Hans-Heinrich Dieter

Staatsbesuch in Afghanistan (17.10.2011)

 

Bundespräsident Wulff hat die Soldaten der Bundeswehr und die deutschen Bürger, die sich im Auftrag Deutschlands für die Menschen in Afghanistan engagieren, besucht, ihren Einsatz gewürdigt und für mehr Anerkennung ihrer Leistungen durch die deutsche Bevölkerung geworben. Und der deutsche Bundespräsident hat den amerikanischen Soldaten gedankt, ohne deren Hubschrauber, Kampftruppen und Spezialkräfte die Verantwortung in der Nordregion durch die Bundeswehr nicht zu schultern wäre. Das ist sehr gut und es hat durchaus Bedeutung, dass der Bundespräsident diese wichtige Geste schon so früh nach seiner Amtsübernahme macht.

Bundespräsident Wulff hat seinen Besuch bei den in Afghanistan eingesetzten deutschen Staatsbürgern mit einem Staatsbesuch verbunden. Welchen Staat besucht er dort zu welchem Zeitpunkt und von welcher Qualität Staatsoberhaupt lässt er sich empfangen?

Der Bundespräsident macht einen Staatsbesuch in einem Land, dem es trotz massiver Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft nach zehn Jahren nicht gelungen ist, Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten. Karsai selbst sagte der BBC, die Bemühungen um Stabilität in Afghanistan seien "gescheitert", seine eigene Regierung und die Truppen der NATO hätten es nicht geschafft, dem afghanischen Volk Sicherheit zu bringen. Afghanistan ist von demokratischen Verhältnissen und guter Regierungsführung noch sehr weit entfernt. Korruption durchzieht alle Lebensbereiche und der Drogenanbau und -handel ist unverändert Lebensgrundlage für große Teile der Bevölkerung. Die islamistischen Taliban kontrollieren ganze Regionen und haben vielfach die Initiative. Sie sind so stark, dass sie sich den Friedensgesprächen und Aussöhnungsbemühungen weitgehend entziehen. Die islamistischen Extremisten haben sich im benachbarten Pakistan neu formiert und sollen bis zu 45.000 Kämpfer dort bereithalten. Von einer funktionierenden "Zivilgesellschaft" kann also noch keine Rede sein. Es ist nicht verwunderlich, dass seit 44 Jahren kein deutscher Präsident einen Staatsbesuch in Afghanistan gemacht hat.

Bleibt die Frage nach dem Zeitpunkt des Staatsbesuches. Natürlich wollte der Bundespräsident auch die zweite Petersberger Konferenz im Dezember "vorbereiten", aber Deutschland ist nicht Gastgeber, sondern nur Organisator. Was sollte da ein deutsches Staatsoberhaupt an Vorbereitung leisten können? Warum lädt Deutschland Herrn Karsai nicht im Zusammenhang mit der Petersbergkonferenz zu einem Staatsbesuch ein und gibt der Petersbergkonferenz ein besonderes Gewicht, zumal der letzte Staatsbesuch vor 44 Jahren von Heinrich Lübke durchgeführt wurde? Warum wartet der Bundespräsident nicht die Ergebnisse der Konferenz ab und entscheidet dann, ob es sinnvoll ist, Karsai und seine Regierung aufzuwerten? Wenn es allerdings hauptsächlich darum geht, einen "Fehler" zu vermeiden und wie Ex-Bundespräsident Köhler nur die deutsche Truppe und nicht Karsai zu besuchen, dann wird die Entwicklung zeigen, ob nicht eher dieser Staatsbesuch ein Fehler war. Denn die Entwicklung in Afghanistan bis 2014 und danach ist noch nicht abzusehen. Und solange es keinen politischen Gesamtplan für Afghanistan für die Zeit nach Abzug der internationalen Kampftruppen gibt, ist es viel zu früh, Afghanistan warmherzige, "präsidiale" Hilfszusagen zu machen, zumal es nicht unwahrscheinlich ist, dass kurz nach dem Abzug der Kampftruppen die islamistischen Taliban die Macht wieder übernehmen. Ex-Bundespräsident Köhler war nach meiner Auffassung besser beraten.

Mit seinem Staatsbesuch wertet Bundespräsident Wulff die Regierung Karsai auf, die höchstens pseudodemokratische Wahlen gewonnen hat, sich vorwiegend in der Region Kabul auswirkt und auch deswegen von großen Teilen der afghanischen Bevölkerung nicht anerkannt wird, die Korruption im eigenen Verwaltungsapparat duldet und keine erkennbaren Anstrengungen unternimmt, den Drogenanbau und -handel zu reduzieren und die von den Taliban als Gesprächspartner nicht anerkannt wird. Von welcher Qualität ist die Legitimation von Karsai und seiner Regierung in den Augen der afghanischen Bevölkerung? In den Augen der Bevölkerung wird Karsai durch den "Staatsbesuch" sicher nicht aufgewertet und um das Wohl der Bevölkerung geht es letztendlich.

Der Staatsbesuch des deutschen Bundespräsidenten war kein starkes Signal an die afghanische Bevölkerung - an die Taliban schon überhaupt nicht.

(17.10.2011)

 

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