Hans-Heinrich Dieter

Moralischer Zeigefinger   (02.01.2015)

 

Kurz vor Weihnachten hat der israelische Botschafter in Deutschland, Hadas-Handelsman, vor einer Bedrohung der Demokratie durch wachsenden Antisemitismus und Rassismus gewarnt. Mit Blick auf die Proteste der Pegida-Gruppierung und antisemitische Proteste im Sommer sprach er von einer neuen Intensität des Hasses in der Bundesrepublik. Wenn Menschen im Ausland den moralischen Zeigefinger anklagend erheben, dann darf man sich fragen, mit welchem moralischen Recht die Anklage erhoben wird.

Das israelische Kabinett hat kurz vor seiner Auflösung einen Gesetzentwurf zur verfassungsmäßigen Verankerung des Charakters Israels als "Nationalstaat des jüdischen Volks" auf den Weg gebracht. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass der jüdische Charakter Israels verankert wird und das jüdische Recht einen höheren Stellenwert erhält. Arabisch soll als zweite offizielle Sprache Israels abgeschafft werden. Netanjahu sagte, die Kabinettssitzung einleitend: "Die einen wollen, dass die Demokratie Vorrang hat vor dem jüdischen Charakter unseres Landes, die anderen geben dem jüdischen Charakter mehr Gewicht als der Demokratie." Generalstaatsanwalt Jehuda Weinstein warnte zu Recht in dem Zusammenhang eindringlich vor einer Schwächung des demokratischen Charakters Israels, denn Israel legt damit die Grundlagen für einen eingeschränkt demokratischen Apartheidsstaat.

Israel hat sich im letzten Gaza-Krieg durch unverhältnismäßige und brutale Kriegführung schuldig gemacht. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat einen Angriff der IDF auf eine UN-Schule scharf verurteilt: "Dies ist ein Skandal in moralischer Hinsicht und ein Verbrechen." Der Beschuss der Schule stelle einen "erneuten flagranten Verstoß gegen das internationale humanitäre Recht" dar. Das ist eine markante Stimme von vielen, die den Staat Israel wegen mehrfachen Beschusses von UN-Schulen, die als Flüchtlingsunterkunft dienten, vielfach berechtigt an den internationalen Pranger stellen. An Israel prallte internationale Kritik zu Verletzungen des internationalen Rechtes und des Völkerrechtes sowie Vorwürfe im Hinblick auf Kriegsverbrechen der israelischen Streitkräfte im Zusammenhang mit der Gaza-Offensive bisher ab. Durch die Verweigerung einer Untersuchung möglicher Kriegsverbrechen verstärkt Israel seine selbstverschuldete Isolierung in der internationalen Gemeinschaft und vertut die Chance, dass das bisher sehr negative Bild objektiviert wird.

Israel betreibt eine provozierende und friedensfeindliche Siedlungspolitik. Anfang Oktober 2014 wurden neuerliche israelische Pläne bekannt, nach denen im annektierten Ostteil von Jerusalem mehr als 2600 Wohnungen für jüdische Siedler gebaut werden sollen. Die USA reagieren scharf und bezeichnen das als "Gift für die Atmosphäre" zwischen Israel und den Palästinensern. Die internationale Gemeinschaft verurteilt solche Pläne. Schweden hat inzwischen Palästina als Staat offiziell anerkannt, in Großbritannien und Frankreich haben die Parlamente ihren Regierungen einen solchen Schritt empfohlen. Die UN brandmarken Israels Siedlungspolitik als illegal. Am 28.Oktober 2014 kündigt dann die israelische Regierung trotz internationaler Kritik den Bau von tausend weiteren Wohnungen im arabischen Teil von Jerusalem an. Zuvor hatten die rechtsradikalen Wirtschaftsminister Naftali Bennett und Wohnungsbauminister Uri Ariel Regierungschef Netanjahu mit einer Regierungskrise gedroht, sollte er Siedlungsvorhaben nicht freigeben, die aus diplomatischer Rücksicht gestoppt waren. Die internationale Gemeinschaft hält alle israelischen Wohnbauten im Westjordanland und in Ostjerusalem für illegal.

