel.

Der Iran ist offenbar gewillt, sein Atomprogramm gegen alle WiderstĂ€nde und jeglichen Sanktionen zum Trotz zu zivilen und friedlichen Zwecken - wie die Islamische Republik versichert - erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Der Sieg der Konservativen unter der FĂŒhrung von Laridschani bei der Parlamentswahl im Iran hat an dieser Zielsetzung nichts geĂ€ndert, denn sowohl im Hinblick auf die Entwicklung ziviler NuklearfĂ€higkeiten als auch im Streben nach dem Status einer Nuklearmacht, sind sich die religiösen FĂŒhrer, die Parteien und die Mehrheit des Volkes offenbar einig. Und der Scharfmacher Ahmadinedschad hat mehrfach erklĂ€rt, dass der Iran Israel von der Landkarte des Nahen Ostens löschen will. Iranische Nuklearwaffen ließen eine solche Zielsetzung gegenĂŒber der Nuklearmacht Israel realistischer erscheinen. Nun spielt der Iran auf Zeit und beginnt ein Katz- und Maus-Spiel mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), indem er erst den Zugang zur Atom-Anlage Parchin verwehrt und nun einer Inspektion doch zustimmen will, wenn alle offenen Fragen geklĂ€rt sind. Das sind Spielchen auf einem sehr gefĂ€hrlichen Weg.

Israel fĂŒhlt sich aufgrund seiner Geschichte und Lage immer bedroht und hat verstĂ€ndlicherweise ein ĂŒbersteigertes SicherheitsbedĂŒrfnis. Vor dem Iran hat die israelische Bevölkerung regelrecht Angst und möchte offenbar mehrheitlich dem Besitz von Nuklearwaffen durch den Iran auf jeden Fall entgegenwirken. Mit der Androhung eines MilitĂ€rschlages, auch ohne vorherige Konsultation der USA, hat Israels Premierminister eine starke rhetorische Position bezogen, die westliche Welt aufgerĂŒttelt und den Druck auf den Iran verstĂ€rkt. Die Frage ist, ob die politische und militĂ€rische Position Israels dieses SĂ€belrasseln rechtfertigt oder ob nicht eine ganze Reihe anderer GrĂŒnde zu dem Kriegsgeschrei fĂŒhren. Die Lageentwicklung Israels im letzten halben Jahr hilft da auf die SprĂŒnge.

Im Sommer 2011 gingen Hunderttausende, meist jĂŒngere Israelis, fĂŒr soziale Gerechtigkeit auf die Straße und brachten massiven Unmut mit der Regierung Netanjahu/Lieberman zum Ausdruck. Die sozialen MissstĂ€nde halten an, die Regierung Netanjahu/Lieberman hat an GlaubwĂŒrdigkeit und RĂŒckhalt in der Bevölkerung stark verloren.

Im September, mitten in der Debatte ĂŒber neue Nahost-FriedensgesprĂ€che, genehmigt Israel den Bau von 1100 Wohnungen in Ostjerusalem, stĂ¶ĂŸt damit auch wichtige VerbĂŒndete vor den Kopf und zeigt offen, dass es an Friedensverhandlungen wenig interessiert ist. UN-GeneralsekretĂ€r Ban Ki Moon hĂ€lt Israels BauplĂ€ne fĂŒr "inakzeptabel", der tĂŒrkische MinisterprĂ€sident Erdogan wirft Israel "Staatsterror" vor, US-Verteidigungsminister Panetta mahnt bei der Regierung in Jerusalem die dringende Verbesserung der Beziehungen zu den arabischen Nachbarn an und die deutsche Bundesregierung droht Israel damit, die Lieferung eines "Dolphin"-U-Bootes zu stoppen, um gegen diese Siedlungspolitik zu protestieren.

Im Oktober 2011 lassen sich die Friedensverhandlungen mit den PalĂ€stinensern, die ein Jahr geruht haben, unter solchen UmstĂ€nden und mit der permanenten Verweigerung einer Zwei-Staaten-Lösung nicht zĂŒgig anschieben. Im Gegenteil, nach der Aufnahme PalĂ€stinas in die UNESCO verstĂ€rkt Netanjahu sogar den Siedlungsbau in Ost-Jerusalem mit der AnkĂŒndigung des Baus von 2000 neuen HĂ€usern. Israel hat sich mit seiner Politik isoliert und Freunde und Partner verprellt.

