Hans-Heinrich Dieter

Schwaches Europa   (14.02.2015)

 

Die erschöpfte Kanzlerin Merkel hat bei den Verhandlungen in Minsk weltweit Anerkennung gewonnen. Wenn es zunächst einmal zu einer Waffenruhe kommt, dann ist den Menschen in der Ukraine zumindest eine Atempause verschafft. Nachdem nun aber Zug um Zug klar wird, wie wenig bei den nächtlichen Verhandlungen erreicht wurde und wie brüchig, unterschiedlich interpretierbar und möglicherweise wertlos das Abkommen ist, mehren sich kritische Stimmen und verstärkt sich Skepsis. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass das Abkommen Minsk I nicht umgesetzt wurde und nahezu niemand in Europa und in den USA dem Aggressor und Rechtsbrecher Putin mehr traut. Für den französischen Präsidenten Hollande sind die in Minsk erreichten Vereinbarungen trotzdem "eine große Erleichterung für Europa". Das muss man hinterfragen!

Das Tandem Merkel/Hollande war ohne europäisches Mandat in Minsk und wollte eine politische Lösung des Ukraine-Krieges erreichen. Das Ergebnis ist allenfalls ein "Hoffnungsschimmer" auf der Grundlage eines dürftigen 13-Punkte-Papiers, dem die Staats- und Regierungschefs der Ukraine, Russlands, Deutschlands und Frankreichs lediglich zustimmten, ohne sich mit einer Unterschrift binden zu wollen. Die Europäische Union, in Gestalt von Herrn Tusk oder Frau Mogherini, saß nicht mit am Tisch und konnte das Verhandlungsergebnis nur freudig bis sehr skeptisch zur Kenntnis nehmen. In Minsk wurde deswegen auch keine europäische Außen- und Sicherheitspolitik eingebracht, weil es eine solche Politik nicht gibt. In Minsk konnte die Europäische Union auch nicht das Gewicht von 28 Mitgliedstaaten in die Waagschale werfen und mit dem Hinweis auf verschärfte und erweiterte Wirtschaftssanktionen Druck auf Putin ausüben und so das Verhandlungsergebnis im Sinne Europas und der Ukraine beeinflussen. Deutschland konnte nur seine Wirtschaftsmacht einbringen und darauf verweisen, dass es sich mit den USA abgestimmt hat. Das wirtschaftlich schwache Frankreich ist Vetomacht im Weltsicherheitsrat und auch eine Atommacht, allerdings mit sehr stark eingeschränkten Fähigkeiten, und kann deswegen kaum Druck auf Russland ausüben und nur sehr eingeschränkt für die Interessen der Ukraine eintreten. Bei Verhandlungen mit Russland, bei denen das Schicksal und die territoriale Integrität eines souveränen Staates auf dem Spiel steht, muss man aber glaubhaften Druck ausüben können, wenn man gegen den Autokraten Putin, der politische und militärische Machtdominanz verkörpert, Erfolg haben will. Die EU konnte oder wollte sich für ein erfolgreiches Minsk II nicht einbringen, Deutschland und Frankreich sind zu schwach, ohne wirksame Druckmittel und können die EU ohne Mandat nicht wirkungsvoll vertreten. Die Weltmacht USA mit Verfügungsgewalt über das gesamte Spektrum von politischen Druckmitteln und Abschreckungspotential, haben am Verhandlungstisch gefehlt, denn die Einhegung des aggressiven und neoimperialistischen Russlands ist, anders als Obama denkt, kein europäisches sondern ein globales Problem.

Dabei fehlt es der Europäischen Union sicher nicht am guten Willen, doch die Union ist von ihrer Struktur her schwach. Es gelingt bisher nicht, für die EU ein außen- und sicherheitspolitisches Konzept zu formulieren, das Grundlage einer mit der NATO und den USA abgestimmten Politik zur Beendigung des Ukraine-Krieges sein könnte. Die 28 Mitgliedstaaten erreichen einstimmig häufig nur einen Minimalkonsens. Die EU selbst hat keine militärischen Mittel, mit denen Macht ausgeübt werden könnte. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten ist vielmehr der Auffassung, dass dieser Konflikt nur "politisch zu lösen" sei und vergisst dabei, dass in einem Krieg in der Regel erst mit militärischen Mitteln sowie mit einem ganzen Spektrum von Abschreckungsmaßnahmen die Voraussetzungen für politische Lösungen geschaffen werden müssen. Schlimmer noch, solche Mitgliedstaaten schließen militärische Maßnahmen, wie zum Beispiel Waffenlieferungen und Ausbildungsunterstützung für die Ukraine kategorisch aus, und werfen so - etwas ignorant und friedensillusionistisch - ein brauchbares Werkzeug aus dem Instrumentenkasten politischer Verhandlungsführung einfach in den Abfall. Die EU stimmt sich insgesamt mit der NATO zu wenig ab und wird von den USA in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht als Gesprächspartner auf Augenhöhe wahrgenommen. Die Schwäche Europas wird durch den ehemaligen Partner und heutigen herausfordernden Gegener Putin konsequent ausgenutzt.

