Hans-Heinrich Dieter

Sanierungsfall   (30.06.2016)

 

Auf die Frage im heutigen DLF-Interview, wo die Bundeswehr aktuellen Anforderungen tatsächlich nicht mehr gerecht werden kann, antwortet Oberstleutnant Wüstner, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes: „Na ja. Es ist schon so, dass grundsätzlich wir am tiefsten Punkt sind, was Einsatzbereitschaft anbelangt, seit 1990. Zwar können wir problemlos, ich muss jetzt sagen nahezu problemlos, denn es ist natürlich vielfältig, was das Aufgabenspektrum anbelangt, bestimmte Einsätze in Mali, im Nordirak, nach wie vor in Afghanistan schultern. Aber wir sind auch in vielen Bereichen wirklich im roten Bereich, wenn ich nur mal die Marine oder Teile der Luftwaffe nenne.“

Und im Zusammenhang mit der jahrelangen Unterfinanzierung der Bundeswehr sowie den Mängeln und Unzulänglichkeiten der zu Guttenberg/de Maizière-Reformen fügt er hinzu: „Die Bundeswehr ist der mittlerweile größte Sanierungsfall, den man sich vorstellen kann in der Bundeswehr. Deswegen spreche ich auch immer nicht von Aufrüstung oder solchen Dingen, sondern eigentlich geht es erst mal nur darum, diese Dinge, die momentan im Argen liegen, im Bereich Material, Personal, Infrastruktur, einfach erst mal wieder zu richten, um die Anforderungen, die heute die Politik mehr denn je an uns stellt, tatsächlich gewährleisten zu können, und dafür muss der Haushalt enorm aufwachsen.“

Das sind vom Inhalt her starke Worte und eine massive Kritik am Deutschen Bundestag, der die jahrelange Unterfinanzierung der Parlamentsarmee Bundeswehr zugelassen hat. Das ist eine sehr herbe Kritik an die für Sicherheitspolitik verantwortlichen Politiker. Und das ist auch starke Kritik an der militärischen Führung, die für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte verantwortlich ist, und die der Politik Missstände und Unzulänglichkeiten in der Bundeswehr ungeschönt darzulegen und Maßnahmen zur Abhilfe aufzuzeigen sowie einzufordern hat.

Oberstleutnant Wüstner von der Interessenvertretung der Bundeswehr ist der einzige aktive Offizier, der Kritik öffentlich äußert und der auch von den Medien angefragt wird. Am Tag des 60-jährigen Bestehens des Zentrums „Innere Führung“ in Koblenz darf man da sicher die Frage stellen, ob die Bundeswehr da ihrer Philosophie „Innere Führung“ gerecht wird. Denn Offiziere dürfen ja nicht zu Ausführungsgehilfen falscher oder auch die Einsatzbereitschaft beeinträchtigender Politik werden.

Bundespräsident Gauck hat am 20. Juli 2013, in einer Rede zum Gedenktag des militärischen Widerstandes gegen Hitler, den Soldaten der Bundeswehr ins Stammbuch geschrieben, sie sollten "nicht nur Befehle ausführen, sondern kritisch mitdenken und für ihre Überzeugungen in Wort und Tat einstehen". Diese Forderung richtete er an die Soldaten aller Dienstgrade, ganz besonders aber an die Vorgesetzten. Bundespräsident Gauck appellierte also an die "Staatsbürger in Uniform" Innere Führung zu leben.

Das Staatsoberhaupt fordert von den Soldaten Militärcourage, eine noch seltener geübte Tugend als Zivilcourage. Dabei sind Mut und auch Tapferkeit Teil erfolgreicher Berufsausübung. Aber Offiziere halten sich mit öffentlichen Äußerungen normalerweise sehr zurück, schon weil das Soldatengesetz eine gewisse Zurückhaltung auferlegt. Fehlende öffentliche Äußerung ist zusätzlich sicher dadurch begründet, dass Offiziere sich nicht in überhitzte, teilweise wenig an realen Sachverhalten orientierte politische Debatten hineinziehen lassen wollen, der Hierarchie der militärischen Verantwortung vertrauen und mit gelegentlich falschem Verständnis des Primats der Politik die Verantwortung für öffentliche Äußerungen ausschließlich den Politikern zuordnen. Bei Generalen kommt hinzu, dass sie dem § 50 Soldatengesetz unterliegen und bei missliebigen Äußerungen unter dem Vorwand des Vertrauensverlustes ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können.

Außerdem ist es im Militär durchaus nicht unüblich, Soldaten, die Missstände aufzeigen oder das System, die politische Leitung bzw. die militärische Führung kritisieren und Korrekturen fordern, hinter vorgehaltener Hand als Wichtigtuer, Nestbeschmutzer oder Denunzianten anzusehen. Dabei wird allerdings übersehen, dass verantwortungsbewusste Pflichterfüllung vom Staatsbürger in Uniform geradezu verlangt, Missstände, die die Auftragserfüllung beeinträchtigen, aufzuzeigen und nötigenfalls auch öffentlich anzuprangern, wenn Abhilfe offenbar nicht anders zu erreichen und der „Dienstweg“ ausgeschöpft ist. Der Bundespräsident forderte also nicht viel mehr als gute, an der Führungsphilosophie der Bundeswehr orientierte Pflichterfüllung.

Der Generalinspekteur ist als Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Ministerin für die Bundeswehr verantwortlich. Er ist diesbezüglich in höchstem Maße sachkundig und kann als militärischer Berater der Ministerin und der Bundesregierung die Sachverhalte in den Politischen Rahmen einordnen. Warum kommt der Generalinspekteur nicht häufiger, wenn nötig auch kritisch, zu Wort. Die Inspekteure sind die obersten Soldaten von Heer, Luftwaffe und Marine sowie von der Streitkräftebasis und vom Sanitätsdienst. Warum erhalten sie nicht vom Minister den Auftrag, Sachverhalte oder auch Probleme aus ihren Verantwortungsbereichen zu erläutern oder zu kommentieren? Die Bundeswehr hat hervorragende Fachleute, warum sollen die immer nur aufschreiben, was die Politiker sagen sollten, und nicht selbst ihr Thema vor der Öffentlichkeit militärisch verantworten? Die meist treffende Antwort ist, man lässt sie offensichtlich nicht, sie dürfen nicht!

Bundespräsident Gauck hat mit seinem Appell vom 20. Juli 2013 also nur eingeschränkten Erfolg gehabt. Einer der Gründe ist, dass das Staatsoberhaupt nicht die nächste gute Gelegenheit ergriffen und nicht die nächste passende Rede dazu genutzt hat, die klare und eindeutige Forderung an Politiker und Volksvertreter zu formulieren, dass sie die Soldaten zu Wort kommen lassen, zu Stellungnahmen auffordern und sich auch berechtigter Kritik stellen sollen.

Denn wenn man mutige Spitzen-Staatsbürger in Uniform nicht zu Wort kommen lässt, beschneidet man sie in ihrer Würde und behindert sie in der Wahrnehmung der Verantwortung für ihre Soldaten und die Auftragserfüllung, besonders im Einsatz.

(30.06.2016)

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte