Hans-Heinrich Dieter

Klartext einer mutigen Volksvertreterin (14.12.2011)

 

Deutschland hat im Norden Afghanistans die Verantwortung für die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung übernommen. Die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung ist nur zu gewährleisten, wenn man in der Lage ist, die Bürger vor dem Terror der Taliban zu schützen. Die Bürger vor den Taliban schützen heißt, die islamistischen Terroristen wirksam zu bekämpfen. Dazu war die Bundeswehr im Norden Afghanistans, ihrem Verantwortungsbereich, aufgrund rechtlicher Rahmenbedingungen, fehlender Kampftruppen, unzureichender Aufklärungskapazität, mangelhafter Luftbeweglichkeit, fehlender eigener Luftnahunterstützung durch Kampfhubschrauber und fehlender luftbeweglicher Rettungskapazität nicht befähigt.

Erst mit dem Einsatz der US-Hubschrauberbrigade, umfangreicher US-Kampftruppen und Spezialkräften, sowie amerikanischer Hochwertsysteme zur Aufklärung im deutschen Verantwortungsbereich hat sich die Sicherheitslage im Norden Afghanistans deutlich verbessert. Die Taliban konnten zurückgedrängt werden und dank des US-Engagements hat die Bevölkerung in Teilen des Nordens Afghanistans wieder Vertrauen in den Schutz durch die internationale Staatengemeinschaft gewonnen. Aber die US-Streitkräfte in Afghanistan werden drastisch reduziert, auch im deutschen Verantwortungsbereich. Das wird auch Hubschrauber, Kampftruppen, Spezialkräfte und dringend benötigte Hochwertsysteme betreffen.

General a.D. Egon Ramms sagte neulich der Süddeutschen in einem Interview: "Wenn die Amerikaner im Norden abziehen, dann stehen die Deutschen mit ziemlich kurzen Röckchen da." Diese in die nahe Zukunft reichende Prognose beschreibt die Probleme deutscher Sicherheitspolitik in einem Satz sehr treffend. Nüchterne , an der Realität orientierte Lagefeststellungen sind wichtig und werden leider zu selten öffentlich. Wichtiger sind allerdings sicherheitspolitische Maßnahmen, die Probleme einer Lösung zuführen.

Für die Sprecherin der FDP im Verteidigungsausschuss Elke Hoff, die sich intensiv um die Bundeswehr im Afghanistaneinsatz kümmert und die Lage vor Ort durch mehrere Besuche gut kennt, ist die sich entwickelnde Lage offenbar schwer erträglich und das Maß jetzt voll. Dem ARD-Hauptstadtstudio sagte Hoff: “Wenn ab September nächsten Jahres keine Rettungshubschrauber mehr zur Verfügung stehen, bedeutet das für mich, dass ich nur sehr schwer einer Verlängerung des Mandates zustimmen kann, weil unsere Soldaten müssen die Sicherheit und die Gewissheit haben, dass sie in schwierigen Lagen auch gerettet werden können."

Diese klare verantwortungsbewusste Ansage sollte von den deutschen Sicherheitspolitikern ernst genommen werden. Denn so falsch es wäre, der in Afghanistan durch Deutschland übernommenen politischen Verantwortung nicht mehr gerecht werden zu wollen, so falsch wäre es auch, die Soldaten der Bundeswehr unter "kriegsähnlichen Bedingungen" den Kampf gegen die Taliban führen zu lassen, ohne sie dafür personell und materiell zu befähigen.

Noch sorgen die USA mit ihren “Blackhawk”-Helikoptern dafür, dass verwundete Soldaten schnellstmöglich vom Gefechtsfeld ins Lazarett gebracht werden. Noch wird die dringend benötigte Luftnahunterstützung mit Kampfhubschraubern fast ausschließlich durch die amerikanischen Truppen geleistet. Ohne die amerikanischen Kampftruppen wäre es nicht möglich, Regionen aus denen die Taliban mit viel Mühe vertrieben wurden, zu behaupten. Spätestens im Herbst 2012 werden diese Kräfte stark reduziert sein. Und die Taliban werden in das entstehende Vakuum hineinfließen und ihren Terror verstärken, denn sie wissen, dass die Deutschen keinen Ersatz für die kriegstüchtigen US-Truppen und ihre kriegswirksame Ausrüstung zu bieten haben. Und die Taliban wissen genau, wann und wo auch Deutschland aus innenpolitischen Gründen Kampf-Truppen reduziert. Und die Taliban wissen auch, wann Deutschland frühestens Hubschrauber des Typs NH-90 und den Tiger in Afghanistan in geringen Stückzahlen zum Einsatz bringen können.

Die Taliban freuen sich wahrscheinlich auf den Frühherbst 2012 im Norden Afghanistans.

MdB Hoff fordert sehr zu Recht Maßnahmen, um den deutschen Soldaten die erfolgreiche Auftragserfüllung mit möglichst geringem Verlustrisiko zu ermöglichen. Aber selbst wenn der Deutsche Bundestag versuchen wollte, diese berechtigten Forderungen zu realisieren, tut sich ein Füllhorn von Dilemmata auf. Die Hubschrauber sind nicht zeitgerecht in der erforderlichen Zahl in Afghanistan einsatzbereit verfügbar und das für den Betrieb der Hubschrauber benötigte Personal würde die bisher ins Auge gefassten Personalobergrenzen des Afghanistan-Kontingentes sprengen - in das Wahljahr 2013 hinein.

Das alles ist sehr peinlich. Wenn eine europäische Mittelmacht mit der Wirtschaftskraft Deutschlands sicherheitspolitische Verantwortung übernimmt, dann muss sie auch der Verantwortung gerecht werden. Wenn ein Staat aufgrund falscher Lagebeurteilung glaubt, seine Soldaten in einen Stabilisierungseinsatz zu schicken, dann aber feststellen muss, dass die Soldaten ihren militärischen Auftrag unter "kriegsähnlichen Bedingungen" - wenn nicht gar im Krieg - erfüllen müssen, dann muss der verantwortliche Staat schnellstmöglich die personellen und materiellen Rahmenbedingungen für die Auftragserfüllung unter Kriegsbedingungen schaffen. Der verantwortlichen politischen Leitung und der militärischen Führung verbieten sich dann Verfahren nach "business as usual". Und Sicherheitspolitik nach innenpolitischem Kalkül wird der Verantwortung für die eingesetzten Soldaten nicht gerecht. Im Hinblick auf Besserung darf man skeptisch sein.

Trotzdem ist es gut, dass Frau Hoff einen mutigen Anstoß gegeben hat. Die Truppe im Einsatz weiß das sicher zu schätzen, denn in der Bevölkerung hat sie ja keine Lobby. Da viele Volksvertreter sich am Bauch der Bevölkerung orientieren, wird es spannend sein zu beobachten, wie der Bundestag mit den anstehenden Problemen in Afghanistan umgeht. Die am Freitag anstehende Regierungserklärung und die anschließende Aussprache im Bundestag werden leider wohl keinerlei Lösungsansätze bieten. Hier geht es dann wieder hauptsächlich um Zahlen, Obergrenzen und Verfahrensfragen, weniger um das Wohl der afghanischen Bevölkerung und der deutschen Staatsbürger im Einsatz.

(14.12.2011)

 

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