Hans-Heinrich Dieter

Kein Bedarf an mutiger Soldatin   (20.10.2017)

 

Eine mutige Soldatin hat im Juli in der „WELT“ einen offenen Brief an Kanzlerin Merkel geschrieben, Kritik an Verteidigungsministerin von der Leyen geübt und endet mit einer Bitte: „Ich bitte nun Sie, Frau Bundeskanzlerin, die Verantwortung, die von der Verteidigungsministerin bisher gekonnt abgewälzt wurde, zu übernehmen und Ihrer Truppe das zurückzugeben, was ihr in jüngster Zeit genommen wurde. Ihre Würde.“

In Medien habe ich vor einiger Zeit gelesen, dass diese mutige Soldatin, Hauptmann der Reserve Wencke Sarrach, inzwischen ausgeplant worden sein soll. Ich habe das nicht geglaubt, weil ich mir nicht vorstellen wollte, dass verantwortliche Offiziere zu einer solchen Maßnahme greifen würden und dass die Kritikfähigkeit der politischen Leitung in einem solch bedauerlichen Zustand sein könnte.

Nun hat der Deutsche Bundeswehrverband in der Zeitschrift „Die Bundeswehr“ bestätigt, dass Hauptmann d. R. Sarrach Ende August schriftlich mitgeteilt wurde, dass die Bundeswehr „absehbar keinen Bedarf“ mehr an ihren Reservedienstleistungen habe. Ähnlich ging es auch Korvettenkapitän d. R. Kerber, ein Wirtschaftsprofessor, der die Rüstungspolitik der Ministerin in einem Interview kritisiert hat. Die große Mehrheit der Soldaten wächst als mündiger Staatsbürger in Uniform mit der Inneren Führung auf und deswegen traue ich verantwortungsbewussten Vorgesetzten eine solche Fehlleistung aus eigenem Antrieb nicht zu. Deswegen ist mit hoher Sicherheit anzunehmen, dass die politische Leitung hinter solchen erschreckenden Maßnahmen steckt. Frau von der Leyen redet von Innerer Führung und hat ganz offensichtlich wegen der vielen Talk-Show-Verpflichtungen noch keine Zeit gefunden, diese militärische Führungsphilosophie gedanklich zu durchdringen. Es ist wie bei anderen Politikern, sie reden vom Primat der Politik gegenüber dem Militär und fordern diesen ständig vollmundig ein, ohne der damit verbundenen Verantwortung gerecht werden zu wollen oder zu können. Sollte die politische Leitung nicht hinter diesen Maßnahmen stecken, dann hat sie ja die Möglichkeit, solche Fehlleistungen zu korrigieren.

Wie auch immer, die Maßnahme der politischen Leitung unter Ministerin von der Leyen zeigt, dass Frau Sarrach ganz offensichtlich mit vielen ihrer kritischen Feststellungen Recht hat!

Deswegen zum Nachlesen:

 

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

Fälle wie der des Franco A. sind erschreckend, müssen geahndet und entsprechend bestraft werden. Daran besteht kein Zweifel.

Solche oder ähnliche Taten werden auch künftig nie hundertprozentig auszuschließen sein. Sie können von jedem Staatsbürger ausgehen, ob er Uniform trägt oder nicht. Bedauernswerterweise war Franco A. Soldat.

Daraus allerdings Rückschlüsse auf die gesamte Bundeswehr zu ziehen und diesen Einzelfall zum Anlass zu nehmen, das innere Gefüge und den Stolz der Truppe zu zerschlagen, gleicht dem politischen Vorgehen von Autokraten wie Erdogan. Genau das tut Verteidigungsministerin von der Leyen.

Soldaten wollen stolz sein auf ihre Führungskraft, sie wollen aufschauen, sich ein Beispiel nehmen können, sie suchen Halt und Orientierung. Dazu gehört auch, bei Gegenwind standhaft zu sein, sich schützend vor die anvertrauten Soldaten zu stellen.

Bei dem allerkleinsten Lüftchen, das von vorne kommt, macht unsere Ministerin aber lieber einen Sprung zur Seite. Nicht nur, dass sie die Hexenjagd nach dem Sündenbock billigend in Kauf nimmt, nein, sie unterstützt diese auch noch aktiv, indem sie Denunziantentum fördert. Und ein Generalinspekteur, der wie ein unmündiges Hündchen drei Schritte hinter der Ministerin läuft, lässt dies einfach geschehen.

