Hans-Heinrich Dieter

Restrisiko (01.04.2011)

 

Die Welt schlägt sich auf die Schenkel, die Champagnerkorken knallen, die größte Wirtschaftsmacht Europas schafft sich in mehrfacher Hinsicht selbst ab und das ist doch Grund zur Feier für schadenfreudige Nachbarn und Neider. Deutsche Stimmungsdemokraten, Wutbürger und Dagegen-Menschen interessiert das wenig, ihnen ist das geringstmögliche Restrisiko für ihren kleinen niedlichen Gartenzwerg wichtig.

In Krisen erweisen sich deutsche Politiker als hektisch Getriebene, von Stimmungen, Umfragewerten und Beliebtheitsskalen beeinflusste Populisten ohne erkennbare Prinzipien, Grundsätze , Perspektiven und politische Visionen. Ein alterndes Volk mit solchen Politikern in Verantwortung hat in den Augen unserer Nachbarn, Alliierten und Handelspartner wenig Zukunft.

In der Außenpolitik ist Deutschland nicht geübt und ohne Grundlagen. Deutschland hat weit über die Wiedervereinigung hinaus keine eigenständige Politik betrieben, von einer selbstbewussten Politik ganz zu schweigen. Das lag natürlich auch teilweise am sehr schlechten und wenig gebildeten Personal. Selbstbewusstsein setzt voraus, dass eine Nation genau weiß, welche Ziele essentiell sind und keine Kompromisse zulassen. Gleichermaßen muss man wissen, wo außenpolitisch Kompromisse im Hinblick auf Solidarität, Bündniszugehörigkeit und Ansehen in der Welt einzugehen sind. Ein solches Zielsystem hat Deutschland für die Bürger und interessierten Nachbarn nicht definiert und da wundern sich unsere Partner an sich nicht, dass Deutschland ein unsicherer, risikoscheuer und schwer einschätzbarer Kantonist ist.

Deutschland ist im Hinblick auf rationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik durch seine teilweise schlimme Geschichte beeinflusst. Das verstehen unsere Nachbarn, Verbündeten und sogar die Neider ganz gut. Aber alles hat natürlich seine Grenzen. Vollmundige Verbalpolitik muss irgendwo mit praktischem, gegebenenfalls auch militärischem Handeln korrelieren. Hier scheut Deutschland nahezu jedes Risiko.

Die Sicherheitspolitik Deutschlands ist dementsprechend ein Desaster. Die Vereinigung liegt hinter uns und wir haben Hunderte von Milliarden in die Hinterlassenschaften des bankrotten Vorzeigeobjektes des real gelebten Sozialismus´, DDR, investiert. Gleichzeitig haben wir in der Verteidigungspolitik und in der militärischen Beschaffung am kalten Krieg festgehalten, obwohl Schröder Putin - freilich aus geschäftlichen Gründen - als lupenreinen Demokraten bezeichnet hat. In der Überwindung des gewonnenen kalten Krieges rüstet sich Deutschland aus wenig nachvollziehbaren Gründen immer noch gegen nicht zu begründende Risiken und verschwendet Milliarden. Solche Alliierten mit derartigen Risikobewertungen werden mit Recht von Nachbarn und Freunden weniger ernst genommen, insbesondere dann, wenn in internationalen Krisen konkret Flagge zu zeigen ist.

Die deutschen Risikobewertungen im Zusammenhang mit der globalen Finanzkrise und den europäischen Rettungsaktionen werden von den europäischen Nachbarn heftig kritisiert und dann widerwillig akzeptiert, also sind sie richtig. Da geht es aber auch für den Normalbürger um Steuergelder, deren Verwendung plausibel erklärt werden muss.

Nun kommt Fukushima und jegliche Negativannahme zur Risikofähigkeit der deutschen Bevölkerung und damit der verantwortlichen Politiker bestätigt sich. Fukushima ist in Deutschland. Die Not der Bevölkerung durch Erdbeben und Tsunami scheint weniger interessant, denn da gibt es ja einen "Super-GAU", den es zu bekämpfen gilt, da ist "Kernschmelze" - egal ob dokumentiert oder nicht, Hauptsache Quote - da gibt es im fernen Japan ja unverantwortliche Informationspolitik, nicht alle Informationen stimmen offensichtlich im Chaos von mehreren Katastrophen, eine unglaubliche Nachlässigkeit der japanischen Behörden und des miesen Betreibers TEPCO. Fukushima ist direkt und unmittelbar in Deutschland. Wir müssen handeln, sofort. Das sehr ferne Fukushima ist so direkt mitten in Deutschland, dass alles was wir bisher für richtig und gesetzeswürdig gehalten haben, plötzlich nicht mehr gelten soll. Fukushima ist direkter unter uns Deutschen als unter den Japanern in OSAKA und beeinflusst massiv deutsche Landtagswahlen. Das gezielt verängstigte deutsche Stimmungsbürgertum wird zunehmend unmündig. Es gibt keine politische Klasse mehr in Deutschland, aber das, was sich dafür hält, hat sich deklassiert und sie prostituiert sich für eine durch Medien-Agitation und Politiker-Stereotypen irrational verängstigte Bevölkerung. Blamabel und traurig.