Im November 2011 bezieht die IAEA erstmals mit einem Bericht zum iranischen Atomprogramm Stellung gegen Teheran. Israel ergreift die Gelegenheit beim Schopf und sieht diesen Bericht als politischen AufhĂ€nger, notfalls allein gegen das iranische Nuklearprogramm vorzugehen. Dazu baut Israel mit Raketentests und MilitĂ€rmanövern eine massive DrohgebĂ€rde gegenĂŒber dem Iran auf. Sogar StaatsprĂ€sident Peres spricht von einem wahrscheinlichen Angriff. Der ehemalige Mossad-Chef MeĂŻr Dagan will eine solche „Katastrophe“ verhindern und wird nicht mĂŒde, öffentlich vor einem israelischen Angriff auf den Iran zu warnen.

Im Dezember verschĂ€rfen sich die Spannungen mit den PalĂ€stinensern, denn der umstrittene Siedlungsbau im Westjordanland geht mit 40 neuen HĂ€usern weiter. DarĂŒber hinaus schließt die israelische Polizei eine Zugangsrampe zur Al-Aksa-Moschee in Jerusalem. Die radikale israelische Siedler-Jugend greift nun nicht mehr nur PalĂ€stinenser an, sondern auch israelische Armeeposten. Israelische Politiker sprechen von "jĂŒdischem Terrorismus", den man stoppen mĂŒsse. Zudem nehmen ultraorthodoxe Juden zunehmend Einfluss auf das öffentliche Leben in Israel, fordern Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit und es kommt zu einer ganzen Serie von Gewalttaten durch die religiösen Radikalen. Dieser innenpoltische Streit schwelt weiter.

Das Jahr 2012 bringt keine Beruhigung. Der ehemalige israelische PrĂ€sident Katsav muss wegen Vergewaltigung fĂŒr sieben Jahre ins GefĂ€ngnis. Gegen Israels Ex-MinisterprĂ€sident Olmert ist erneut Anklage wegen Korruption erhoben worden. Dem israelischen Außenminister Lieberman wirft der Generalstaatsanwalt Betrug und GeldwĂ€sche vor. Es drohen Amtsverlust und bis zu zehn Jahre Haft. Im Zusammenhang mit den sozialen MissstĂ€nden und den verschleppten Friedensverhandlungen hat dieses Verhalten hochrangiger Politiker zu einem massiven Vertrauensverlust der Politik gefĂŒhrt.

Im Februar kĂŒndigt Israel entgegen aller internationalen Mahnungen den Bau neuer Siedlungen auf PalĂ€stinensergebiet an. In Ost-Jerusalem sollen 130 Wohnungen und ein Tourismuskomplex entstehen. Frankreichs PrĂ€sident Nicolas Sarkozy hĂ€lt angesichts dieser Lage das Nahost-Quartett fĂŒr gescheitert. Da lenken die Zuspitzungen im Atomstreit mit dem Iran fĂŒr Israel politisch vorteilhaft ab. Jetzt streiten sich die USA und Israel schon ĂŒber Dringlichkeiten und Zeitfenster eines MilitĂ€rschlages zur Verhinderung einer iranischen Nuklear-KapazitĂ€t. Und vor diesem Hintergrund reist Israels Premier Netanjahu im MĂ€rz 2012 mit Überlegungen zu "roten Linien" nach Washington, um von den USA konkrete Zusagen fĂŒr militĂ€rische Operationen gegen Iran zu erhalten. Diese Zusage erhĂ€lt Netanjahu nicht, aber PrĂ€sident Obama versichert Israel zumindest der amerikanischen UnterstĂŒtzung: Der Iran sollte „die Entschlossenheit der USA nicht anzweifeln, ebenso wenig das souverĂ€ne Recht Israels, seine eigene Entscheidung darĂŒber zu fĂ€llen, was fĂŒr seine Sicherheit nötig ist."

Das ist fĂŒr Netanjahu natĂŒrlich nicht der Punktsieg, den er sich erhofft hat und deswegen fĂ€hrt er vor der jĂŒdischen Lobbygruppe AIPAC noch einige verbale GeschĂŒtze auf: "Ich spiele nicht mit der Sicherheit des Staates Israel." und "Als MinisterprĂ€sident von Israel werde ich mein Volk niemals von Vernichtung bedroht leben lassen…“. Und Netanjahu bemĂŒht sogar Nazi-Deutschland als Beispiel, 1944 habe man die USA gebeten, Auschwitz zu bombardieren, ohne Erfolg. Heute habe sich die Lage geĂ€ndert, heute sei der jĂŒdische Staat souverĂ€n. Da fragt man sich, wer bei einer Bombardierung von Auschwitz 1944 alles zu Tode gekommen wĂ€re und ob Israel heute vergleichbare unverantwortliche Bombardierungen tatsĂ€chlich vorhat. Aber vielleicht hat Netanjahu einfach nicht grĂŒndlich genug nachgedacht.

