Hans-Heinrich Dieter

Sicherheitspolitischer Zwerg!   (18.06.2018)

 

Die Amerikaner haben Deutschland nach der Vereinigung zweimal „Partnership in Leadership“ angeboten, vergeblich, denn die Bundesrepublik gab sich mit der gewohnten, bequemen und preiswerten sicherheitspolitischen Trittbrettfahrerei zufrieden. Deutschland war bis zur Vereinigung der so ungleichen deutschen Staaten ein nichtsouveräner, abhängiger sicherheitspolitischer Zwerg und ist nach Erlangen der vollen Souveränität und trotz seiner Stellung als wirtschaftlich sehr leistungsstarke europäische Mittelmacht ein sicherheitspolitischer Zwerg geblieben. Da interessieren die Ursachen!

Im Kalten Krieg mit eingeschränkter Souveränität hat Deutschland keine eigene Außen– und Sicherheitspolitik gemacht. Wir waren als möglicher Frontstaat braves Mitglied der NATO mit einem nicht unerheblichen Beitrag für die gemeinsame Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung, aber ohne sicherheitspolitisches Zielsystem und ohne eigene strategische Vorstellungen. Nach Erlangen der Souveränität haben wir es versäumt, eigene essentielle staatliche Ziele in der Außen- und Sicherheitspolitik zu entscheiden – aus Angst vor der mehrheitlich gefühlspazifistischen sowie gesinnungsethisch eingestellten Gesellschaft und aus Angst vor der Gefahr, an solchen Zielen gemessen zu werden – und deswegen haben wir versucht, durch geschmeidiges Mitmachen ein „netter Musterschüler“ zu sein. Dann sahen wir uns ausschließlich von Freunden umgeben und haben die Streitkräfte in den letzten gut 25 Jahren ständig unterfinanziert und zu einem „Sanierungsfall“ kaputtgespart. Heute sind unsere Streitkräfte für die Landes- und Bündnisverteidigung im Rahmen der NATO nur sehr eingeschränkt einsatzfähig und können derzeit unsere Bündnisverpflichtung gemäß Art 5 NATO-Vertrag nur minimal erfüllen.

Bei Auslandseinsätzen hat Deutschland es möglichst immer vermieden, Waffen einsetzen zu müssen. Deutschland bietet vorwiegend Ausbildungsaktivitäten, Logistik, Sanitätsdienst, Pionierdienst oder Lufttransport und manchmal auch Aufklärung an, um - wie beim Kampf gegen den IS - nicht mit Waffengewalt eingesetzt zu werden. Und derzeit ist die Bundeswehr mit den laufenden Auslandseinsätzen aufgrund von Personalmangel und Ausrüstungsmängeln sowie unzureichenden Klarständen von Hauptwaffensystemen überfordert.

Und wenn wir über die realen Herausforderungen zur Unterstützung eines internationalen Kampfes gegen die Terrormiliz „IS“ intensiver nachdenken, dann müssen wir uns eingestehen, dass wir nahezu nichts anzubieten haben, was sich schnell auswirken kann. Wir haben keine Flugzeugträger, die man vorbeugend stationieren kann, um bei Bedarf schnell Luftstreitkräfte zur Wirkung zu bringen. Wir verfügen nur über veraltete Aufklärungssysteme und wir haben keine Drohnen, die schnell, wirkungsvoll und personalsparend eingesetzt werden können. Darüber hinaus ist unsere Munitionsbevorratung für die Hauptwaffensysteme unzureichend. In Deutschland denken wir außen- und sicherheitspolitisch auch noch nicht verantwortungsbewusst in internationalen Krisenszenarios. Wir predigen lieber Moral und vergessen, dass man zur Durchsetzung moralischer Werte auch Macht braucht. Wir denken nicht wirklich strategisch, unter Einschluss erforderlichen Einsatzes militärischer Mittel, und deswegen haben wir auch nicht verantwortungsvoll in unsere Verteidigungsfähigkeit im Rahmen der NATO investiert. Unsere real betriebene Politik macht sehr deutlich, dass Deutschland seine staatliche Hauptaufgabe, das Leben seiner Bürger nach innen und außen zu schützen und innere und äußere Sicherheit in Freiheit dauerhaft zu gewährleisten, derzeit nur sehr unzureichend wahrnehmen kann. Wir haben uns selbst zu einem sicherheitspolitischen Zwerg gemacht, der auf Dauer von unseren Partnern nicht ernst genommen werden kann!

Deutschland hat als wirtschaftlich sehr leistungsstarke europäische Mittelmacht, wichtiger EU-Partner und als NATO-Mitglied im Zusammenhang mit der kriselnden EU und den inzwischen international unzuverlässigen USA - und nicht zuletzt als neu gewähltes nichtständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat - auf internationalem Parkett einen Bedeutungszuwachs erfahren. Die damit verbundene, auch sicherheitspolitische Erwartungshaltung wird – aus deutscher Sicht geradezu beängstigend – groß sein. Deutschland wird immer wieder an diesen Erwartungen gemessen werden und darf nicht auf Dauer als zu leicht befunden werden. Deutschland muss sicherheitspolitische Fähigkeit möglichst schnell wiederaufbauen und Vertrauen zurückgewinnen! Dazu muss Deutschland Führungswillen zeigen, der durch verfügbare politische Machtmittel glaubhaft wird. Das wird erhebliche Investitionen in die Sicherheitspolitik erfordern.

Deutschland muss dazu seine Sicherheitspolitik, abgestimmt mit der NATO und der EU, neu ausrichten. Dazu muss die Bundesrepublik eigene essentielle staatliche Ziele in der Außen- und Sicherheitspolitik definieren, gesamtgesellschaftlich diskutieren und entscheiden. Wir müssen endlich zu einer vernetzten Sicherheitspolitik finden, die federführend vom Kanzleramt oder vom Außenministerium koordiniert wird. Wir brauchen in Zukunft kein Weißbuch der Bundeswehr, das vom Kabinett lediglich zur Kenntnis genommen wird, sondern wir brauchen ein sicherheitspolitisches Weißbuch der Bundesrepublik Deutschland, das mittelfristige internationale Krisenanalysen bietet und für geopolitisch und strategisch orientierte Krisenszenarien strategische Lösungsmöglichkeiten aufzeigt. Aus diesen strategischen Erfordernissen müssen politische Handlungsmaxime und notwendige militärische Fähigkeiten zur Krisenprävention, zur Abschreckung und zur Krisenbewältigung abgeleitet werden. Damit hätten wir eine nachvollziehbare Grundlage für die Planung mittel- und langfristiger Investitionen in unsere sicherheitspolitischen Machtmittel.

Am Ende dieser umfangreichen Arbeiten und intensiven sowie öffentlichen sicherheitspolitischen Diskussionen wird auch der politisch interessierte Bürger erkennen, dass wir in den Jahren nach der Vereinigung viel zu wenig in unsere Sicherheit investiert haben, und dass es bei den jetzt erforderlich werdenden Investitionen nicht um „Aufrüstung“ geht, sondern um den Wiederaufbau notwendiger sicherheitspolitischer Fähigkeiten. So kann aus dem sicherheitspolitischen Zwerg Deutschland wieder ein vertrauenswürdiger und verlässlicher sicherheitspolitischer Partner in der NATO und in der EU werden, der seine staatliche Hauptaufgabe, das Leben seiner Bürger nach innen und außen zu schützen sowie auch äußere Sicherheit seiner NATO- und EU-Partner dauerhaft zu gewährleisten, verantwortungsbewusst wahrnimmt.

(18.06.2018)

 

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