Der Westen reagiert nun auf Minsk II mit nicht abgestimmten Einzelaktionen. Die USA halten Russland vor, noch vor der Waffenruhe weitere Waffen an die Separatisten zu liefern, dabei eine große Anzahl an Artilleriegeschützen und mehrere Raketensysteme. Dabei sollten die USA grundsätzlich jeweils die Beweise offenlegen, um der russischen Propaganda besser begegnen zu können. Die EU will die vereinbarten neuen Sanktionen in Kraft setzen. Die sieben führenden Industrienationen warnten die Konfliktparteien vor Aktionen, die den vereinbarten Waffenstillstand gefährden könnten. Die G7 sei bereit, angemessene Maßnahmen gegen diejenigen zu ergreifen, die die Beschlüsse von Minsk verletzten, heißt es. Die am Donnerstag freigegebenen 17,5 Milliarden Dollar des Internationalen Währungsfonds, IWF, sind eine weitere gute Nachricht, die die Ukraine ein wenig mit dem für sie schwer erträglichen Abkommen versöhnen mag. Das alles wird nicht reichen, um die russische Aggression auf Dauer zu stoppen.

Die EU muss sich stärker engagieren und darf auf der weltpolitischen Landkarte keine vernachlässigbare Größe bleiben. Die Zerbrechlichkeit der neuen Vereinbarung über eine Waffenruhe macht es zwingend erforderlich, dass Europa und die USA sich nun mit der NATO auf eine gemeinsame Position verständigen. Sie müssen deutlich machen, dass gegebenenfalls schärfere Sanktionen in Kraft treten und die wirksamen Sanktionen erst gelockert werden, wenn Minsk II vollständig und nachprüfbar umgesetzt ist. Europa, die USA und die NATO müssen das Vertrauen insbesondere der ost- und südosteuropäischen Partner dadurch erhalten, dass sie dem Aggressor Putin mit dem gesamten Spektrum politischer Maßnahmen entgegentreten. Und wenn das transatlantische Bündnis leistungsfähig und wirksam bleiben soll, müssen die Europäer nicht nur politisch, sondern auch militärisch mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit und für ein glaubwürdiges Abschreckungspotential übernehmen - einschließlich der damit verbundenen Kosten. Die USA müssen im eigenen Interesse ihr Engagement für Europa wieder verstärken, denn die Verlagerung der US-Schwerpunkte in den pazifischen Raum wird nur unzureichend gelingen, wenn die europäische Friedensordnung und damit auch das globale Gleichgewicht durch Russland massiv gefährdet sind.

Putin als Hauptakteur im ukrainischen Drama hat in diesem Machtpokerspiel die weitaus besseren Karten, er blufft erfolgreich und er ist - wie schon im Zusammenhang mit Minsk I bewiesen - bereit zu betrügen. Die Karten müssen neu gemischt sowie Betrugsversuche erkannt und unterbunden werden. Niemand darf sich der Illusion hingeben, dass nun Frieden in greifbare Nähe gekommen sei, denn Frieden in der Ukraine ist nicht im Interesse Putins. Die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine einschließlich der Krim - als Voraussetzung für Frieden, muss aber geschützt und wiederhergestellt werden. Deswegen darf es nicht nur von der Gnade Putins abhängen, was aus der Waffenruhe wird. Die Bevölkerung der Ukraine hat das Recht in Frieden und nach ihren Vorstellungen zu leben. Um ein solches Ziel wirksam zu unterstützen, sind die EU und die OSZE derzeit zu schwach. Deswegen müssen sich die USA, unterstützt von der EU und der NATO, zusammen mit den Vereinten Nationen ab jetzt stärker in die Konfliktlösung einbringen. Die schwache Europäische Union muss an ihrer politischen Zukunft stark arbeiten, wenn sie mehr sein will, als eine bisher weniger erfolgreiche und oft zerstrittene Fiskalunion.

(14.02.2015)

 

 

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