Jetzt hat der israelische Außenminister Avigdor Lieberman vor einem "diplomatischen Tsunami" gewarnt, sollte es in Nahost keine neuen Bemühungen um eine regionale Friedensregelung geben. Knapp drei Monate vor Neuwahlen in Israel sprach sich der sonst als rechtsradikal bekannte Politiker für neue Friedensgespräche mit den Palästinensern aus. Ohne Friedensvereinbarung mit den Palästinensern würden Israels Beziehungen zu Europa und den Vereinigten Staaten schweren Schaden erleiden, warnte der Vorsitzende der Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel). Dies könne auch Israels Wirtschaft gefährden. Lieberman macht solche Vorschläge nicht, weil er seinen offensichtlichen Hass auf die Palästinenser überwunden hätte: "Wir müssen eine diplomatische Vereinbarung treffen – nicht wegen der Palästinenser oder der Araber, sondern wegen der Juden". Lieberman reagiert auf zunehmenden und dringend gebotenen internationalen Druck. Hadas-Handelsman sollte sich ein Beispiel an dem aufkeimenden kleinen Fünkchen politischer Vernunft seines Chefs nehmen und den moralischen Zeigefinger schamhaft verstecken.

Aktuell hat Jordanien im Auftrag der Palästinenser einen Resolutionsentwurf in den UN-Sicherheitsrat eingebracht, der Israel eine Frist von zwölf Monaten zur Aushandlung eines dauerhaften Friedensabkommens mit den Palästinensern setzt. Angestrebt wird die Koexistenz zweier unabhängiger demokratischer Staaten mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Bis Ende 2017 soll Israel zudem sämtliche Truppen aus dem künftigen palästinensischen Staat abgezogen haben. Der Antrag ist leider knapp an einer Stimme gescheitert.

Jetzt beantragt Palästinenserpräsident Abbas die Mitgliedschaft beim Internationalen Gerichtshof. Mithilfe des Gerichtes hofft man, israelischen Siedlungsbau und angebliche israelische Kriegsverbrechen verhindern oder verfolgen zu können. In Israel befürchtet man dewegen, Armeeoffiziere, Politiker und Firmen, die im besetzten Westjordanland oder in Ostjerusalem agieren, könnten bald vor einem internationalen Tribunal angeklagt werden. Und vor allem die Rechtmäßigkeit der Siedlungen stünde dann nicht nur international infrage sondern würde durch das Gericht geprüft. Rein theoretisch könnte der IGH deren Räumung anordnen. Israel diffamiert denn auch die politische Initiative der Palästinenser als "diplomatische Intifada", denn Israel befürchtet mit Recht, dass es international nicht nur noch weiter isoliert wird sondern dass es wegen Kriegsverbrechen und Bruch internationalen Rechtes schuldig gesprochen wird.

Alle, die nicht aktiv für Frieden im Nahen Osten eintreten, machen sich schuldig, denn wenn die Spirale von Unterdrückung, Terror, Provokation und Gewalt nicht gebrochen wird, wird es viele weitere Tote geben und die Gewalt wird nie enden. Bei einer dritten Intifada gibt es erneut keine Sieger, sondern nur Verlierer und Schuldige auf beiden Seiten. Die internationale Gemeinschaft sollte alles tun, um die israelische Regierung von der friedensfeindlichen Siedlungs-Politik, die nur dem Machterhalt zu dienen scheint, abzubringen und dabei helfen, die israelische Bevölkerung vom Status und Image sowie von der Schuld eines „Besatzervolkes“ zu befreien.

"Ein gutes und solidarisches Verhältnis zu Israel war für die Bundesrepublik stets Maßstab ihrer Zivilisierung und demokratischen Reifung. Gäbe sie diesen Maßstab je auf, würde sie sich bald selbst nicht wiedererkennen", schreibt der Korrespondent Herzinger in der ZEIT. Das Ansehen des jüdischen Staates bei der deutschen Bevölkerung ist aber nicht ohne Grund drastisch gesunken. Und Solidarität sollten wir nur denen entgegenbringen, die aktiv für Frieden im Nahen Osten eintreten. Die die eine friedensfeindliche Siedlungs-Politik betreiben oder politisch unterstützen, haben die kritische Haltung der Europäischen Union verdient, der sich Deutschland vorbehaltlos anschließen sollte. Für erhobene moralische Zeigefinger fehlt Israel derzeit jegliche Berechtigung.

(02.01.2015)

 

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http://www.hansheinrichdieter.de/html/rechtsstaatisrael.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/friedensfeindlichesiedlungspol.htm

 

 

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