Hans-Heinrich Dieter

Opfer oder Täter?   (20.08.2013)

 

Die EU-Außenminister wollen morgen zu einer gemeinsamen Linie gegenüber Ägypten finden. Ob das in der Europäischen Union mit den vielfältigen - teilweise absurde spanisch-britische Züge annehmenden - nationalen Interessen substantiell gelingt, ist fraglich. Wahrscheinliches Ergebnis ist ein flacher Kompromiss im Sinne eines unverbindlichen Aufrufs zum Gewaltverzicht und zum nationalen Dialog, der die ägyptische Regierung und auch die Muslimbrüder nicht nachhaltig beeindrucken wird.

Natürlich kann man Rüstungsexporte überdenken oder stoppen. Die EU kann auch versuchen auf die USA einzuwirken, damit die Militärhilfe reduziert oder auch an Bedingungen geknüpft wird. Es wäre sicher auch gut, alle EU-Finanzhilfen an klar definierte und auch vereinbarte Bedingungen zu knüpfen. Auch Entwicklungshilfeprojekte müssen auf den Prüfstand. Humanitäre Hilfe muss allerdings dem Bedarf der geschundenen ägyptischen Bevölkerung entsprechend geleistet werden.

Für die EU ist es aber sehr schwer, wirklich verbindliche und wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen. Denn zum einen ist Israel sehr zufrieden mit den Aktionen der Übergangsregierung. Ausbleibende finanzielle EU-Hilfe könnte relativ problemlos durch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate übernommen werden. Auch Qatar steht bereit, um Einschränkungen bei der US-Militärhilfe auszugleichen. Und Russland könnte die Situation nutzen, um einen Fuß in das wichtige Land in Nordafrika zu bekommen. Bei aller Verurteilung von Gewalt sollte der Blick für Realpolitik nicht verstellt werden.

Und bevor man über wirkungsvolle Maßnahmen entscheidet, sollte die EU möglichst einvernehmlich definieren, wer Täter und wer Opfer ist. In vielen westlichen Medien werden die Muslimbrüder inzwischen zu Opfern einer brutalen Militärregierung stilisiert. Natürlich war Mursi der gewählte Präsident. Aber er hat mit seiner den Islamismus fördernden Verfassung, mit dem eklatanten Machtzuwachs der Muslimbrüder und der Islamisten und mit der katastrophalen Misswirtschaft die ägyptische Bevölkerung verängstigt und massenweise gegen sich und die Muslimbrüder aufgebracht. Viele ägyptische Frauen unterstützen offen und uneingeschränkt die ägyptischen Sicherheitskräfte, weil sie sich vor der islamistischen Unterdrückung durch die Muslimbrüder existentiell fürchten. Die koptischen Christen unterstützen die Übergangsregierung, weil sie Angst haben vor der brutalen Gewalt der Islamisten, die sich nicht erst in dieser Woche in zahlreichen Brandschatzungen von christlichen Kirchen und Einrichtungen entlädt. Im Sinai sind inzwischen 15 islamistische Gruppierungen tätig und verbreiten mit Terror Angst und Schrecken. 25 Polizisten sind die jüngsten Opfer eines islamistischen Massakers auf dem Sinai.

Täter sind also nicht nur übergriffige ägyptische Sicherheitskräfte, sondern in starkem Maße auch Muslimbrüder und Islamisten, die alles andere wollen als ein demokratisches Ägypten nach unseren Vorstellungen. Opfer sind die ägyptischen Menschen, die unter den Menschenrechtsverletzungen beider Tätergruppen zu leiden haben, die von der stark eingeschränkten Wirtschaftskraft betroffen sind und die verfolgt werden und in dieser muslimischen Republik ständig um ihr Leben fürchten müssen. Diese Menschen brauchen die Unterstützung der EU. Dafür sollten verbindliche und wirkungsvolle Maßnahmen ergriffen werden.

Aufrufe zum Gewaltverzicht sind derzeit müßig. Der Gewalt der Muslimbrüder ist nur mit staatlicher Gewalt zu begegnen. Im Sinai hat der ägyptische Staat die Kontrolle teilweise verloren. Die dort agierenden Terroristen und Islamisten sind nur mit staatlicher Gewalt zu bezwingen - möglicherweise unterstützt durch Israel. Und das Leben der Kopten sowie die christlichen Einrichtungen müssen durch gewaltbereite Sicherheitskräfte beschützt werden, weil dem tiefsitzenden islamistischen Hass auf die andersgläubigen Mitbürger wohl nicht anders zu begegnen ist.

Aufrufe zum Dialog erscheinen derzeit nicht erfolgversprechend, dazu ist die Spaltung der Gesellschaft zu ausgeprägt. Außerdem fehlt es an demokratischer Diskussionsbereitschaft und -kultur. Deswegen bleiben auch gut gemeinte Vermittlungsversuche erfolglos. Die ägyptische Bevölkerung muss ihren Weg alleine, möglicherweise auch mit Unterstützung anderer muslimischer Staaten, finden. Dazu muss es im Herbst Neuwahlen geben. Danach kann sich Ägypten konsolidieren und westliche Geschäftsleute können wieder investieren, wenn sie die Lage für aussichtsreich genug halten.

Aktive politische Vermittlung sollte die westliche Welt nur auf ausdrücklichen Wunsch und nach formeller Einladung durch Ägypten leisten. Die Muslime wollen nicht nach unserer Fasson selig werden und wenn wir uns aufdrängen, werden wir - wie schon im Irak, in Afghanistan, in Syrien.... - scheitern.

(20.08.2013)

 

 

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