Hans-Heinrich Dieter

Rote Linien   (27.04.2013)

 

Es ist bekannt, dass das Regime Assad über chemische Waffen unterschiedlicher Art verfügt und sie auch einsetzen kann. Es ist aber bisher nicht zweifelsfrei erwiesen, ob und wie häufig das Regime mit welchen Mengen Kampfstoff und welchen Verlusten gegen die Rebellen vorgegangen ist oder ob der Chemiewaffen-Einsatz von den Aufständischen nur vorgetäuscht wurde. Und es ist nicht bekannt, ob der angebliche Einsatz des Giftgases Sarin in Aleppo vom Assad-Regime angeordnet oder möglicherweise von einem örtlichen militärischen Führer eigenmächtig veranlasst wurde. Es macht einen großen Unterschied, ob chemische Waffen vereinzelt eingesetzt wurden oder ob etwa der systematische und massenhafte Einsatz im Zusammenhang mit einem „Überlebenskampf“ des Regimes angeordnet würde. Dementsprechend muss eine politische oder auch militärische Reaktion beurteilt und entschieden werden. So weit ist die internationale Staatengemeinschaft noch lange nicht. Bisher gibt es Vermutungen, Andeutungen, angebliche Informationen, aber keine belegten Fakten. 

Seit Präsident Obama die "Rote Linie Chemiewaffeneinsatz" im syrischen Bürgerkrieg thematisiert hat, versuchen interessierte politische Kreise mit Unterstützung interessierter Medien, die USA in einen Krieg gegen Syrien zu ziehen. Geheimdienste sind da nicht zimperlich und nehmen es mit der Wahrheit offenbar auch nicht so genau, wenn es um die Erreichung politischer Ziele geht. Die US-Geheimdienste sind sogar nicht davor zurückgeschreckt, im Zusammenhang mit dem "gewollten" Irakkrieg einen eigenen Außenminister vor den Vereinten Nationen als Lügner auftreten zu lassen. Die USA sollten daher insbesondere auch gegenüber Geheimdienst-„Informationen“ anderer Staaten besonders kritisch sein und erst Maßnahmen ergreifen, wenn Informationen unterschiedlicher und unabhängiger Quellen zu einer „gesicherten Erkenntnis“ führen. Deswegen ist es richtig, dass Präsident Obama Andeutungen aus Israel, Großbritannien oder Frankreich, wonach in Syrien chemische Stoffe eingesetzt wurden, nicht unkritisch übernimmt, sondern intensiv nach Fakten und Erkenntnissen sucht. Die UN müssen dabei unterstützen, soweit das möglich ist und von Assad zugelassen wird. 

Im Hintergrund des syrischen Bürgerkrieges finden viele Interessenkämpfe zwischen den USA und Russland aber auch Ländern wie Frankreich, England, Türkei, Iran, Saudi-Arabien, Katar und Israel statt. Es geht um politischen Einfluss, es geht um Absatzmärkte, um Rohstoffe, Religion, Interessen unterschiedlicher Ethnien, um Sicherheit und natürlich um Geld. Alle haben eigene Interessen in Nahost und alle haben in Nahost in gewisser Weise eine eigene Agenda, insbesondere Israel. Deswegen ist höchste Vorsicht geboten, selbst wenn der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Stein, es als erwiesen ansieht, dass im syrischen Bürgerkrieg Chemiewaffen eingesetzt werden und die USA an die „rote Linie“ erinnert. Israel hat auch massiv versucht, die USA vorschnell zu einem Militärschlag gegen das Atomprogramm des Iran zu bewegen.  

Und da ist die weitere „rote Linie“, die Präsident Obama definiert hat: Iran darf keine Atommacht werden. Das bringt die wirtschaftlich stark geschwächten und dadurch eingeschränkt militärisch handlungsfähigen USA in eine sehr schwierige Situation. Amerika darf sich durch Syrien nicht über Gebühr "austesten" lassen und es muss hauptsächlich gegenüber dem Iran aber auch in der gesamten Region glaubwürdig bleiben. Trotzdem sollten erst politische Entscheidungen mit militärischen Auswirkungen getroffen werden, wenn der Verdacht des Giftgas-Einsatzes erhärtet und bestätigt ist. Denn es steht zu viel auf dem Spiel. 

Vor einem, mit Giftgas-Einsatz des Assad-Regimes begründeten, militärischen Eingreifen der USA müssten Russland und China aber auch der Iran als „Schutzmacht“ für Syrien und die Schiiten konsultiert werden. Es müsste beurteilt werden, inwieweit eine militärische Intervention Assad bewegen könnte, den Bürgerkrieg über die Grenzen auszuweiten. Dann wären der Iran, die Türkei, der Libanon, aber auch Israel wahrscheinlich direkt mit einbezogen. Und es muss gewährleistet sein, dass chemische Waffen im Zuge einer Intervention oder begünstigt durch Waffenlieferungen an die Opposition am Ende nicht in die Hände von radikalen islamistischen Kräften fallen, denn das definiert eine „rote Linie“ Israels für ein militärisches Eingreifen. Aber das größte und unübersichtlichste Problem würde es sein, die unzähligen Gruppen von Freiheitskämpfern, Rebellen, Dschihadisten, Terroristen, Al-Kaida-Kämpfern, die sowohl das Regime Assad als auch Andersgläubige aber auch sich untereinander in diesem Bürgerkrieg bekämpfen, zu kontrollieren. Ein „rote Linie“ muss glaubhaft vertreten werden, darf aber keine Grundlage für militärischen Automatismus sein.  

Die USA sind – zusammen mit der westlichen Welt - in einem Dilemma und die anstehenden Entscheidungen sind sehr schwer zu treffen, denn letztlich sind alle denkbaren Szenarien schlecht. Das gilt insbesondere so lange es keine gemeinsame Vision des Westens und einer „geeinten Opposition“ für den Staat Syrien nach dem Sturz Assads gibt. Da ist es schon erstaunlich aber auch gefährlich, dass von einigen Medien, US-Falken wie McCain und anderen Politikern relativ oberflächlich eine Intervention herbeigeredet werden soll. Das Thema ist zu ernst, um Parteipolitik zu treiben! 

Präsident Obama sollte sich weder von Israel noch von Frankreich oder Großbritannien zu Waffenlieferungen an die Opposition oder zu Interventionsabsichten drängen lassen, sondern die „Informationen“ über Giftgas-Einsätze des syrischen Regimes intensiv und glaubwürdig prüfen und dann, wenn gesicherte Erkenntnisse vorliegen, entschlossen gemäß der definierten „roten Linie“ glaubwürdig handeln, möglichst mit Unterstützung der Vereinten Nationen und im internationalen Verbund.  

Die Politiker sollten sich fragen, ob es nicht klüger wäre, weniger "rote Linien" zu propagieren. 

(27.04.2013)

 

 

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