Hans-Heinrich Dieter

Politische Marktschreier   (04.11.2013)

 

Für Bürger, die davon ausgehen, dass sie mit ihrer Stimme Bundestagskandidaten und Parteien Verantwortung dafür übertragen haben, dass baldmöglich eine stabile Bundesregierung auf der Grundlage eines plausiblen Koalitionsvertrages die Geschicke Deutschlands zum Wohle der Bürger kraftvoll in die Hände nimmt, sind die derzeitigen Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD nur schwer erträglich. Das liegt an der Organisation der politischen Veranstaltung und Entscheidungsfindung, an der Zeitplanung und am Verhalten der politischen Akteure.

Die 75 Teilnehmer der Verhandlungen zur Festlegung der künftigen Bundespolitik tagen in großen und kleinen Arbeitsgruppen, sowie dann alle gemeinsam in großer Runde. Dabei verhandeln nicht nur die Spitzenvertreter der Parteien und Fachleute, sondern auch Landespolitiker und "Externe" wie der Präsident des Europäischen Parlaments Schulz. Diese schwierig zu kontrollierende politische Gemengelage aus Bund und Ländern, Exekutive und Legislative ist neu, und es fehlen an sich nur noch Vertreter des Bundesverfassungsgerichtes, um sich schon einmal im Hinblick auf spätere Klagen sachkundig zu machen. Dass es unter diesen Rahmenbedingungen nicht zügig zu Ergebnissen kommt und Kompromisse aufgrund der vielfältig gelagerten Interessen nur sehr schwer zu finden sind, wundert nicht. Und das monströse Vorhaben wird zusätzlich erschwert durch politische Marktschreierei. Jeder, der auf sich hält - und das sind eigentlich alle - äußert sich auf dem "Markt" schon vor den Verhandlungen dazu, was alles nicht verhandelbar ist, wie "Augenhöhe" zwischen den eindeutigen Wahlgewinnern und den unzweideutig weit abgeschlagenen Wahlverlierern zu herrschen hat, weil ja der Wähler die SPD mit ihrem zweitschlechtesten Wahlergebnis in der Geschichte vermeintlich mit dem "Politikwechsel" beauftragt hat. Dadurch werden die Schützengräben ausgehoben, aus denen man später nicht mehr so richtig mutig aussteigen will und kann.

Diese politische Marktschreierei dient deswegen auch nicht der Sache und zukünftiger, tragfähiger Politik zum Wohle Deutschlands, sondern der Selbstdarstellung der mehr oder weniger "billigen Jakobs", der Beruhigung oder Täuschung der Anhänger und dem Parteiprestige. Dabei führt die stark ausgeprägte Eitelkeit von Parteipolitikern aller Couleur dazu, dass kaum ein Mikrofon ausgelassen wird und es ist ein Missstand unserer „Mediendemokratie“, dass politische Ideen sofort auch „medienwirksam“ vermarktet und in Talkshows zerredet werden, bevor sie überhaupt in den Koalitionsforen hinreichend diskutiert werden können. Darüber hinaus werden politische Fragestellungen und Probleme in kleinsten Details diskutiert, um sich rückzuversichern und möglichst schon die Politik der Legislaturperiode bis in Winkelzüge festzulegen, anstatt gemeinsame Ziele in den Politikfeldern zu vereinbaren, auf die gemeinsam hingearbeitet werden soll.

Angesichts solcher Verhältnisse fragt man sich, warum Parteitage und Konvente Vorsitzende, Vizevorsitzende, Präsidien, Delegierte etc., etc., etc..- wählen, und Programme verabschieden, wenn diese "Würdenträger" auf der Grundlage der Programme offensichtlich nicht entscheidungsfähig und befugt sind, Kompromisse zu schließen. Wenn entscheidungsfähige, sachkundige und befugte Politiker sich in kompetenter Runde zu vertraulichen Gesprächen zusammenfänden, deren Inhalt auch bis zum Vorliegen gemeinsam getragener Ergebnisse vertraulich bliebe, wäre der Kultur unserer Demokratie und der Politik wirklich gedient und Zeitplanungen könnten in vernünftigem und erträglichem Rahmen gehalten werden. Zu solchen vernünftigen Ansätzen wird es mit den derzeit handelnden Politikern nun leider nicht mehr kommen.

