Hans-Heinrich Dieter

Neue Antisemitismus-Diskussion   (24.09.2017)

 

Das Bundeskabinett hat am 20.09.2017 in Berlin einer Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) zugestimmt, die in ihrer Erläuterung auch eine pauschale Israelkritik als Judenhass ansieht. Die Bundesregierung fördert eine Reihe von Antisemitismus-Projekten, denn es ist schon richtig, dass man aufgrund unserer Geschichte den Kampf gegen Judenhass als Teil der deutschen Staatsräson verstehen kann.

Die neue Definition ist rechtlich nicht bindend. Sie soll aber künftig Richtschnur für die Arbeit Deutschlands in internationalen Organisationen sein und auch „in der Schul- und Erwachsenenbildung zur Anwendung kommen“.

In der Definition heißt es im Wortlaut: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“ Soweit so gut.

Es heißt - Israel betreffend - aber weiter: „Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“ Und diese Formulierung ist problematisch, weil dringend zu befürchten ist, dass Kritik an Israelischer Regierungspolitik als Judenhass diskriminiert wird. Die verkommene Debattenkultur in Deutschland und auch die Art und Weise, wie Netanjahu und seine rechtsradikale Regierungsmehrheit auf berechtigte Kritik der internationalen Gemeinschaft oder auch der EU reagieren, liefern Gründe genug für diese Befürchtung.

Problematisch ist auch der Ansatz, dass der Staat Israel als „jüdisches Kollektiv“ verstanden werden soll. Mit dieser undeutlichen, schwammigen Formulierung will man offensichtlich die derzeitigen Bestrebungen der israelischen Regierung verschleiern, Israel zukünftig als „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ verfassungsmäßig zu verankern, um den „jüdischen Charakter Israels“ zu zementieren und um dem „jüdischen Recht“ einen höheren Stellenwert zu geben. In diesem Zusammenhang soll Arabisch als zweite offizielle Sprache Israels abgeschafft werden. Das muss von den 1,6 Millionen arabischen Bürgern Israels, die heute schon nicht in allen Lebensbereichen dieselben Rechte genießen wie jüdische Israelis, als eine weitergehende Diskriminierungsabsicht und als ein Angriff auf die israelische Demokratie verstanden werden. Ein „Nationalstaat des jüdischen Volks“ verhindert außerdem die Rückkehr oder Entschädigung der Palästinenser – bzw. deren Nachkommen - die bei der Staatsgründung Israels vertrieben wurden. Von Kritikern wird deswegen nicht zu Unrecht der Vorwurf des Rassismus mit einer Zukunft Israels als „Apartheidsstaat“ erhoben.  Generalstaatsanwalt Jehuda Weinstein warnte deswegen auch eindringlich vor einer „Schwächung des demokratischen Charakters Israels“.

Mit der Zustimmung zu dieser Definition - einschließlich des Begriffs des „jüdischen Kollektivs“ - greift Deutschland in die innenpolitische Debatte Israels um seine Zukunft als „jüdischer und demokratischer Staat“ oder als „jüdischer Staat“ zugunsten der Absicht Netanjahus, einen „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ zu schaffen, zum Nachteil der arabischen Bürger Israels ein. Deswegen ist zu hoffen, dass das neugewählte deutsche Parlament sich mit dieser Definition kritisch und eingehend auseinandersetzt und zu einer richtigen und rechtsstaatlich begründeten Entscheidung kommt. Außerdem sollte die deutsche Legislative in der Lage sein, eine Definition zu verabschieden, die in Deutschland den Kampf gegen Antisemitismus unterstützt, da muss man doch nicht auf eine interessengeleitete Definition eines internationalen Vereins zurückgreifen.

In der WELT heißt es zur Antisemitismus-Definition: „Die Definition macht klar, dass die Dämonisierung Israels ebenso antisemitisch ist wie der Versuch, alle Juden haftbar zu machen für die Politik Jerusalems; dass Worte und Handlungen, die geeignet sind, Juden einzuschüchtern, als antisemitisch einzustufen sind.“ Hier feiert der deutsche Mainstream schon unfröhliche Urstände. Berechtigte Kritik an Israel wird dann leicht und locker als „Dämonisierung Israels“ verunglimpft, die Kritiker werden dann in die rechtsradikale Ecke verbannt. Und einer berechtigten Kritik an der Politik der rechtsradikalen/nationalistischen /ultraorthodoxen israelischen Regierung wird der Versuch unterstellt, „alle Juden haftbar zu machen.“ Nicht alle, aber die Mehrheit der israelischen Bevölkerung hat in einer demokratischen Wahl die Bildung dieser Regierung mit Politikern möglich gemacht, denen die „etablierten“ Politiker in Deutschland den Handschlag verweigern würden.

Im deutschen Grundgesetz heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, Rasse, Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Das ist eine gute Grundlage, auf der wir dem ersten Teil der Definition zustimmen können, wenn wir keine eigene Definition zustande bekommen.

Bundeskanzlerin Merkel hat das Existenzrecht Israels als Teil deutscher Staatsräson bezeichnet. Dabei ist sicher das Israel der Unabhängigkeitserklärung als „jüdischer und demokratischer Staat“ gemeint, in dem alle Bürger unabhängig von Religion, Rasse und Herkunft vor dem Gesetz gleich sind. Wenn sich Israel, durch Ausgrenzung oder Benachteiligung der arabischen Bürger Israels, zu einem Staat mit stark eingeschränkter Demokratie entwickeln sollte, muss Deutschland seine Politik gegenüber Israel neu definieren.

(24.09.2017)

 

Bei Interesse lesen Sie auch;

http://www.hansheinrichdieter.de/html/netanjahugegenfrieden.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/vorbildisrael.html

 

 

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