In Deutschland sind wir so weit, dass die THW-Helfer sofort im Hinblick auf weit entfernte mögliche Strahlenbelastung sofort wieder abfliegen ohne zu helfen und der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz König heute zum Schutz der Japaner vor radioaktiver Strahlung zu erweiterten Evakuierungsmaßnahmen um Fukushima auffordert. Wie erbärmlich dumm sind wir eigentlich, dass wir uns anmaßen, die Probleme der japanischen Bürger vom deutschen Schreibtisch aus lösen zu wollen. In Japan herrscht kontrollierte Furcht vor den Auswirkungen der Katastrophe unmittelbar vor der Haustür, in Deutschland dominiert irrationale Angst  vor irrealen Unwägbarkeiten wegen einer unvergleichlichen Katastrophe sehr weit entfernt. Diese irrationale deutsche Angst wurde und wird von politisch Interessierten sehr planvoll geschürt und genutzt, das fördert nicht gerade eine rationale Risikoeinschätzung.

In dieser bewusst erzeugten Angst-Atmosphäre diskutiert Deutschland die Energiepolitik für die nächsten 20/30 Jahre. Das ist in der vorherrschenden Stimmung geradezu unverantwortlich.

In dieser irrationalen und parteipolitisch orientierten Lage diskutiert Deutschland hektisch über seine energiepolitische Zukunft, das ist politisch dumm und kurzsichtig.

Wir sagen inzwischen, dass keines der deutschen Kernkraftwerke dafür ausgelegt ist, dem Absturz eines Passagierflugzeugs stand zu halten, vom Absturz einer Militärmaschine oder von einem gut geplanten Terroranschlag ganz zu schweigen. Bei einigen, so heißt es, könnte der Reaktor nicht einmal einer leichten Militärmaschine widerstehen. Das sind alt bekannte Fakten, die nicht durch einen Stresstest verifiziert werden müssen.

Richtig ist, absolute Sicherheit kann es nicht geben. Die Frage ist also immer, was eine Gesellschaft bereit ist zu akzeptieren. Und da muss man nicht Angst schüren, sondern wahrheitsgemäß informieren, insbesondere über den Bedarf der deutschen Wirtschaft , über die Kostenentwicklung für den deutschen Verbraucher und über die reduzierten Möglichkeiten, die Klimaschutz- und Umweltziele ohne hinreichende Nutzung der Kernenergie zu erreichen. Und selbst dieser vernünftig klingende Ansatz ist eigentlich untauglich.

Es ist nämlich nicht die Frage, was die bewusst verängstigte deutsche Gesellschaft bereit ist als Risiko zu akzeptieren, sondern welches Risiko die deutschen Bürger bereit sind im europäischen und auch globalen Rahmen zu tragen. Es ist unerheblich, ob der deutsche Bürger durch einen unwahrscheinlichen GAU in Neckarwestheim oder durch einen aufgrund der Sicherheitsstandards möglicherweise wahrscheinlicheren GAU im AKW Cattenom in Frankreich an der Grenze zu Deutschland verseucht wird. Das Risiko ist für den deutschen Bürger gleich groß. Die deutsche Angstmache und die Aufbauschung angeblichen deutschen Risikobewusstseins ist so lange Schall und Rauch, oder besser Lug und Trug, solange für die Beherrschung des "Restrisikos" keine europäische Lösung gefunden wird.

Mit der deutschen Gartenzwergorientierung im Hinblick auf die zukünftige Nutzung der friedlichen Kernenergie - zu unserem nachhaltigen wirtschaftlichen Nachteil - werden wir allerdings nur vorsichtiges Gelächter ernten, denn unsere Nachbarn wollen uns ja nicht von unserem singulären Weg abbringen und setzen unverändert auf den Ausbau der für sie notwendigen und lukrativen Kernenergie - zu ihrem erheblichen wirtschaftlichen Vorteil, bei gleichem Restrisiko für die deutsche Bevölkerung.

Das bisher bekannte Restrisiko deutscher AKW ist durch Fukushima weder größer noch kleiner geworden, es ist in der Gesellschaft nur präsenter. Wir sollten deswegen prüfen und das Restrisiko verkleinern, aber immer nur im rationalen Zusammenhang mit der Nutzung der Kernenergie durch unsere Nachbarn. Energiepolitik der Zukunft ist ein europäisches Problem bei dem irrationale deutsche Angst und hektisch , populistische Politik nur hinderlich sind.

Viel wichtiger ist es, dass sich die deutsche Politiker nicht ängstlich sondern endlich mutig um die Endlagerung atomaren Mülls kümmern. Da kann man nicht hektisch punkten, sondern da sind dicke politische Bretter gegen lokale Wutbürger zu bohren. An dieser Herausforderung können sich gute Politiker mit hoher Restlaufzeit beweisen.

(01.04.2011)

 

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