 Netanjahu hat versucht, in Washington konkrete Grundlagen fĂŒr eine MilitĂ€roperation gegen den Iran und sein Atomprogramm zu legen, ohne Erfolg. Der israelische Premier will den Angriff jetzt, ohne eine "smoking gun" vorweisen zu können und PrĂ€sident Obama ist gegen eine solche Aktion, zumindest vor der US-PrĂ€sidentschaftswahl in acht Monaten. Bei den GesprĂ€chen ĂŒber Krieg oder Nicht-Krieg mit dem Iran spielten die Friedensverhandlungen mit den PalĂ€stinensern, die Zwei-Staaten-Lösung und die israelische Siedlungspolitik keine Rolle. Das israelische SĂ€belrasseln hat an diesen Frontabschnitten und in der Innenpolitik immerhin fĂŒr politische Entlastung gesorgt.

Der politische Betrachter muss ein wenig verwirrt sein, zumindest aber besorgt.

Da geht es um die Verhinderung der nicht konkret nachgewiesenen Entwicklung einer iranischen Nuklear-KapazitĂ€t durch einen prĂ€ventiven MilitĂ€rschlag Israels, ohne völkerrechtliche Grundlage. Hier geht es um mögliche militĂ€rische Angriffe gegen einen auch souverĂ€nen Staat, dem man derzeit konkret vorwerfen kann, dass er dem auch von ihm unterzeichneten Atomwaffensperrvertrag nicht in allen Punkten entspricht. Es geht um mögliche militĂ€rische Operationen, die einen FlĂ€chenbrand im Nahen und Mittleren Osten auslösen können mit fatalen Folgen fĂŒr die Weltwirtschaft. Es geht um moralisch und politisch unkalkulierbare Risiken sowie um mögliche Revanche-Terror-Angriffe nicht nur gegen Israel. Diese existenziellen Fragen werden offensichtlich, getrieben von Lobbygruppen und eingeschrĂ€nkt politisch befĂ€higten republikanischen VorwahlkĂ€mpfern, im wesentlichen in AbhĂ€ngigkeit von Wahlterminen und massiven innenpolitischen Schwierigkeiten diskutiert, ohne dass die möglichen Folgen einer solchen Politik der Weltöffentlichkeit hinreichend erklĂ€rt werden und ohne dass sich Europa mĂ€ĂŸigend und beruhigend einbringt. Und selbst reine Drohkulissen bedĂŒrfen einer plausiblen und ernsthaften Diskussion, um glaubwĂŒrdig zu sein. Das alles zeugt nicht gerade von stark ausgeprĂ€gtem Verantwortungsbewusstsein in dieser prekĂ€ren Lage. Washington scheint bei dieser Diskussion immerhin auf die mahnenden Stimmen der US-MilitĂ€rs zu hören, der ehemalige Mossad-Chef MeĂŻr Dagan hingegen wird wegen seiner öffentlichen Warnung vor einem israelischen Angriff auf den Iran politisch massiv angegriffen.

 Und vor diesem Hintergrund schreibt die WASHINGTON POST: "PrĂ€sident Obama hat diese Woche einer weiteren GesprĂ€chsrunde mit dem Regime zugestimmt. Diese Verhandlungen geben dem Iran nicht nur Zeit, sein Atomprogramm weiterzuentwickeln. Sie machen es auch fĂŒr Israel extrem schwierig, gegen die Bedrohung vorzugehen. Um Fortschritte zu erzielen, hĂ€tte Obama Teheran eine klare Frist setzen mĂŒssen. Denn die Atom-Uhr tickt".

Verantwortungsvolle, am Frieden orientierte Politik ist offenbar zu wichtig, um sie Macht- und Parteipolitikern und immer hĂ€ufiger nach militĂ€rischen Optionen rufenden Medien zu ĂŒberlassen. Gebraucht werden militĂ€risches KalkĂŒl, kluge Diplomatie und maßvolle Politik von wirklichen StaatsmĂ€nnern. Solche StaatsmĂ€nner fehlen derzeit in der weltweiten Politik.

(09.03.2012)

 

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