Vielleicht führt der gewählte monströse Ansatz ja doch irgendwann zu einem Zwischenergebnis. Und dann wird es ganz schwer. Über das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen sollen dann die "verängstigten", oft bauchgesteuerten und teilweise stark "angeleiteten" SPD-Mitglieder entscheiden. Landesvorsitzende wie Kraft haben ja die Partei schon stark gegen die Große Koalition mobilisiert und haben jetzt alle Hände voll zu tun, ihr Geschwätz von gestern in das Gegenteil zu ändern. Ganz linke SPD-Verantwortliche wie der Schleswig Holsteiner Stegner haben ja schon aufgezeigt, dass nur der "Kompromiss", der den Politikwechsel à la SPD festschreibt, ein tragfähiger Kompromiss ist. Ein politisches Leichtgewicht wie Kahrs hat ja schon sehr deutlich gemacht, dass die Ressortverteilung zwischen CDU/CSU und SPD 50:50 zu sein hat, um zustimmungsfähig zu sein. Sollte das Ergebnis anders sein, wird er die SPD-Mitglieder in den Rotlichtvierteln seines Wahlbezirkes Hamburg-Sankt Georg schon in seinem Sinne mobilisieren. Er hat auch wenig zu verlieren, denn ein Ministeramt traut ihm wohl keiner in der SPD-Führung zu. Und wenn eine Mehrheit der SPD-Mitglieder sich gegen eine Große Koalition entscheidet, dann haben sich die Möchte-gern-Koalitionäre noch etwas besser kennengelernt und es geht zurück auf LOS. Dann erwecken wir in Europa und der Welt den Eindruck italienischer Verhältnisse.

Die Politiker aller Parteien haben es sehr schwer, Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurückzugewinnen. Das Versagen von Politikern in Aufsichtsräten ist zu offenkundig und ein zu häufiges Phänomen. Die Politiker verschleißen sich wegen der ständigen Wahlkämpfe aufgrund unseres unausgewogenen ausgeuferten föderalen Systems in einer Zeit, wo globale Probleme globale und nicht kleinstaatliche Lösungen fordern. Verfahren gegen Politiker wie Wulff und von Klaeden wegen Vorteilsnahme schaden dem Ansehen massiv. Und SPD-Politiker wie Kurt Beck, der sich in die Krankheit flüchtet, aber natürlich seinen Aufsichtsratsposten beim ZDF behält und sich dann als Lobbyist bei Böhringer verdingt, zeigen den Bürgern, worum es vielen Politikern wirklich geht und sie wenden sich ab mit ziemlichem Grausen. Die Erweiterung des Bundestagspräsidiums ist da Wasser auf die Mühlen. Unter diesen Rahmenbedingungen und Glaubwürdigkeitsdefiziten wird es den politisch Verantwortlichen nur schwer gelingen, das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen.

Viele Politiker in Deutschland beklagen solch stark eingeschränktes Vertrauen und auch mangelnden Respekt der Bürger gegenüber den Volksvertretern und Parteifunktionären. Tatsächlich rangieren die Politiker an letzter Stelle der Beliebtheitsskala der Berufsgruppen. Statt sich zu beklagen, sollten unsere Politiker alles dafür tun, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und sich den Respekt der Wähler nicht durch parteitaktische Spielchen und ausufernde Rückversicherungen zu verscherzen, sondern durch Leistung zu verdienen. Der Auftakt der Legislaturperiode ist diesbezüglich bisher denkbar schlecht gelaufen.

(04.11.2013)

 

 

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