Was die Soldaten – zu Recht – von einer Verteidigungsministerin erwarten können, ist nicht Aufklärung, sondern Führung! Da kann die Ministerin auch mit Kita-Plätzen, Umstandsmode für Soldatinnen und Flachbildfernsehern nicht wirklich punkten, wenn sie über die wichtigste Eigenschaft einer guten Führungskraft nicht verfügt: Charakter und Menschlichkeit.

Man muss schon wirklich gar kein Anstandsgefühl haben, wenn ein General von seiner vorzeitigen Entbindung nicht durch die Ministerin persönlich, sondern über die Medien erfährt. Aber das scheint – im Gegenteil – sogar Methode der Ministerin zu sein: zuerst die Presse, dann der Betroffene. Daran sollen sich die Soldaten nun ein Beispiel nehmen?

Wenn Frau von der Leyen noch immer glaubt, sie könne allein durch Weisungen, Anordnungen oder Verbote eine Armee führen, dann hat sie nach nunmehr dreieinhalb Jahren im Amt als Verteidigungsministerin noch nicht verstanden, worauf es ankommt.

Eine Armee, die kämpfen können soll, braucht einen starken Geist. Wie schon das königlich-bayerische Infanterieregiment wusste: „Der Geist der Truppe ist ihre Stärke.“ Nur wer sich diesen Geist bewahrt, ist auch in schwierigen Situationen in der Lage, seinem Eid nachzukommen und im Notfall sein Leben zu geben. Was ist das, dieser Geist? Was nährt, was stärkt ihn?

Zunächst einmal ist er nichts, was man befehlen kann. Korpsgeist entsteht dort, wo Kameradschaft praktiziert und gelebt wird, wo ein Kamerad dem anderen beisteht, zu ihm steht, wenn andere zweifeln, wo Vorgesetzte vor ihren Männern stehen, auch und gerade dann, wenn sie Fehler machen.

Aus einer solchen Verbundenheit, und nur aus einer solchen, erwächst Stärke und Kraft. Weil der Soldat weiß, dass er sich auf seinen Kameraden verlassen kann. Kameradschaft ist mehr als nur ein Teil dessen, was eine starke Armee ausmacht. Sie ist der Kern.

Dass auch bei Umfragen unter den Soldaten eben diese Kameradschaft immer wieder als das Besondere herausgestellt wird, scheint die Ministerin auch dann nicht zu interessieren, wenn es um das Thema Nachwuchswerbung für die Bundeswehr geht.

Statt mit diesem Alleinstellungsmerkmal zu werben, versuchen die Ministerin und ihre weichgespülten Berater junge Menschen mit Weiterbildungsmöglichkeiten und Familienfreundlichkeit zu ködern. Nach dem Motto: Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen wie jedes andere auch.

Das kann doch nicht richtig sein! Soldat sein ist gerade kein Beruf wie jeder andere. Er ist – und bleibt – etwas Besonderes. Ein Soldat muss im Ernstfall sein Leben riskieren, allein das unterscheidet ihn schon von allen anderen.

Oder auch das folgende Zitat der Ministerin: „Mein Ziel ist es, die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu entwickeln.“ Diese Aussage ist schlicht falsch! Die Bundeswehr ist bereits attraktiv genug. Sie verkauft sich nur schlecht, und sie hat ein Imageproblem durch mangelndes Selbstbewusstsein.

Fragt man den „Beauftragten für die Kommunikation der Arbeitgebermarke Bundeswehr“, warum nicht das Thema Kameradschaft bei Werbemaßnahmen im Vordergrund steht, bekommt man zu hören, dass es schwierig sei, dieses Gefühl rüberzubringen.

Es ist nur dann schwierig, etwas glaubhaft unter die Menschen zu bringen, wenn man es selbst nicht versteht und es nicht nachempfinden kann, weil man es selbst nie erlebt hat.

Wenn der innere Kreis der Ministerin hauptsächlich aus Ungedienten besteht, ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Bundeswehr mit ihrer Zielgruppenansprache komplett danebenliegt und den Nerv eines potenziellen Soldaten nicht trifft.

Die Ministerin spricht hingegen vom großen Erfolg der Marketingkampagne. Warum trudelt dann plötzlich eine Weisung nach der anderen in den Karrierecentern der Bundeswehr ein, die Tauglichkeitskriterien in einigen Bereichen deutlich nach unten zu schrauben?

Warum sollen dann die, die schon bei der Bundeswehr sind, länger bleiben? Die Überlegung, zukünftig auch EU-Ausländer für den Soldatenberuf zu gewinnen, war in diesem Zusammenhang sicherlich die größte Verzweiflungstat der Ministerin.

Im Traditionserlass der Bundeswehr von 1982 heißt es: „Tradition ist die Ãœberlieferung von Werten und Normen. Sie bildet sich in einem Prozess wertorientierter Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Tradition verbindet die Generationen, sichert Identität und schlägt eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft. Tradition ist eine wesentliche Grundlage menschlicher Kultur, sie setzt Verständnis für historische, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge voraus.“

Anstatt wie im Traditionserlass beschrieben vorzugehen und eine wertorientierte Auseinandersetzung mit der Wehrmacht anzustoßen, wird eine Debatte von unserer Verteidigungsministerin bereits im Keim erstickt. Oder sind Kasernenrazzien eine kritische Auseinandersetzung mit unserer Geschichte? Dass Wehrmacht und Nationalsozialismus nicht dasselbe sind, scheint auch nicht wichtig zu sein.

Dass die Bundeswehr von ehemaligen Wehrmachtssoldaten gegründet wurde, dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus aus den Reihen der Wehrmacht kam, scheint keine Rolle zu spielen, wenn die weiße Weste der Ministerin schmutzig zu werden droht.

Lieber wieder einen General entlassen oder gegen einen Offizier ermitteln, statt selbst die Verantwortung zu übernehmen. Die Frage ist: Was kommt als nächstes? Die öffentliche Verbrennung des Liederbuchs der Bundeswehr?

Freie Meinungsäußerung ist in der Amtszeit von Frau von der Leyen nur noch etwas für Drachenbezwinger. Es regiert die Angst. Die Angst davor, negativ aufzufallen. Die Angst davor, morgen zu jenen zu gehören, die in Missgunst gefallen sind. Auf diese Weise erzieht die Ministerin ihre Soldaten zu stromlinienförmigen Opportunisten, die ihren Mund nur noch aufmachen, um „Jawohl, Frau Ministerin“ zu sagen. Vom so geförderten Denunziantentum ganz zu schweigen. So nutzt Frau von der Leyen die loyale Staatstreue des Soldaten gnadenlos aus. Sie tut es, weil sie keinen Widerstand aus den Reihen der Soldaten erwartet. Was sie stattdessen erwartet, ist blinder Gehorsam.

Der willenlose, total funktionierende Erfüllungsgehilfe war aber noch nie das Idealbild des deutschen Soldaten. Schon der Portalspruch der Hauptkadettenanstalt Berlin-Lichterfelde lautete einst: „Der preußische Gehorsam ist der einer freien Entscheidung, nicht der einer unterwürfigen Dienstwilligkeit.“

Gewiss, Loyalität gegenüber dem Vorgesetzten ist für Soldaten seit jeher Teil ihres Verhaltenskodex, aber nicht bis zur Selbstverleugnung. Ehre ist ein Gut, das ein Soldat stets bei sich trägt, und nicht etwas, was er einem anderen zur Aufbewahrung anvertraut. Grundlage des Handelns jedes Soldaten bildet die Innere Führung.

Als mündiger Staatsbürger in Uniform ist es seine Pflicht, selber zu denken und nicht blind zu folgen. Die Bundeswehr kennt keinen unbedingten Gehorsam. Die letzte Entscheidungsinstanz jedes Einzelnen bleibt sein Gewissen.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, als Soldatin, aber auch als liberal-konservativ denkender Mensch bedaure ich zutiefst, dass sich durch das Verhalten der Ministerin die große CDU-Stammwählerschaft innerhalb von aktiven und ehemaligen Soldaten aufzulösen beginnt.

Eine Verteidigungsministerin, die die ihr anvertrauten Soldaten unter Generalverdacht stellt, ihnen ein Führungs- und Haltungsproblem vorwirft, ihnen mangels Vertrauen einen Maulkorb verpasst, Rufschädigung einzelner Soldaten betreibt, die ganze Karrieren zerstört und die Verantwortung immer ausschließlich bei anderen sucht, hat die Truppe nicht verdient.

Die Ministerin schadet mit ihren Säuberungsmethoden der Moral und der Leistungsbereitschaft der Truppe und gefährdet damit in höchstem Maße die Sicherheit und Freiheit unseres Landes.

Ich bitte nun Sie, Frau Bundeskanzlerin, die Verantwortung, die von der Verteidigungsministerin bisher gekonnt abgewälzt wurde, zu übernehmen und Ihrer Truppe das zurückzugeben, was ihr in jüngster Zeit genommen wurde. Ihre Würde.

Hochachtungsvoll,

Wencke Sarrach

 

Bei Interesse lesen Sie auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/20-juli-2017.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/erfolgloseverteidigungsministe.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/einsatztauglichebundeswehr.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/kritikanderibuk.html

 

 

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